![Hanna Rautzenberg / Soulmate](https://www.rocktimes.info/wp-content/uploads/2020/03/hanna-rautzenberg-soulmate-300x270.jpg)
Rieselnde Substanz statt Rock-Feuerwerk am Urlaubsdomizil
Es begab sich, dass der Rezensent mitsamt Familie vor wenigen Jahren einen Kurzurlaub am Rande des schönen Harzes verbrachte, um eben jenen noch besser kennenzulernen und zu erkunden. In Quedlinburg, einem sehr schön restaurierten sachsen-anhaltinischen Welterbe-Städtchen im nördlichen Harzvorland, fand die Familie schließlich eine geradezu antiquarische Jugendherberge als Basislager vor, die modernistische Nachteile mit einer auffallend liebevollen Küche auszugleichen versuchte.
Wer hätte ahnen können, dass neben UNESCO Weltkulturerbe (Architektur), Fachwerk, AFD-Hochburg und Harztourismus auch ein dort ansässiges Tonstudio Staub aufwirbeln würde, wobei letzteres in seiner Ausstattung ungemein vielversprechend rüber kommt … zwei Aufnahmeräume (einer davon 70 m²), 32-Kanal-Aufnahmen, Ferienwohnung um die Ecke und Supermarkt direkt gegenüber. Inhaber Alex Wurlitzer bietet darüber hinaus noch Gitarrenunterricht (Schwerpunkt-Stilistik Americana) an, spielt in einer Band (Buckley’s Chance), mit einem grauen Wolf als Duo (Grey Wolf & Alex Wurlitzer) und fungiert in Personalunion als Produzent und Session-Gitarrist.
Und genau hier kommt eine sehr junge Dame aus Stangerode, Südharz, ins Spiel … Schülerin und musikalisch hörbar besser sozialisiert als die Sprösslinge des Rezensenten. Denn ihre anfängliche Begeisterung für David Garrett und das Geigenspiel kanalisiert sich alsbald im Erlernen von Gitarre und Klavier innerhalb eines musikalischen Kontextes von Rock, Pop, Soul und Country. Gleichfalls entwickelt sich die Liebe zum Gesang und mündet schließlich in einem Tonstudio-Besuch als Geschenk ohne kitschig rote Schleife und richtigem Mehrwert.
Denn selbstredend ist hier von Alex Wurlitzers Studio die Rede, welcher mit Sicherheit ob seiner Kundin hellhörig geworden sein dürfte. Selbige beginnt umgehend damit, neben Hausaufgaben und Klassenarbeiten fortan ihre Energie in das Schreiben von Songs zu stecken. Schlussendlich führen diese Bemühungen genau zu dem Produkt, welches dem Rezensenten nun vorliegt.
Um selbiges zu realisieren, hat die Mutter der Protagonistin eigens ein Label gegründet und unterstützt ihre Tochter höchstselbst mit Backgroundgesang. Produktion, Aufnahme, Mix und diverse Saiteninstrumente obliegen selbstredend Alex Wurlitzer, der auch die Rhythmusfraktion organisierte. Beim Titelsong schleppte er gar drei Leute für das Blechgebläse in seine Gemäuer.
Und warum dieser Aufwand für eine pubertierende Nachwuchshoffnung?
Weil aus dem resultierenden Silberling meilenweit mehr Substanz rieselt, als es jede Casting-Show dieser Welt auch nur ansatzweise rieseln lassen könnte!
Allerdings ist die Eingangsfrage der Webseite ihres mütterlichen Labels etwas irreführend: »Bist du auch der Rockmusik verfallen?« heißt es dort und Hanna Rautzenbergers Debütalbum "Soulmate" hat mit Rockmusik zwar deutlich mehr zu tun als Werder Bremen mit erfolgreichem Fußball, aber gleichwohl perlen einem bei diesem Rundling überwiegend sehr entspannte, wohltönende, zurückhaltende, angenehme, nicht wehtuende, erstaunlich erwachsen klingende Blüten der sogenannten Rootsmusik entgegen … sehr geschmackvoll und ohne jedwede Aggressivität arrangiert und in Szene gesetzt. Schlussendlich spiegelt sich hier nicht unerheblich der musikalische Einfluss ihres Mentors.
Hanna Rautzenbergers Songs klingen in ihrer Reife ähnlich altersinkompatibel wie Teile ihres Gesangsvortrags, welcher in seiner angedeuteten Rauheit mitnichten auf eine 15jährige Schülerin aus einer verschlafenen Provinz schließen lässt.
Besonders bemerkenswert gerät dabei der mit Blechgebläse verzierte Titelsong, der "I’d Rather Go Blind" (Original von Etta James) am Horizont erscheinen lässt und doch zu jeder Zeit jedwedes Kopistentum von sich weist.
Fazit:
Hier hat sich ein vielversprechendes Team aus Mentor und Nachwuchshoffnung gefunden. Es verderben konsequent keinerlei Modernismen das schmackhafte Roots-Gericht.
Allerdings muss schlussendlich auch eine insgesamt zu defensive Herangehensweise konstatiert werden … niemand wird bei dieser Produktion so richtig von der Leine gelassen, alles ist vergleichsweise zurückhaltend und glatt gehalten. Dem Rezensenten fehlen Ecken und Kanten, Reibungen, überraschende Wendungen, Tempo-Variationen, wie es die Post-50er Rock’n’Roll-Schlussnummer vormacht … und schlussendlich die analogen Töne, die der Web-Auftritt des Aufnahmestudios suggeriert. Der Silberling klingt sehr klar, durchzeichnend und vergleichsweise unkomprimiert, aber leider auch etwas hart, kalt, analytisch … sprich digital.
Aber … auch wenn der versprochene 'Rock' überwiegend fehlt … Quedlinburg ist als Kurzurlaubsziel definitiv abermals in der Verlosung!
Line-up Hanna Rautzenberg:
Alexander Wurlitzer (Akustik-Gitarre, E-Gitarre, Bass, Lap-Steel)
Toni Wendenburg (Schlagzeug, Percussion)
Peter Häseler (Kontrabass)
Bernd Großheim (Posaune, Bläsersatz)
Horst Ruprecht (Saxofon)
Holger Reitzig (Trompete)
Susann Rautzenberg (Background-Gesang)
Hanna Rautzenberg (Gesang, Piano, Akustik-Gitarre, E-Gitarre, Background-Gesang)
Tracklist "Soulmate":
- Falling Apart (3:35)
- Learned To Lie (3:58)
- Never Be The Same (3:20)
- White Heart (3:37)
- Self Control (3:28)
- I Know How You Should 've Felt (3:44)
- Romeo (5:10)
- Bloody Tears (5:56)
- Soulmate (6:30)
- Margrit (2:29)
Gesamtspielzeit: 41:48, Erscheinungsjahr: 2020
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