Es gibt viele gute Gründe, sich Frankreich nahe zu fühlen. Bei mir kam erst in reiferen Jahren die Erkenntnis dazu, dass ich persönlich dort ein paar Stammbaum-mäßige Wurzeln habe. Vielleicht erklärt das ja mein gesteigertes Interesse an guter Küche und leckerem Wein.
In der Rockmusik waren meine frankophilen Bezugspunkte eher im Stoner zu finden, Domadora, Glowsun oder Mars Red Sky waren häufige Begleiter, die beiden letztgenannten auch sehr persönlich, wenn ich zum Beispiel an die herrliche Begebenheit denke, als unsere Ü-80-Gastgeberin in einer kleinen Pension neben dem Freak Valley-Gelände mich damals morgens bat, die Herren von der Band (Mars Red Sky) am Frühstückstisch zu fragen, ob die ihr ein Exemplar ihrer CD verkaufen könnten. Die Gesichter meiner französischen Freunde werde ich nie vergessen.
Alpha Blanc beackert andere Felder und präsentiert mit "Life In 2 Pieces" ihr Erstlingswerk. Doch Vorsicht, die vier Jungs und das Mädel sind keine Anfänger – und das hört man sehr schnell. Angekündigt als alternative Metal-Band wird schon sehr bald deutlich, dass hier auch ein fettes Potential in Richtung Progressive und melodiösem Hard Rock besteht. Scheinbar haben sich die Musiker größtenteils in den Jahren zuvor mit Cover-Projekten befasst und man darf es getrost als Segen ansehen, dass die Herrschaften sich über den Weg gelaufen sind, denn ihre Idee, endlich eigenes Zeug zu kreieren, setzen sie erstklassig, reif und wunderbar stilsicher um.
Ein perfektes instrumentales Zusammenspiel, zusammengehalten durch den ausdrucksstark charismatischen Gesang von Max, der mit dem Rhythmus-Gitarristen Fabien seit mehr als zehn Jahren zusammen Musik macht, kulminiert in einem wahrhaft raffinierten Songwriting, dem Chester mit seiner vielseitigen Lead-Guitar immer wieder gelungene Big-Points beisteuert. Die Wechsel zwischen metallenen Riffs und hinreißend verträumter Melodik vermengt sich zu einem Gesamtprodukt, dem sich sowohl die härtere als auch die Progressive Fan-Fraktion zugehörig fühlen wird. Alles verpackt in Songstrukturen, die immer auch einen leichten Ohrwurm-Charakter nicht verleugnen können. Respekt, spricht man in der gehobenen Küche immer von Ausgewogenheit und Abstimmung der Geschmäcker, dann haben Alpha Blanc hier einen Stern verdient, die Kombi schmeckt vortrefflich.
Der Plot des Albums ist geschickt angelegt, die eingängigeren und eher im Prog wurzelnden Nummern starten die Scheibe, erst einmal wird die Friedenspfeife gereicht. Dass der erste Song ausgerechnet "To Survive" betitelt ist, möchte ich keinesfalls zeitgeschichtlich einordnen. Er ist ja Monate vor dem Ausbruch dessen entstanden, was auch mir momentan emotional den Umgang mit der Musik nicht gerade erleichtert. So sehr wir alle Ablenkung auch brauchen mögen, es ist nicht ganz leicht, sich voll und ganz in angenehme Dinge einzufühlen, wenn doch die Welt zurzeit so gänzlich andere Themen heraufbeschwört. Hoffentlich holen diese Dinge die Pläne der Band nicht ein, die sehr glücklich im Begleitmaterial darauf verweisen, im Mai in der Prager Rock Oper spielen zu dürfen. Für eine Band von der französischen Riviera, ergo geografisch recht weit vom rockenden Herz Europas entfernt, wäre eine solche Präsentation vor einem größeren Publikum sicher extrem wichtig. Momentan dürften aber dunkle Wolken über über dem Termin hängen.
Nach "Hold Your Fire" geht die Amplitude nach oben, jetzt gibt es eine ganze Reihe metalaffiner Nummern, denen aber immer eine feine Harmonie inne wohnt, so dass die Musik nie wirklich aggressiv rüber kommt. Diese Phase wird mit den unglaublich fetten Riffs in "150" sehr schön symbolhaft eingeleitet. Erst mit dem Titelsong des Albums, "Life In 2 Pieces", finden wir wieder einen etwas mehr progressiven Aufbau, eingeleitet mit harten Riffs und fetzigen Lines, die dann aber überleiten in ein wunderschön gefächertes Spektrum entspannt mäandernder Gitarrenklänge, die dem bärenstarken Gesang einen wunderschönen Kontrapunkt setzen. Diese Melodik lässt für mich wieder einmal einige Erinnerungen wach werden an die Harmonien von John Mitchells Supergroup Kino, die damals leider viel zu wenig Beachtung gefunden hat. Wenn aus den getragenen Parts heraus eine echt geile Slideguitar die Nummer auf die Spitze treibt, dann hat das einen beträchtlichen Gänsehautfaktor und ein wenig berühren wir wohl das Spektralfeld all dessen, wo sich einst Ritchie Blackmore gelegentlich mal zum Bottleneck hinreißen ließ – so zum Beispiel unübertroffen für alle Zeiten in "Stargazer".
"Spaceship Xploder" als knackig melodischer Rausschmeißer beendet ein Erstlingswerk, das so gar nicht wie ein solches klingt. Das Konzept der Kompositionen ist durchgängig stimmig und das Zusammenwirken der fünf Musiker von der Mittelmeerküste ist souverän wie das der berühmten alten Hasen. Mit dieser Musik werden Musikfreunde härterer Richtung Freude finden, Headbanger genauso wie diejenigen, die eine gute Melodie auch im Hard Rock zu schätzen wissen. Drücken wir ihnen alle Daumen, dass das Konzert in Prag stattfinden wird, es wäre eine tolle Chance für Alpha Blanc, viele neue Freunde zu finden. Verdient hätten sie es.
Line-up Alpha Blanc:
Maxime Soler (vocals)
David 'Chester' Bourak (lead guitar)
Fabien Noizet (guitar)
Julien Dubromez (drums)
Sandra Cianciulli (bass)
Tracklist "Life In 2 Pieces":
- To Survive
- Like No One
- Hold Your Fire
- 150
- Not Afraid
- Dawn
- Blue Girl baby
- Dysnomia
- What It Means
- Lif In 2 Pieces
- Spaceship Xploder
Gesamtspielzeit: 53:29, Erscheinungsjahr: 2019
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