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Missing Persons / Dreaming – CD-Review

Missing Persons - "Dreaming" - CD-Review

Ihre große Zeit hatte die Wave- und Post Punk-Band Missing Persons um die Frontlady Dale Bozzio sicherlich zu Anfang der achtziger Jahre, als sie eine Zeit lang Hits produzierte und richtig fett im Geschäft war. Die im Jahr 1980 gegründete Combo bestand zu Anfang in Person von Warren Cuccurullo (guitar), Terry Bozzio (drums) sowie Patrick O’Hearn (bass) fast ausschließlich aus aktuellen und ehemaligen Musikern aus dem Umfeld von Frank Zappa (Dale Bozzio war als Gast auf jedem Song des Albums "Joe’s Garage, Act I" zu hören), während Chuck Wild für die Keyboards addiert wurde. Nach fünf Singles, die in den USA immerhin mindestens in den Top70 der Billboard Charts landeten, ließ der Erfolg ab 1984 allerdings langsam aber sicher nach. Während einer Promo-Tour im Jahr 1986 wurden die Spannungen zwischen den verheirateten Dale und Terry Bozzio dann so groß, dass daran nicht nur die Ehe der beiden, sondern auch die komplette Band zerbrach. Ab 2001 kam es immer wieder mal zu Reunions und die ein oder andere Live-Scheibe sowie auch Kompilation wurde veröffentlicht.

Ernsthaft zurückgemeldet hat sich die Band dann mit dem 2014er Album "Missing In Action". Die Band? Naja, ehrlicher wäre es gewesen die Scheibe als Soloplatte von Dale Bozzio zu bezeichnen, denn neben ihren Vocals ist als einziger Musiker darauf Billy Sherwood zu hören, der sämtliche Instrumente übernommen (und auch produziert) hatte. Und jetzt, 2020? Ein neues Album ist da, aber was ist mit dem Personal? Da ist (natürlich!) Dale Bozzio, die musikalisch aber auch hier lediglich von dem Produzent der Scheibe, Adam Hamilton, (sowie auf zwei Tracks von Jürgen Engler an der Gitarre) unterstützt wurde. Okay, jetzt genug von den Nebenschauplätzen und mal mitten hinein in ein sehr interessantes Album.

Die Scheibe atmet nämlich eine etwas kalte und dennoch sehr anziehende düstere Post Punk-Stimmung, dominiert von Keyboards und einer gewissen Trostlosigkeit, die die meisten dieser gecoverten Tracks in ein ganz neues Licht rücken. Passend wie die Faust aufs Auge ist da das eröffnende "California Dreamin'" (von The Mamas & The Papas), das nach meinem Empfinden auch im Original trotz den sehr harmonischen Melodien immer schon etwas unterschwellig Brodelndes und Dunkles an sich hatte. In dieser neuen Version hört sich das Ganze wie ein lebendig gewordener Alptraum an, dem die Stimme der guten Dale die Faszination verleiht. Jene Stimme ist nämlich im Alter ähnlich gereift wie die der weiteren Ikonen Marianne Faithfull und auch Debbie Harry. Deutlich tiefer ist sie geworden, gezeichnet vom Leben und dessen unweigerlich mit ihm verbundenen, nicht immer so schönen, Erfahrungen.

Lediglich drei neue Original-Kompositionen haben es auf die Platte geschafft. Von diesen macht "Lipstick" den Anfang, behält die unheimlich wirkende Atmosphäre des Openers jedoch bei. Eigentlich auch kein Wunder, denn wenn ich den Track richtig verstehe, geht es hier um einen Serienmörder mit einem speziellen Fetisch. Direkt im Anschluss folgt der Titelsong, dessen Anfang tatsächlich ein bisschen was von der Faithfull-Version der Nummer "The Ballad Of Lucy Jordan" hat. Trotzdem eine klasse (ganz eigene) Gesangsmelodie, erneut gebettet in ein irgendwie unwirklich-beklemmendes Klangbild. Und die Platte lässt nicht nach, selbst wenn da manchmal von mir (im Original) eher nicht so geliebte Stücke wie etwa "Love Will Tear Us Apart" (Joy Division) durch die Missing Persons-Mühle gedreht werden. Und wie, denn plötzlich scheint diese Nummer einen ganz neuen Blickwinkel zu bekommen.

Selbst der Klassiker "We Gotta Get Out Of This Place" (The Animals) erfährt in dieser Aura eine neue Sichtweise. Keine mit unbedingt optimistischeren Zukunfts-Aussichten übrigens. Aaah, und dann ist da noch die im Original von den Rolling Stones Mitte der Sechziger eher kitschig gebrachte Warnung "Playing With Fire" (sic!), bei der es die gute Miss Bozzio schafft, einerseits wunderschön zu singen, eine Spur darunter liegend aber auch einen ganz bedrohlichen Ton zu legen – der Hörer nimmt die Warnung (»…so don’t play with me 'cos you play with fire…«) unvermittelt bzw. instinktiv ernst. Nur ein weiteres Highlight ist Ric Ocaseks (The Cars) "Just What I Needed".

Somit ist den Missing Persons und Dale Bozzio mit "Dreaming" ein richtig starkes, atmosphärisches und in seinen Bann ziehendes Album gelungen, das eher unter- statt überproduziert klingt. Düster ist es, aber es ist auch faszinierend, ansteckend und in einen Strudel ziehend. Diese Scheibe wird eventuell aufgrund ihres Sounds und der Stimmung nicht jeder mögen, daher empfehle ich zum Anchecken jetzt einfach mal "California Dreamin'", den Titeltrack, "Playing With Fire" sowie "Love Will Tear Us Apart". Der Rezensent ist begeistert, obwohl er mit dem hier zelebrierten Genre eigentlich gar nicht wirklich viel am Hut hat.


Line-up Missing Persons:

Dale Bozzio (vocals)
Adam Hamilton (keyboards, bass, programming)

With:
Jürgen Engler (guitar – #6,10)

Tracklist "Dreaming":

  1. California Dreaming
  2. Lipstick
  3. Dreaming
  4. We Gotta Get Out Of This Place
  5. Playing With Fire
  6. Just What I Needed
  7. This Is The Day
  8. Love Will Tear Us Apart
  9. Images Of Heaven
  10. Incense And Peppermints
  11. This Time
  12. In The Rain

Gesamtspielzeit: 45:39, Erscheinungsjahr: 2020

Über den Autor

Markus Kerren

Hauptgenres: Roots Rock, Classic Rock, Country Rock, Americana, Heavy Rock, Singer/Songwriter
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Mail: markus(at)rocktimes.de

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