Die Karriere des Engländers Ia(i)n Matthews war von Beginn an (und zumindest bis Mitte der Achtziger) von kurzlebigen Zusammenarbeiten mit Musikerkollegen bzw. seinen jeweiligen Bands durchzogen. Auch erfolgsmäßig ging es eigentlich wie bei einer Achterbahnfahrt zu, was einen Künstler über die Jahre schon mal ein paar Nerven kosten kann. Im Frühling 1967 stieg er bei der Folk-Band Fairport Convention ein, die er aber etwa zwei Jahre später nach einer Auseinandersetzung mit Ashley Hutchings wieder verließ. Es folgte die Gründung von Matthews Southern Comfort und die ersten großen Erfolge (u. a. mit der Single "Woodstock") stellten sich ein. Auch hier kam es zu vielen Personalwechseln, bevor Matthews der Band nach zwei Jahren wieder den Rücken kehrte. 1971 nahm er zwei Soloalben auf, im Jahr darauf stand mit Plainsong das nächste Projekt sowie eine weitere Scheibe an. Nachdem auch diese Combo kollabiert war, folgten weitere Soloalben, die aber alle keine nennenswerten Verkaufszahlen vorweisen konnten.
Woraufhin der Folkie bzw. Singer/Songwriter beschloss, dass er seinen Stil ändern, seine ganze Ausrichtung neu definieren musste. 1980 erschien "Spot Of Interference" und weitere Tourneen, womit wir dann im Jahr 1983 und der Einladung für einen Auftritt im Rockpalast angekommen wären. Die Kenner dieser älteren Konzerte (bis ca. Mitte der Achtziger) wissen bereits, dass bei den Auftritten im Hamburg immer schon eine etwas andere Atmosphäre herrschte, als vergleichsweise in der Essener Grugahalle oder in Köln. Die Markthalle ist deutlich kleiner und unmittelbar vor der Bühne wurde ein gutes Stück Platz für die Kameras gebraucht, sodass das Publikum relativ weit von der Band weg war.
Aber egal ob Singer/Songwriter, Folk oder die hier zelebrierte rockigere Ausrichtung (mit zeitgemäßen New Wave-Anflügen), man kann dem Briten ganz sicher nicht absprechen ein großartiger Songwriter zu sein. Nach dem (zumindest auf der Studio-Version) fulminanten Opener "Nine o’Clock" folgt mit "For The Lonely Hunter" das erste Highlight. Selbst, wenn ich persönlich sehr hohe Gesangsstimmen nicht sonderlich mag, passt das zu diesen Tracks wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. Danach folgt praktisch ein Killersong dem nächsten und "Blue Shirt", "See Me", "Sights In Manhattan" oder auch "I Survived The Seventies" sind die wohl stärksten Titel. Mit Neil Youngs (bzw. Buffalo Springfields) "Mr. Soul" hat sich ein (gut gebrachter) Coversong dazu gesellt und mit "Over Under Sideways Down" greift Matthews noch einmal tief in seine Repertoire-Kiste an Coversongs.
Die anderen Bandmitglieder stammten teilweise aus Seattle (wo Matthews zu dieser Zeit wohnte), aber er hatte auch den zukünftigen The Kinks-Drummer Bob Henrit mit an Bord. Es kam immer wieder mal zu kurzen Konversationen mit dem Publikum, die gelegentliche Lacher abwarfen. Beispielsweise als jemand aus der Menge lautstark einen Hit verlangt (»Gimme a Hit!«), was der Engländer dann aber süffisant-lachend mit »Nein, IHR müsst MIR zu einem verhelfen!« (»No, YOU give ME a Hit!«) kontert. Herrlich. Die nicht ganz so starken Stücke auf der Studio-CD sind diejenigen, wenn die Musik zu sehr in die damals angesagten Wave-Klänge abdriftet (z. B. "Shorting Out", "Hearts On The Line" oder "I Can’t Fade Away"). Beim Konzert kommt dieser Punkt – alleine schon durch die fehlenden Synthesizer und Keyboards – deutlich weniger zum Tragen und insgesamt bleiben die starken Tracks sowieso nicht nur deutlich in der Überzahl, sondern auch ganz hervorragend im Ohr hängen.
Nicht sehr lange nach diesem Auftritt zog sich ein desillusionierter Iain Matthews erstmal für einige Jahre komplett aus dem Business zurück, bis er 1988 mit "Walking A Changing Line" wieder zurück war und wieder regelmäßig Alben veröffentlichte. Diese DVD vom Rockpalast-Auftritt im Dezember 1983 ist ein tolles Zeitdokument mit überwiegend sehr starken Songs, wenn sich der Engländer auch nicht unbedingt auf seinem eigenen stilistischen Terrain befand.
Ein toller Bonus ist allerdings, dass sämtliche der live gespielten Nummern hier auch nochmal in ihren Studioversionen auf einer zusätzlichen CD beigefügt wurden. Was besser gefällt, darf dann natürlich jeder für sich selbst entscheiden.
Line-up Iain Matthews:
Iain Matthews (guitar, vocals)
Dave Wintor (bass)
Bob Metzger (guitar)
Bruce Hazen (guitar)
Bob Henrit (drums)
Tracklist "Live At Rockpalast – Hamburg 1983":
- Nine o’Clock
- For The Lonely Hunter
- Blue Shirt
- See Me
- Driftwood From Disaster
- She May Call You Up Tonight
- Shorting Out
- Sights In Manhattan
- I Survived The Seventies
- Hearts On The Line
- I Can’t Fade Away
- Civilisation
- Lies
- Out Of My Range
- Over Under Sideways Down
- Mr. Soul
- For The Lonely Hunter
(Tracklist sowohl für DVD, als auch beide CDs)
Gesamtspielzeit: 90:00 (DVD), 77:31 (CD 1), 65:05 (CD 2), Erscheinungsjahr: 2016 (1983)
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