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Joe Satriani / Shapeshifting – CD-Review

Joe Satriani / Shapeshifting

Joe Satriani hat sein neuestes Album "Shapeshifting" genannt, was nichts anderes als Gestaltverwandlung bedeutet. Doch hat er sich wirklich derart nachhaltig verändert, dass man hier mit völlig neuen Konzepten und Sounds rechnen muss? Dem ist nicht so und das ist auch gut so.
Wenn man wie ich die älteren Sachen mag.

In den späten Achtzigern und frühen Neunzigern war ich ein glühender Fan des neuen Saitenvirtuosen aus Long Island, NYC. "The Extremist" war damals eine meiner Lieblingsscheiben und die eher getragene, sehr melodische Nummer "Crying" untermalte in der damaligen Fußball-Sendung Ran den Abspann, begleitete mich ins Basislager des Cho Oyu nach Tibet und das geniale Nachfolgealbum "Time Machine" mit seiner Bonus-Live-CD wurde mein Schrittmacher Ende 1993 in der Atacama-Wüste von Chile. Mit dieser Musik (und ich hoffe nicht nur mit der) gewann ich damals die Freundschaft unseres chilenischen Begleiters Andres, einem Extremkletterer und leidenschaftlichen Skifahrer, auf dem Weg zum zweithöchsten Berg Südamerikas. Joes Saitenkünste inspirierten ihn genau wie mich und zum Leidwesen der übrigen, meist mindestens zwanzig Jahre älteren Mitreisenden dudelte Andres meine Kassette bei unseren endlosen Fahrten im Jeep durch ewige Endlosigkeit bis zur selben. Wir beide hatten jedenfalls unseren Spaß – die anderen standen am Rande des Nervenzusammenbruchs.

Zu meiner großen Freude hat das neue Album eine Menge von jenem Spirit aus den Gründertagen. Komplett instrumental kommt es wieder mal daher, doch Joes virtuos fließendes Gitarrenspiel und seine immer von musikalischen Ideen strotzenden Kompositionen machen jeden Gesang redundant. Man vermisst ihn schlichtweg nicht. Souverän lässige Grooves, einschlägige Hooklines und überragend auf den Punkt präsentierte Licks voller Energie und mit spielerischem Einfallsreichtum unterhalten uns bestens. Vorwärts gerichtete Nummern wie der aggressive Titelsong gleich zu Beginn oder das nicht weniger attackierende "Nineteen Eighty" reißen mit und treiben uns sprichwörtlich durch den Saal. Es ist die hohe Spielkunst gerade in diesen Phrasierungen, die ohne Schnörkel und Schnickschnack eine unglaublich hohe Intensität gewinnen – weil der Junge einfach saugeil Gitarre spielen kann.

Und es wäre nicht Joe Satriani, wenn er nicht immer wieder auch eine schöne Ballade einfließen ließe. Nie allzu dramatisch, eher romantisch gestalten sich seine Ausflüge in die Welt der leiseren Klänge und streicheln ein bisschen die Seele, erstmals in dem atmosphärisch sehr dichten "All For Love". Liebe ist ein Thema, das Joe Satriani immer wieder gern in seiner Musik interpretiert – und  auch seinen Liebsten hat er dabei seine Referenzen erwiesen. Frau Rubina bekam mehrere Widmungen, unvergessen die gleichnamige Live-Interpretation auf dem schon zitierten Album "Time Machine" und auch Sohn Z.Z. erhielt einst sein kleines Denkmal mit einem Song. So macht man das mit Menschen, die einem nahe stehen. Tolles Bekenntnis, Joe.

Wunderschön elaboriert das Solo auch in dem herrlich getragenen Blues "Teardrops", eine großartige Gitarrennummer mit Gänsehauteffekt. Nur die stilistischen Klatscher, die wir auch in einigen anderen Songs bewundern dürfen, müsste ich nicht unbedingt haben. Ist aber reine Geschmackssache. Umso gelungener aber ist der Übergang auf das optimistisch schwebende "Perfect Day", sozusagen eine Ode an die Freude auf Satriani-Art.

Im erdigen "Spirits, Ghosts And Outlaws" gibt es ein paar stilistische Vergleiche zu einem jungen Mann, der in der amerikanischen Blues-Szene seit ein paar Jahren für Furore sorgt. Ryan McGarvey, den unser RockTimesJoe bereits mehrmals unter die Lupe genommen hat, bringt ab und an auch solche instrumentalen Kracher und er spielt sie ganz ähnlich wie hier.

Und wieder sind es die stimmigen Kontraste zu den nächsten Songs, zunächst voluminös und ein bisschen experimentell in "Falling Stars", nur um in das warme, pianogetragene "Waiting" einzutauchen. Auf diese Weise hält Joe den Spannungspegel allezeit hoch, auch wenn er sich eben nicht gerade neu erfindet, wie es der Albumtitel hätte vermuten lassen. Wo Satriani draufsteht ist halt auch Satriani drin, seine Fans wird es freuen.

Dass die Musik insgesamt derart souverän rüber kommt, darf man getrost auch ein wenig dem Co-Produzenten Jim Scott zuschreiben, der mit einigen sehr namhaften Vertretern der Rockmusik wie den Foo Fighters, Red Hot Chili Peppers oder Tom Petty And The Heartbreakers unterwegs war. Und er fand Begleitmusiker, die eine ähnliche Vita aufweisen, Kenny Aronoff (John Fogerty) oder Chris Chaney (Jane’s Addiction) gehören zu einem prominenten Line-up, da ist jemand ganz auf Nummer Sicher gegangen. Aber auch das ist Joes Stil, er gilt als musikalischer Perfektionist.

Ich habe Joes Weg irgendwie aus den Augen verloren, als er sich mit Deep Purple zusammentat. Deep Purple, die Band meiner Jugend und Joe, dessen Musik ich liebte? Für mein Empfinden gehörte das nicht zusammen und ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich mir das Resultat bis heute nicht angehört habe. So sind denn die All-Star-Geschichten G3 und Chickenfoot natürlich nicht gänzlich an mir vorüber gegangen, besonders beschäftigt habe ich mich mit ihnen nicht. Umso schöner, dass "Shapeshifting" all diejenigen ins Boot holt, die gerade die ersten Jahre von Joe Satriani mit Begeisterung begleitet haben.

Einer der talentiertesten Musiker seiner Generation liefert ein lässiges und stimmiges Album ab, durchgängig und ohne Hänger. Er bleibt sich und seinen Wurzeln treu. Hoch virtuoser Gitarrenrock, der niemals kopflastig wirkt.


Line-up Joe Satriani:

Joe Satriani (guitar)
Eric Caudieux (keyboards)
Kenny Aronoff (drums)
Chris Chaney (bass)

Guests:
Lisa Coleman (piano)
Christopher Guest (mandolin)

Tracklist "Shapeshifting":

  1. Shapeshifting
  2. Big Distortion
  3. All For Love
  4. Ali Farka, Dick Dale, An Alien And Me
  5. Teardrops
  6. Perfect Day
  7. Nineteen Eighty
  8. All My Friends Are Here
  9. Spirits, Ghosts And Outlaws
  10. Falling Stars
  11. Waiting
  12. Here The Blue River
  13. Yersterday’s Yesterday

Gesamtspielzeit: 46:36, Erscheinungsjahr: 2020

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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4 Kommentare

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  1. Michael Gindra

    Naja, da gab es leider kein Studio-Output aufgrund vertraglichen Verpflichtungen von Satriani. Aber eine Tour mit ihm gab es 1994 schon. Nachzusehen unter https://www.youtube.com/watch?v=IyN99q8Wo9k und https://www.youtube.com/watch?v=6VtukkIKsII

    Viel Spaß und Grüße aus Mainz

    Michael

    1. Michael Breuer

      Danke Michael für die coolen Links,

      was für ein starkes Bild eines großen Musikers. Joe trifft Ritchies Spirit in den Klassikern perfekt, bleibt aber immer auch Joe. „When A Blind Man Cries“ gibt mir gerade die Breitseite. Joe phrasiert teilweise fast eher wie Hendrix, er muss berührt worden sein von den Göttern des R’n’R.
      Ich hab Purple nur einmal live gesehen, damals mit Mark II, 1985 auf dem Maimarktgelände in Mannheim – denn damals wohnte ich unter der Woche berufsbedingt in Mainz!
      Unser Markus aus der Redaktion war übrigens auch dabei.
      Mein Favorit ist aber immer noch Joes Hymne an seine Frau Rubina auf Time Machine, wie kann man eine Liebeserklärung besser in Rockmusik gestalten als dort? Unbeschreiblich…

      LG
      Michael

  2. Michael Gindra

    Siehst Du Michael,

    so unterschiedlich sind die Herangehensweisen an diverse Künstler. Kenne ich Deep Purple schon seit 1970 als kleiner Steppke, so bin auf Joe Satriani erst durch seinen Einstieg bei Deep Purple aufmerksam geworden. Nach dem ich mir das Doppelalbum Time Machine zugelegt hatte, habe ich keine seiner Veröffentlichungen mehr verpasst und auch Chickenfoot steht unter anderem als Sammler-Edition-Mega-Box in meinem Schrank. Genialer Musiker und als Gitarrenmeister instrumentaler Stücke immer noch ein Genuß und fast noch ein Geheimtip.

    Gruß,
    Michael G.

    1. Michael Breuer

      Hallo Michael,

      ja, genau das macht es so spannend. Es gibt viele Wege, die zum Ziel führen. Innerhalb der Redaktion haben wir uns erst vor einigen Tagen darüber ausgetauscht, wie unterschiedlich wir uns beispielsweise Lou Reed genähert haben.
      Immerhin, jetzt hast Du mich doch neugierig gemacht auf Joes Zeit bei Deep Purple, da muss ich mal ein wenig nachsitzen.

      Grüße aus Duisburg,
      Michael B.

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