Mit dem Album The Idiot sowie der Hilfe seines Freundes David Bowie hatte sich Iggy Pop wieder aus dem Sumpf seiner Vergangenheit rausziehen können. Es dauerte zwar nicht sehr lange, bis er zu seinem exzessiven Lebensstil zurückgefunden hatte, aber immerhin war er wieder im Geschäft. Nachdem die genannte Scheibe im März 1977 erschienen und die dazugehörige Tour beendet war, zogen sich die Musiker umgehend wieder ins Studio zurück um mit "Lust For Life" die Platte zu kreieren, die bis heute Iggys erfolgreichste und – wie oft statiert – und beste ist. Von der Band waren Pop selbst, David Bowie und der Gitarrist Carlos Alomar übrig geblieben, die für diese neue Produktion durch die Brüder Tony (bass) und Hunt Sales (drums, beide waren in den späten Achtzigern mit Bowie auch Mitglieder der Band Tin Machine) sowie den zweiten Gitarristen Ricky Gardiner ergänzt wurden. Und natürlich entstand auch diese Scheibe in Berlin.
Um den größten Unterschied zu dem etwas sperrigen "The Idiot" gleich mal vorweg zu nehmen, ist "Lust For Life" musikalisch deutlich offener, freundlicher und zugänglicher ausgefallen und verfügt darüber hinaus über sehr starke Songs. Das beginnt bereits mit dem irgendwie polternden, aber dennoch sehr powervollen Titeltrack, der uns eine kleine Einsicht (»Here comes Johnny Yen again, with the liquor and drugs, and the flesh machine, he’s gonna do another striptease…«) in Pops vergangenes, aber auch gegenwärtiges Leben (»I’m through with sleeping on the sidewalk, no more beating my brains, with the liquor and drugs …«) gibt. Am Schluss der Nummer taucht besungener 'Johnny Yen' dann (»… with the liquor and drugs …«) zwar doch wieder in Iggys Leben auf, was – wie er feststellt – aber doch besser zu ihm passt als dieses Ding, das 'Liebe' genannt wird und in etwa so schwierig zu handeln ist, als versuche man Hühner zu hypnotisieren.
Zum anderen war hier mit "The Passenger" Iggy Pops wahrscheinlich bekanntester, zumindest aber sein größter Hit vertreten. Ein nächtlicher Ritt durch das Berliner U-Bahn-System mit zwar nicht sehr aussagekräftigem Text, dafür aber einem unwiderstehlichen Groove, der von dem Gitarrist Ricky Gardiner sowie der Rhythmusabteilung stammt. Selbst, wenn die letzten beiden Stücke der Scheibe etwas abfallen, sind hier noch einige weitere Perlen zu finden. Bekannter dürfte "Tonight" alleine schon deshalb sein, weil David Bowie das Stück für eine Single sowie sein gleichnamiges Album aus dem Jahr 1984 noch einmal verwendete, auf dem sogar noch vier weitere co-componierte Tracks von Iggy Pop zu finden sind.
Auf dem sehr bluesigen "Turn Blue" finden wir ein kurzes Gespräch Zwischen Iggy und Gott, während dem Protagonist bei "Sixteen" der Verstand (natürlich nur künstlerisch) in die Hose rutscht und bei "Success" auch nochmal die Widersprüchlichkeit und der Wahnsinn eben jenes Erfolgs beleuchtet wird. Den man laut Pop auch mal haben kann, während man sein Leben in Wirklichkeit eigentlich in der Gosse verbringt. Sehr stark kommt auch das (gesanglich von Bowie inspirierte) "Some Weird Sin". Die Musik alleine fährt schon sehr viel Power auf, die Gitarren haben feine Licks am Start und auch Iggy ist gesanglich in topform. Was sich dann in einem hammerstarken Refrain entlädt, der dem Rezensenten schon seit Tagen nicht mehr aus den Ohren will.
Letzten Endes darf man Iggy Pops "Lust For Life" mit reinem Gewissen den Status 'Klassiker' anheften. Wenn man sich nur eine einzige Scheibe des Amerikaners in die Sammlung stellen wollte, wäre dieses Album meine Empfehlung. Wer dann tiefer graben möchte, sollte sich keinen Zwang antun und sich aus dem reichen Back-Katalog bedienen. Dabei aber bitte auch keinesfalls die (vor allem frühen) Alben der Stooges vergessen!
Als zweite CD ist hier die offiziell im Jahr 1978 erschienene Live-Scheibe "T.V. Eye: 1977 Live" enthalten, die die Bonus-Live-CD von "The Idiot" hinsichtlich der Soundqualität deutlich schlägt, ihren wahren Charakter dennoch nicht verbergen kann. Veröffentlicht wurde sie im Original damals lediglich noch zur Erfüllung von Iggys Vertrag mit dem Label RCA, dem er noch eine Scheibe ’schuldete', aber keine neuen Songs mehr geben wollte. Die enthaltenen Tracks sind erneut klasse, aber man kann schon auch deutlich hören, dass hier viel zu viel Hall draufgelegt und keine Arbeit mehr reingesteckt wurde. Immerhin ein offizielles Album als Bonus oben drauf.
Sowohl die Deluxe Edition von "The Idiot" als auch die hier besprochene von "Lust For Life" sind Bestandteile einer 7CD-Box, die zeitgleich unter dem Namen "The Bowie Years" erschienen ist und weiteres Material auf zusätzlichen drei CDs enthält.
Line-up Iggy Pop ("Lust For Life"):
Iggy Pop (lead vocals)
Carlos Alomar (guitars)
Ricky Gardiner (guitars)
David Bowie (piano, keyboards, organ, background vocals)
Tony Sales (bass, background vocals)
Hunt Sales (drums, background vocals)
Tracklist "Lust For Life – Deluxe Edition":
- Lust For Life
- Sixteen
- Some Weird Sin
- The Passenger
- Tonight
- Success
- Turn Blue
- Neighborhood Threat
- Fall In Love With Me
- T.V. Eye
- Funtime
- Sixteen
- I Got A Right
- Lust For Life
- Dirt
- Nightclubbing
- I Wanna Be Your Dog
Gesamtspielzeit: 41:10 (CD 1), 36:08 (CD 2), Erscheinungsjahr: 2020 (1977, 1978)
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