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Snatch-Back / Ride Hard Run Free – CD-Review

Snatch-Back / Ride Hard Run Free

Da geht dem geneigten NWoBHM-Fan doch das Herz auf: Wieder mal besinnt sich eine der alten Bands dieser sagenumwobenen Ära ihrer Tugenden und haut ein feines Album raus. Heute ist die Rede von Snatch-Back, einer Mitte der siebziger Jahre im Nordwesten Englands gegründeten Formation, die so NWoBHM ist, wie man es nur sein kann. Wie so viele Kollegen jener Zeit haben sie es damals nie über mehr als nur eine Veröffentlichung hinaus gebracht – in unserem Fall hieß die 45er "Eastern Lady" und kam 1979 auf den Markt. Material für mehr war da, Ideen auch, allein es fehlte an wirklichen Gelegenheiten. Und so gab es 1982 zwar noch Studio-Aufnahmen für ein neues Album, woraus jedoch erst 2016 eine limited edition Audio-Kassette wurde. Die Band hatte sich als eines der vielen Opfer sterbender Clubs, dem Aufkommen anderer, angesagterer Genres und allgemeiner Perspektivlosigkeit zwischenzeitlich in dem Winterschlaf begeben.

Vorgespult ins Jahr 2016 und wie so manch andere Combo taucht auch Snatch-Back wieder aus der Versenkung auf – im originalen Line-up – veröffentlicht endlich vorgenannte Kassette und bald darauf auch die EP "Back In The Game". Mit diversen Zeitgenossen von früher geht es für ein sicherlich überschaubares, aber dafür umso loyaleres Publikum von nun an wieder an die Arbeit. Man tritt auf, man schreibt Songs und zum Jahreswechsel erscheint, ja, das Debütalbum "Ride Hard Run Free", das dann auch den Weg auf des Rezensenten Schreibtisch gefunden hat.

Snatch-Back stellen bei den neun regulären Songs mehr als eindrücklich unter Beweis, dass sie ihre Fertigkeiten nicht verloren haben. Als kleinen Bonus hauen sie auch noch zwei Live-Mitschnitte von 1978 ("Star", "First Refusal") sowie das 1982er Stück (von der Kassette) "Boogie Shoes" mit zu den Tracks auf "Ride Hard Run Free". Und um nur ja keine Zweifel aufkommen zu lassen, weshalb sie hier angetreten sind, ist das Intro zum Opener und Titeltrack direkt erstmal ein fetter aufheulender Motorrad-Motor. Der Song selber kommt eher aus der härteren Ecke und treibt den Hörer sofort aus dem Sessel. Überhaupt sind so einige der Tracks eher im Heavy Metal oder Heavy Rock zu verorten – klare Einflüsse Motörhead’scher Spiel- und Singweise hört man auch immer wieder im Verlauf der Scheibe.

"Ride Hard Run Free", obwohl rund 35 Jahre nach dem Ende der NWoBHM veröffentlicht, verkörpert diese Ära wie kaum ein zweites Album. Nicht nur die Provenienz der Musiker, auch das Songwriting und die Kompositionen stehen für alles, was diesen klassischen britischen Hard Rock so liebenswert macht. Wir haben auf der einen Seite Songs der härteren Gangart, wie das bereits erwähnte Titelstück. Andererseits gibt es Stücke wie das unmittelbar darauffolgende "Killer", das zwar einen kernigen, treibenden Grundrhythmus aufweist, dabei allerdings auch Komponenten beinhaltet, die ihm eine gewisse 'Leichtigkeit' geben, wozu besonders auch der Gesang John Cowleys beiträgt.

Hört man dagegen "Rock In A Cold Climate", so möchte man sich in Zeiten zurückversetzt wissen, in denen fernöstliche Einsprengsel an der Tagesordnung waren. Und genau so etwas ist symptomatisch für die NWoBHM gewesen – kein Einzwängen in immer nur ein und dasselbe Genre, sondern immer schön in einer erfrischenden Varietäten-Vielfalt gespielt. (Wer da mal einsteigen will, dem sei das Buch "Smokin Valves – 900 NWoBHM Records" ans Herz gelegt. Da findet man alles von Angel Witch über Budgie bis zu Vardis oder Wrathchild – unterschiedlicher geht es kaum.) "Hard Times" folgt direkt darauf und vertritt mit treibender Rhythmusabteilung und fettem Riffing wieder die knallharte Fraktion. Hinzu kommt der erneut an Lemmy erinnernde Gesang, den wir aber ganz bewusst nicht als Kopie verstanden wissen wollen. Nehmt Euch als Gegenpol dazu mal die an letzte Stelle gesetzte Live-Version von "First Refusal" vor und vergegenwärtigt Euch, dass das aus derselben Feder stammt, von denselben Musikern komponiert und gespielt wurde. Der erste Teil des Stücks erinnert an die frühen Siebziger (oder gerne auch noch Sechziger), Hippiemusik.

"Movin' Out" ist ein cooler Stampfer, den man ohne Anstrengung in eine verräucherte Biker-Kneipe transferieren kann. Schön groovender Grundrhythmus mit ab und an mal schreienden Gitarren, ganz so, wie es das headbangende Volk mag. Für mich eindeutig ein Anspieltipp! "On The Run" und "She’s Dead" beenden den regulären Teil der neueren Aufnahmen in nunmehr altbekannter Hard Rock-Manier, bevor das fast 40 Jahre alte "Boogie Shoes" mit zum Titel passender fetter Slide-Gitarre in Ohrwurmqualität als eines von drei Boni zur Geltung kommt. Die Live-Extras sind weiter oben schon erwähnt worden, besonders das abschließende "First Refusal".

Was bleibt zu sagen? Ein wohlgereiftes Debütalbum, für Freunde der NWoBHM oder des klassischen englischen Hard Rock ein Muss. Bleibt einmal mehr zu hoffen, dass die Jungs den Weg über den Brexit-Kanal finden und unsere Clubs unsicher machen. Ich wäre in der ersten Reihe dabei!


Line-up Snatch-Back:

John Cowley (vocals)
Ste Byatt (guitar, vocals)
Ian Wood (bass, vocals)
Steve Platt (drums)

Tracklist "Ride Hard Run Free":

  1. Ride Hard Run Free
  2. Killer
  3. Rock In A Cold Climate
  4. Hard Times
  5. Got Trouble
  6. Movin' Out
  7. On The Run
  8. She’s Dead
  9. Boogie Shoes
  10. Star
  11. First Refusal

Gesamtspielzeit: 50:15, Erscheinungsjahr: 2020

Über den Autor

Jochen von Arnim

Beiträge im Archiv
Genres: Blues, Rock, Heavy Metal

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