Heiliger Strohsack, was kommt denn da aus Cincinnati, Ohio, Feines in unsere Gehörgänge geflogen? Staubtrockener, virtuoser Blues- und Hard Rock eines klassischen Powertrios mit großer Lust an Improvisation und zarten Allüren für Heavy Rock, Soul und Jazz – deren Protagonisten sich auf ihrer Facebook-Seite anlässlich ihrer Referenzen als erstes zu Gov’t Mule bekennen? Da erfasst mich fast fröstelnde Vorfreude. Brass Owl heißt die Band und die CD kommt gleich mal handsigniert zum Rezensenten. Nun denn, folgen wir dem Flug der Messing-Eule hinein in ihr erstes vollständiges Album namens "State Of Mind".
Zunächst muss jedoch erwähnt werden, dass die Band im Prinzip nur aus Mastermind Brian Tarter und Lonny Buckley besteht, die Position am Bass hat man durch Brent Olds ergänzt. Wie sie das live handhaben, wenn es denn wieder live sein darf, weiß ich natürlich nicht.
Das Songwriting dieser mitreißenden Scheibe fällt als erstes auf, die spannenden rhythmischen Wechsel und stilistischen Anleihen sorgen für jede Menge Abwechslung. Den roten Faden verlieren sie dabei nie, auch wenn sie gelegentlich zwischen Siebziger-Jahre-Hardrock zu den Kraftmeiereien der Seattle-Szene der Neunziger wechseln. Glänzte im Opener "Land Shark" noch das faszinierende Break mit einem sehr schönen klassischen Blues-Einschub, geht es in "Deuce Face" mit seinen mehrstimmigen Gesängen fast hinein in die hiesige Szene psychedelischer Heavy-Rocker, nur um in einen lässig groovenden und sehr jammigen Kracher überzuleiten. "Hook, Line, And Sinner" heißt das Ding und die Hooklines könnten tatsächlich auch bei den neueren Mule-Nummern angesiedelt werden – und das liegt hier auch und ganz besonders am aggressiven Gast-Bass. Sehr weit vom letzten Studio-Album der Maultiere sind wir nicht entfernt. Freude für den Mulehead, der sein Lieblingstier aus tiefstem Herzen vermisst!
Und dann zieht Euch mal das geile Stakkato in "No Filter / Stay Trendy" rein, da headbangt der Blueser gemeinsam mit den Heavies, verrückt, wie die Jungs so etwas organisch zusammen pflanzen.
Was mich am meisten beeindruckt, ist tatsächlich die Vielzahl an Variationen, derer sich die Band bedient. Ich kann mir nicht helfen, immer wieder tauchen tief im Hinterstübchen die Sounds von Molly Hatchet in meiner Birne auf. Nein, wir sind nicht wirklich im Southern unterwegs, aber die jammigen Improvisationen und ein bisschen auch der starke Gesang von Brian führen mich immer wieder auf diese Leim-Spur. "Side Effect" fällt mir dazu ein, später auch das funkige "Jive Turkey".
Hab ich schon erwähnt, dass Brians Solo-Einlagen auf der Gitarre mächtig Betrieb machen? Kein Wunder, dass man keine Scheu davor empfindet, sich ab und zu auch ein wenig in die Nähe des Jazz zu orientieren. "The Legend Of F.U.J.I.M.O." ist eine geile Nummer, die auch einem Robben Ford gut zu Gesicht gestanden hätte, doch bei Brass Owl klingt es nicht so klinisch, da brechen die Rock-Gene immer wieder durch, diese Nummer geht ab wie ein Ohrgasmus. Schön auch, wie das Hauptthema immer wieder beruhigt, während in den Improvisationen mehr als ein Bär steppt. Interessanterweise darf sich der Schlag gerade dann besonders virtuos austoben, wenn die Saiten eher zur Ruhe gemahnen. Geil, wie hier mit Kontrapunkten gearbeitet wird, das bleibt in der Rübe hängen.
Eine Referenz darf ich dann doch nicht unterschlagen. Im schon zitierten ""Jive Turkey" finden wir im Schlusspart eine herrliche Verknüpfung zur Musik von Robin Trower und seinem Meisterwerk "Bridges Of Sighs", genau auf den Vibes sind Brass Owl hier unterwegs.
Am Ende wird es ’native'. Eingeleitet durch das auf diesem Album untypische akustische "Hoka Hey" mit einer Flöteneinlage, die auf der Plattenhülle und auch den Band-eigenen Webseiten nicht näher beschrieben und zugeordnet wird. Macht nichts, denn diese schöne, melodisch sanfte Nummer fängt uns ein und wir spüren förmlich den Hauch des Windes über dem Meer, wenn die Orcas ihre Silhouette in den Horizont zaubern. Mist, da bin ich schon wieder in Seattle oder im kanadischen Vancouver. Sind halt Assoziationen, die mir eine Band aus Ohio erschafft, die aber der genannten Region auch nicht so ganz fremd zu sein scheinen – zumindest musikalisch. Und "Pale Horse" ist genau der krachend passende Abräumer zum Schluss mit genialen Hooklines und Melodien, die wie in einem wilden Regentanz eskalieren. Absolut abgefahren.
In Sachen Blues-orientiertem Rock knallt mich diese Scheibe aus den Schuhen, das Beste, was ich in dem Sektor seit langem gehört habe. Gerade weil die Jungs so hinreißend in fremden Gefilden hamstern. Und die jammigen Attitüden geben mir den Rest, da sind tatsächlich ein paar Maultier-Gene mit im Spiel, yeah, that’s my mule. Einst hat mich die Eule durch eine herrlich Zeit inmitten der Stoner-Familie begleitet, sie war sozusagen das Wappentier meiner Freunde von Been Obscene. Nun hab ich wieder so ein Federvieh gefunden, das mich verrückt macht. Wenn auch aus Messing. Anscheinend sind Esel und nachtaktive Mäusefresser mein Schicksal. Die Brass Owl ist ein Geschenk der Götter des Rock ’n' Roll, wer die verpasst, ist selber schuld. Denn sie sind ein echtes Naturereignis!
Line-up Brass Owl:
Brian Tarter (guitar, vocals)
Lonny Buckley (drums)
Brent Olds (bass)
Tracklist "State Of Mind":
- Land Shark
- Deuce Face
- Hook, Line, And Sinner
- No Filter / Stay Trendy
- Side Effect
- The Legend Of F.U.J.I.M.O.
- Jive Turkey
- Hoka Hey
- Pale Horse
Gesamtspielzeit: 43:22, Erscheinungsjahr: 2020
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