2019 war die Welt noch halbwegs in Ordnung – in Siegen und in weiten Teilen des Heimatplaneten, auch wenn der mehr und mehr unter der Belastung ächzte, die wir ihm tagtäglich zumuten. Green Orbit begaben sich im Oktober ins Studio, um ihr zweiten Album aufzunehmen. Passend zu der fuzzig, psychedelischen Ausrichtung der Musik wählte man ein spaciges Thema für den Albumtitel, "Supernova", sehr schön adaptiert in der Cover-Art der Vinyl-Umhüllung. Die Impuls- und Lichtwelle eines zerberstenden Sterns als Allegorie auf eine elektrisierende Musik, das passt!
Angesichts dessen, was dann 2020 über uns alle hereinbrach, mag man den Titel des ersten Albums gar nicht ins Gedächtnis rufen. "First Wave" würde in Corona-Zeiten eine sehr schräge Aktualität gewinnen und man muss den Göttern des Rock’n’Roll danken, dass niemand auf die Idee gekommen ist, das Zweitwerk in Analogie mit "Second Wave" zu betiteln. Zweite Wellen wollen wir momentan alle nicht.
Als erste Referenz, da kommt man bei solch einer Musik nicht herum, muss ich natürlich Colour Haze zitieren. Kein Wunder, die haben die gesamte europäische Szene seit mehr als zwei Jahrzehnten infiziert, um es hässlich zeitgemäß zu formulieren. Das zeigt sich besonders in den mäandernden Gitarren, die psychedelisch meditieren und sich dann plötzlich in Energie geladene Breaks katapultieren. So wie es Rotor gerne tun, es wundert nicht, dass man auch die als Einflussgeber auf der bandeigenen Website benennt. Zusammen mit dem verfremdenden, leicht sphärischen Klang des Didgeridoo(m), das wirklich eine schöne, doomige Atmosphäre zwischen Rhythmusfraktion und eskalierender Gitarre legt, erlangt man einen fast transzendentalen, esoterischen Fluss der Energie. Das klingt ein bisschen nach Samsara Blues Experiment? Na klar!
So entsteht eine Phalanx gleichgesinnter, heimischer Musiker zwischen Stoner und Psych und das war die Welt, die für mich einige Jahre so etwas wie meine zweite Heimat darstellte – eine geile Zeit mit toller Musik und tollen Freunden.
Green Orbit sind mitten drin in dieser Welt. Luko, der Bassmann, ist der Kassenwart beim Freak Valley Festival, er ist seit ewigen Zeiten Mitglied der Rock Freaks Siegen. Dort, wo ich selbst ein paar Jahre mitmachen durfte.
Was die Band perfekt beherrscht, ist das Spiel mit der Intensität. Der stete Wechsel zwischen meditativen Parts zu wilden Riffs und fuzzigem Solieren weckt bei mir wehmütige Erinnerungen an Zeiten, als The Machine aus der Gegend von Rotterdam sich noch voll und ganz dem Jam und Heavy Psych Blues verschrieben hatten. Hört Euch mal "Zero Gravity" im Bewusstsein von "First Unique Prime" an, dann wird man mich verstehen. Herrlich wird das Tempo verschleppt, gibt es entspannt dahin treibende Momente, nur um im nächsten Moment mit brachialer Keule dazwischen zu schlagen. Und Lukos' Bass brummelt oftmals genauso böse und aggressiv wie einst der von Hans van Heemst. Hier wird die "Zero Gravity", die Schwerelosigkeit, sozusagen kontrapunktiert zwischen vorsichtiger Reflexion und ausgesprochenem Krawall, eine coole Erfahrung.
"Antigonae" ist im Original eine ziemlich alte Dame aus Griechenland, die die Tochter des Herrn Ödipus gewesen sein soll. Hab ich nachgelesen, ich bin mit der griechischen Saga nicht wirklich eng vertraut. Dieses ausgesprochen auf Rhythmus und Stoner abzielende Stück nehme ich einfach mal als Hommage an die erstaunlichen Aktivitäten Griechenlands in diesem Sektor und vielleicht auch als Zitat der ehedem staubtrockenen Meister der tiefen Saiten, der 1000mods. Die haben sich aber gerade in eine völlig andere Richtung entwickelt, in ihren Ursprüngen wären sie der "Antigonae" sehr nah gewesen.
Waren wir bis hierhin schon sehr jammig unterwegs, toppt die B-Seite mit der psychedelisch durchgeknallten Improvisation das Konzept noch einmal, man lässt sich einfach noch mehr Zeit, den Song driften und treiben zu lassen. Tief gestimmte Gitarren, der temporär murmelnde, doomige Soundteppich aus den Kulturkisten der Aborigines, die scheinbar endlosen, repetitiven Lines und die eruptiven Vukanausbrüche in den Soli vermitteln ein Bild vom Zerbersten einer Sonne. "Supernova" heißt halt der Song, und das Album eben auch. Wenn sich die Hirnwindungen des Enthusiasten gefühlt langsam auflösen, Fäden ziehen, die aufstreben zu fernen Universen und Dimensionen, dann weiß man, dass psychedelische Musik funzt. "Supernova" ist nur ein kleines Album mit drei Nummern, aber es wirkt wie eine geheimnisvolle Substanz und schenkt dem erfreuten Zuhörer einen heißen Flug mitten hinein in den grünen Orbit. Und das alles ohne Nebenwirkungen.
Nicht vergessen möchte ich an dieser Stelle wie schon vor ein paar Tagen eine weitere Formation, die sehr gut in dieses Konzept von Musik hineinpasst, auch wenn sie geografisch ein Stück weit entfernter ist als Berlin oder Rotterdam. The Re-Stoned aus Moskau sind auf ähnlichen Pfaden unterwegs. Ansonsten kann ich den Trip Green Orbit einfach jedem empfehlen, der mit den zitierten Bezugs-Bands etwas anfangen kann. Das tolle Album ist bei Rock Feaks Records erschienen und kann über die Webseite der Rock Freaks Siegen bestellt werden. Wer Stoner und Psychedelic Rock mag, wird auf seine Kosten kommen. Garantiert!
Line-up Green Orbit:
Tobias (guitar)
Luko (bass)
Michael (drums)
Caro (didgeridoom)
Tracklist "Supernova":
- Zero Gravity
- Antigonae
- Supernova
Gesamtspielzeit: 31:50, Erscheinungsjahr: 2020
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