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Leon Russell / Leon Russell And The Shelter People – CD-Review

CD-Review-Leon Russell-Leon Russell And The Shelter People

Den amerikanischen Musiker Leon Russell hatten wir euch bisher zweimal vorstellen können und witzigerweise nie mit einem Soloalbum, sondern jeweils mit Kollaborationen. Ebenso komisch ist auch der Zufall, dass es sich dabei um sein jeweils erstes (davor kam zwar noch "Look Inside The Asylum Choir", allerdings nur in einer Mini-Auflage) und bisher letztes Studioalbum handelt. Denn dazwischen lagen nicht nur quantitativ, sondern auch stilistisch viel(seitig)e Soloalben, von denen wir heute einen Klassiker und meinen Favoriten des Mannes aus dem US-Bundesstaat Oklahoma würdigen möchten.

Kurz zu den Ursprüngen: Mit knapp zwanzig Jahren zog Russell ganz bewusst nach Los Angeles, um dort als Musiker Karriere zu machen. Sehr bald schon war er ein vielbeschäftigter Session-Player (er ist unter anderem auf "Mr. Tambourine Man" von den Byrds und auch Rolling Stones-Alben der Sechziger zu hören), arbeitete mit Phil Spector und gehörte jahrelang der berühmt-berüchtigten Wrecking Crew an, den Top-Session-Musikern in der 'City of Angels'. Als Russell (der damals in der Szene bereits bekannt wie ein bunter Hund war und unter Musikern ein großes Gefolge hatte) gerade dabei war, sein erstes Soloalbum ("Leon Russell", 1970) aufzunehmen, kam es zu der Situation, dass Joe Cocker (der in dem Moment ohne Band da stand) von Managern zu einer US-Tour gezwungen wurde. Russell bot sich an, mit Musikern auszuhelfen, wenn ihm die Rolle als Musikalischer Direktor zugesprochen würde. Gesagt, getan (Cocker hatte auch gar keine andere Wahl) und das Projekt 'Mad Dogs & Englishmen' war geboren, das von März bis Mai 1970 durch die Staaten tourte. Diese Aktion ließ Joe Cocker am Ende zwar mehr tot als lebendig (und fortan in ein jahrelanges Loch fallend) zurück, warf aber immerhin mit einem Livealbum und einem Film zur Tour zwei großartige Dokumente ab, die es an dieser Stelle gleichwertig als Klassiker gewürdigt zu werden, verdient hätten.

Durch seine schon zuvor in England geschlossenen Freundschaften glänzte sein Debüt auch durch Gastbeiträge der Rolling Stones-Musiker Mick Jagger, Bill Wyman und Charlie Watts, der Beatles-Recken George Harrison sowie Ringo Starr oder auch Eric Clapton, wie vielen anderen. Als 1971 der Nachfolger "Leon Russell & The Shelter People" erschien, konnte die Scheibe zwar nicht mehr durch englische Gaststars Aufsehen erregen, dafür aber umso mehr mit der darauf enthaltenen Musik.

Was wir auf dieser Scheibe finden, ist ein geradezu genialer Mix aus Rock, Blues, Country und Soul. Im Besonderen wird das letztgenannte Genre durch Russells Gesang, aber auch die so aufgedrehten wie heißblütigen Background Vocals der Ladies Claudia Lennear und Kathi McDonald herauf beschworen. Wie schwierig die beiden Damen zu bändigen bzw. im Griff zu behalten waren, zeigt unter anderem der Anfang von "Crystal Closet Queen", als Russell eine der beiden (bereits in Fahrt) erstmal zurückpfeifen musste, damit der Song dann beginnen kann. Dieser Titel ist übrigens niemand anderem als Little Richard gewidmet. Geboten wird brodelnder Rock mit (wie immer auf dieser Platte) Hammer-Gesang und viel, viel Leidenschaft.

Wie sehr selbst ein Leon Russell zur damaligen Zeit von Bob Dylan beeinflusst und begeistert war, zeigen die sage und schreibe fünf hier enthaltenen Tracks (wobei auf dem Original-Album nur zwei landeten, die anderen drei sind auf dieser CD-Version als Bonustracks enthalten) von His Bobness. Und das, obwohl der gute Leon selbst ein begnadeter und auch quantitativ starker Songwriter war. Auf der Originalscheibe landeten ein sehr beherztes und (natürlich etwas anders arrangiertes, vom Piano dominiertes) "It’s A Hard Rain Gonna Fall" sowie das ebenso großartige "It Takes A Lot To Laugh, It Takes A Train To Cry". Letzteres beginnt mit einem 'Verspieler' am Piano, woraufhin aber – ohne groß Zeit zu verlieren – nochmal neu begonnen wird. Diese mit feiner Slide-Gitarre gebrachte Nummer stellt für mich auch heute noch (auf gleicher Höhe mit der Interpretation von Frankie Miller) die geilste Version dieses Songs dar.

Die bereits erwähnte 'Mad Dogs & Englishmen'-Tour erfährt hier durch "The Ballad Of Mad Dogs And Englishmen" nochmal eine würdige Nachbetrachtung. Lediglich Russell am Piano und Gesang, der diese drei Monate nochmal Revue passieren lässt bzw. versucht das Feeling während der Tour noch einmal einzufangen. Das Stück wurde konsequenterweise auch als Soundtrack zum Abspann der Verfilmung verwendet. Außer Dylan-Songs coverte der Amerikaner hier mit "Beware Of Darkness" auch eine George Harrison-Nummer, selbstverständlich erneut in der ganz eigenen Russell-Handschrift arrangiert und interpretiert. Der damalige Schlusstrack der Scheibe bringt nochmal die große Gänsehaut ins Spiel, vermischt mit etwas Psychedelic.

Das eröffnende "Stranger In A Strange Land" – eine absolute Hammer-Nummer mit genialen Melodien und Ohrwurm-Refrain – steht ebenfalls im Geiste Bob Dylans, zumindest was den Text betrifft. Wiederum (wie auch bei dem folgenden "Of Thee I Sing") haben hier die Background-Ladies einen ganz großen Auftritt und das Songwriting wie auch Arrangement sprechen bei beiden Stücken Bände bzw. ganz für sich. Ganz großes Kino, das leider etwas in Vergessenheit geraten zu sein scheint. Und dann ist da noch "Alcatraz", ein Song über den berühmten (bereits seit Jahrzehnten nicht mehr belegten) Knast auf einer Insel vor San Francisco. Eingespielt in England bekommt der Hörer hier einmal mehr die Vollbedienung aus souligen Vocals (ohne die Ladies), höllengeilen Gesangsmelodien und ungestümer, perfekter Unperfektheit (sprich Spontanietät). Auch hier wurde das Feeling (der Bauch) wieder der Perfektion (den Kopf) vorgezogen. Und das ist verdammt gut so!

Ohne jetzt wirklich auf jeden einzelnen der Songs (die ausnahmslos Juwelen sind) einzugehen, enthält die mir vorliegende CD-Version noch die drei bereits erwähnten Dylan-Songs als Bonus. "It’s All Over Now, Baby Blue" ist (wie könnte es anders sein?) richtig gut, kommt aber ebenfalls nicht an der ultimativen Fassung von Them vorbei. "She Belongs To Me" kommt sehr beschwingt, wobei hier klar wird, warum es ein Outtake wurde. Schlicht und ergreifend, weil die auf dem Original-Album gelandeten Tracks zwingender waren. Ein Highlight ist dagegen wieder "Love Minus Zero/No Limit", zu dem nur gesagt werden kann, dass es sehr schade ist, dass der Titel den Fans damals vorenthalten wurde.

"Leon Russell & The Shelter People" ist ein 'warmes' Album, eine Scheibe fürs Herz, die ich komischerweise (oder gerade deshalb) am öftesten und liebsten im Winter anhöre. Dieser unwiderstehlichen Mischung aus Rock, Soul, Blues und einem Schuss Country kann ich auch heute (ca. dreißig Jahre nach dem Erwerb meiner ersten Vinyl-Version) schlicht und ergreifend nicht entfliehen und jedes Mal, wenn ich sie nach Monaten wieder auflege, liege ich vor Ehrfurcht fast unter dem Tisch. Wer dieses Werk noch nicht kennt bzw. sein Eigen nennt, sollte dringend an seiner Platten-Einfkaufsliste arbeiten. Enttäuschung ausgeschlossen!


Line-up Leon Russell:

Leon Russell (piano, organ, guitars, lead vocals)
Don Preston (lead & rhythm guitars)
Joey Cooper (lead & rhythm guitars – #1,2,4,8,10)
Chris Stainton (lead & rhythm guitars – #5,6,11)
Jesse Ed Davis (lead & rhythm guitar – #3,12-14)
Jimmy Johnson (lead & rhythm guitar – #9)
John Gallie (organ – #1,2,4,8,10)
Jim Price (organ – #5,6,11)
Barry Beckett (organ – #9)
Carl Radle (bass)
David Hood (bass – #9)
Chuck Blackwell (drums – #1,2,4,8,10)
Jim Keltner (drums – #3,12-14)
Jim Gordon (drums – #5,6,11)
Roger Hawkins (drums – #9)
Claudia Lennear (background vocals – #1,2,4,8,10)
Kathi McDonald (background vocals – #1,2,4,8,10)

Tracklist "Leon Russell And The Shelter People":

  1. Stranger In A Strange Land
  2. Of Thee I Sing
  3. It’s A Hard Rain Gonna Fall
  4. Crystal Closet Queen
  5. Home Sweet Oklahoma
  6. Alcatraz
  7. The Ballad Of Mad Dogs And Englishmen
  8. It Takes A Lot To Laugh, It Takes A Train To Cry
  9. She Smiles Like A River
  10. Sweet Emily
  11. Beware Of Darkness
  12. It’s All Over Now, Baby Blue (CD Bonus Track)
  13. Love Minus Zero/No Limit (CD Bonus Track)
  14. She Belongs To Me (CD Bonus Track)

Gesamtspielzeit: 53:39, Erscheinungsjahr: 1989 (1971)

Über den Autor

Markus Kerren

Hauptgenres: Roots Rock, Classic Rock, Country Rock, Americana, Heavy Rock, Singer/Songwriter
Über mich
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Mail: markus(at)rocktimes.de

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