Ein neues Album der Electric Family, 20 Jahre Sireena … da lag es nahe, mit dem Musiker und Labelchef Tom 'The Perc' Redecker wieder einmal ein paar Worte zu wechseln.
RockTimes
Hallo Tom, das Jahr 2020 ist ein besonderes Jahr. Für dich und für uns alle. Da wäre erst mal die neue Platte deiner Electric Family, dann das 20-jährige Jubiläum deines Labels Sireena und auf der hässlichen Seite dieser Virus Covid-19. Lass uns erst mal über das neue Album Echoes Don’t Lie reden. Im Gegensatz zum Vorgänger Terra Circus, der zehn Jahre reifte, erblickte das neue Album bereits nach drei Jahren das Licht der Welt. Hat es euch unter den Nägeln gebrannt, endlich wieder neuen Output unter die Gemeinde zu bringen?
Tom:
Wir sind nicht überstürzt daran gegangen. Anfang 2019, also ein Jahr nach der "Terra Circus"-Tour, lagen die ersten Songideen vor, und wir haben im Alien Style-Studio von Rolf Kirschbaum mit dem Recording begonnen. Wie meist immer – zuerst ich allein mit meiner Gitarre. Die fertigen Demos gingen dann an die beteiligten Musiker, die sich ihren Part dazu ausdachten. So arbeiteten wir Schicht für Schicht, wechselten die Studios zwischendurch, ein Hin und Her, und Ende 2019 waren wir fertig mit den Songs.
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Songideen: Bevor ich da einhake, etwas zu den Demos. Mir ist klar, dass ein derartig großes Line-up nicht zusammen probt und dann ins Studio geht. Auch wenn alle Beteiligten Profis sind und mit Herz, Verstand und Können agieren. Ist es nicht schwer, so viele Leute unter einen Hut zu bekommen?
Tom:
Es ist viel mehr Verwaltungsaufwand als musikalische Zusammenarbeit. Aber mit Email und Telefon lässt sich das ganz gut erledigen. Man muss bereit sein, sich diesem Aufwand zu stellen, und in rund 24 Jahren hat sich das ganz gut eingespielt.
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Die musikalische Zusammenarbeit im Vorfeld eines neuen Albums ist ja der erste Schritt. Abgesehen von den momentan Restriktionen für Musiker bzw. Auftritten, es besteht doch eigentlich kaum die Möglichkeit, diese enorme Anzahl an Musikern gemeinsam auf die Bühne zu bekommen, um das neue Album auf Tour vorzustellen. Oder?
Tom:
Das ist richtig. Wir planen mit einer Kernmannschaft auf die Bühnen zu gehen und die übrigen Family-Mitglieder zu den Konzerten in ihrer jeweiligen Nähe dazu zu holen. Corona-bedingt sind die Konzerte, die wir für November 2020 geplant hatten, nun leider ins Jahr 2021 geschoben worden. Es wird also in absehbarer Zeit keine Live-Gigs mit uns geben.
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"Echo Room" wird somit dann nicht auf jeder Show gespielt werden können. Das ist schade, denn für mich ist die Oud, und somit auch Roman Bunka, die Entdeckung des Jahres. Sicherlich habe ich in meiner Sammlung auch Platten, auf denen eine Qud zu hören ist, aber richtig bewusst wurde mir dieses Instrument erst auf Bunkas Dein Kopf ist ein schlafendes Auto und dann auf dem Wahnsinnsstück "Echo Room" der Electric Family. Wird Roman auch in Zukunft zum großen Kreis der Familie gehören?
Tom:
Warum nicht? Bei "Echo Room" schwebten Rolf und mir die Oud von Roman vor, also haben wir ihn angemailt, ihm den Titel geschickt, und er hat gleich in München seine Oud dazu gespielt, aufgenommen und retourniert. Ich bin sicher, dass er wieder dabei ist, wenn die Oud zu dem Song passt.
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Cool, das bringt mich dann auch zu den Songideen. Fliegen die dir/euch zu, oder ist das mühsame Arbeit. Ich meine, nichts wiederholt sich, ihr covert euch nicht selbst und wiederholt euch auch nicht. Und trotzdem sind auf jedem Album ganz großartige Nummern.
Tom:
Ich kann jetzt natürlich nur für meine Songideen sprechen, und die fliegen mir wirklich nicht zu. Ich schreibe ständig Ideen nieder. Manchmal nur Sprachfetzen, manchmal ganze Sätze. Und daraus ergeben sich dann die Ideen für den Titel. Aber erst mit der Musik gemeinsam wird es dann zu etwas, was in Richtung Song geht.
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Jetzt sagst du was: Text. An den dachte ich gar nicht, sondern eher an die Melodien. Was ist denn schwerer, Text oder Musik?
Tom:
Ich denke schon, dass der Text mehr Zeit braucht. Aber es passiert gar nicht selten, dass der Text feststeht, aber die Melodie noch nicht. Siehe "Echo Room"! Den Text hatte ich geschrieben, aber mir fiel keine Melodie dazu ein. Ich habe den Text dann an Rolf geschickt, und dem fiel diese klasse Musik dazu ein.
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Irre, ich glaube für mich wäre es andersrum schwerer. Aber ich bin ja auch kein Musiker. Sag mal Tom, du bist ja quasi der Vater der Familie. Hast du ein musikalisches Lieblingskind? Welches der sechs Studioalben ist für dich das Beste? Immer das letzte, oder gibt es ein Album, das du für das beste oder gelungenste hältst?
Tom:
Ich mag sie wirklich alle und möchte keines hervorheben. Das aktuelle ist einem sicherlich temporär etwas näher, aber das ändert sich sofort, wenn man die Arbeit an einem neuen Album beginnt. Für manche ist wohl Tender das perfekte Family-Album, aber ich mag zum Beispiel Royal Hunt in seiner Rohheit auch sehr gern.
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Das neue mal außen vorgelassen, da "Echoes Don’t Lie" erst VÖ hatte, welches lief denn am besten? In den Medien wurden sie alle gelobt, gibt es ein Verkaufsranking?
Tom:
"Tender" hat sich am besten verkauft, das steht fest. Dann folgt glaube ich Ice Cream Phoenix. Was danach kommt, bin ich mir gerade nicht sicher. Wahrscheinlich das Debütalbum "Family Show".
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Dann schauen wir mal, wie das mit dem aktuellen Album wird. Ich bin sicher, das wird auch einschlagen. Eingeschlagen hat bei mir und meiner kleinen Familie zum Beispiel das Cover "Mini Mini" von Jacques Dutronc. Jeder, der die Pubertät schon ein paar Jahre hinter sich hat, kennt den Song – und hat ihn vergessen. Die Version der Electric Family hat dieses gewisse Etwas. Man kriegt das Teil nicht mehr aus dem Ohr. Wie kommt ein Tom Redecker auf dieses Stück?
Tom:
Ich mag Jacques Dutronc einfach sehr. Gerade seine minimalistischen Songs, die mich immer ein bisschen an Velvet Underground erinnern. "Mini Mini" war die Singlerückseite von "Et Moi, Et Moi", und genau diesen Song haben wir bereits mit Sun Temple Circus gecovert. Nun war einfach die Rückseite fällig.
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Ich liebe diesen Song (jetzt) auch. Das zweite Cover, "I’ve Been Waiting For You", stammt von Neil Young, den ich sehr schätze. Aber auch hier toppt die Family-Version das Original. Oder sagen wir mal so, eure Interpretation gibt dem Stück ein total anderes Fahrwasser. Gab es einen Grund, gerade dieses Stück von Neil zu nehmen?
Tom:
Ich habe den Titel Milla Kapolke (Grobschnitt, Green) vorgeschlagen, und er war sofort begeistert von der Idee, gerade diesen Titel von Neil Young zu covern. Ist ja keiner seiner bekanntesten Songs, stammt vom Debütalbum Youngs und ist eher ein kurzer Folkrocksong. Wir wollten den Titel etwas familymäßig aufmotzen, und das ist uns anscheinend gut gelungen. Milla hat dann seine Green–Band mit ins Studio gebracht (Rolf Möller / Extrabreit, Bubi Hönig / Extrabreit / Dewa Tattwa / Grobschnitt sowie Millas Frau und seinen Sohn Manu, der ja auch bei der letzten Grobschnitt-Besetzung dabei war. Wir haben dann "I’ve Been Waiting For You" in einem Studio in Hagen aufgenommen, am Mischpult saß mit Michael Danielak der Sohn von Grobschnitt-Sänger Willi Wildschwein. Ein wunderbarer Tag!
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Ja, das Aufmotzen ist in der Tat sehr gelungen und das Stück reiht sich perfekt in die Familienmusik ein. "Another Giant Leap", "Three Miles To Roswell" , "Sacred Land", "Strange Things" zum Beispiel. Irgendwo dazwischen "I’ve Been Waiting For You" gespielt und wer das Original nicht kennt, kommt im Leben nicht auf Neil Young. Das zeigt, dass man eigentlich nicht von covern reden sollte, sondern eher von interpretieren. Ich bin immer wieder begeistert, was man aus manchen Stücken machen kann. Ein weitere Hammer ist "What Is In Your Head, Fred", eine Nummer, die ihr bereits Anfang des Jahres für eure Fans als Single ausgekoppelt habt. Das Stück hat eigentlich das Potential zum Radio Hit, wäre dann da nicht plötzlich diese saugeile Gitarre, die so gar nicht ins Formatradio passt. Weißt du, wie dieser Track bei den Fans angenommen wurde?
Tom:
Ganz gut, da kamen doch etliche Glückwünsche zu der Nummer. "Fred" erschien ja lediglich als Download-Single, und ich denke, dass den Freunden der Electric Family dieses Format noch etwas fremd ist. Mir selbst auch im Übrigen. Von einem Verkaufshit konnte man bei der Single also nicht reden.
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Da geht es dir wie mir. Downloads und Streams sind nicht meine Welt. Aber momentan sind ja Streams leider in. Wegen diesem kleinen aber fiesen Virus, der gerade die Branche der Musiker extrem trifft. Euch sicher auch: Neues Album, da will man doch touren und die Platte vorstellen. Tut das nicht weh?
Tom:
Unbedingt. Unsere Agentur hatte uns eine feine kompakte Tour im November gebucht, die nun komplett ausfällt, bzw. verschoben wird. Das tut schon weh. Musiker wollen auf die Bühne, und es gibt nichts Schöneres als neue Songs live auszuprobieren. Aber wir können es ja nicht ändern.
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Es gab und gibt ja viele Versuche, ein klein wenig zu helfen. Gäste haben Aktionen organisiert, um ihre Clubs zu unterstützen, es gab Aufrufe, Merchandise und CDs von Bands zu kaufen, viele Musiker haben Wohnzimmerkonzerte gestreamt und vieles mehr. Auch wir haben die ein oder andere Aktion unterstützt. Du bist ja neben deiner Rolle als Musiker auch Chef des Labels Sireena. Konntest du ein gesteigertes Kaufverhalten feststellen?
Tom:
Wir stellen fest, dass unser Umsatz über den eigenen Webshop gestiegen ist. Vor allem während des Lockdowns. Das freut uns auf der einen Seite, auf der anderen Seite hätten wir gern weiterhin unsere Platten und CDs über den stationären Handel vertrieben. Hier vor allem über die vielen kleinen Plattenläden, die sehr engagiert agieren und eine Menge Herzblut in ihren Laden packen. Allmählich beruhigt sich ja alles wieder etwas, aber einige Läden werden nicht mehr aufmachen. Die Situation bleibt aber angespannt. Aber der Bedarf an physischen Tonträgern bleibt bestehen, da bin ich sicher!
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Am gesteigerten Umsatz bin ich mit Schuld, wir haben Corona-Masken bestellt. Das war übrigens eine tolle Idee. Die Masken sind sehr gut zu tragen und den Aufdruck trägt man auch gerne. Das bringt mich zu einem freudigen Ereignis: Das Label Sireena feiert in diesem Jahr 20-jähriges Jubiläum. Glückwunsch erstmal. Wir haben uns ja bereits beim 10-jährigen unterhalten. Zu der Zeit hättest du sicher nicht gedacht, auch einmal Atemschutzmasken im Shop zu haben. Wer hatte denn diese Idee?
Tom:
Das war eine spontane Idee. Das war ja noch am Anfang des Lockdown und Masken waren rar. Da haben wir uns entschlossen, selbst welche anzubieten mit Werbeaufdruck. Mit dieser Pandemie hat ja nun wirklich niemand gerechnet, uns hat sie zudem noch unser geplantes Fest zum 20-jährigen Jubiläum verhagelt. Das Knust in Hamburg war schon für den 26. September gebucht worden, eine Menge Sireena-Künstler hatten schon im Vorfeld zugesagt, auf die Bühne zu gehen, damit wir mit Freunden und Kollegen eine tolle Party feiern können. Das geht in diesem Jahr leider nicht. Wir wissen noch nicht, ob wir das Fest nachholen oder bis zum 25-jährigen warten.
RockTimes
Du denkst bereits an das 25ste. Das ist gut, denn das bedeutet, dem Label geht es gut. Wir werden also noch viele vergessene, verschollene, unbekannte und auch neue Scheiben bei Sireena finden. Hast du schon Namen, die du verraten kannst?
Tom:
Eine Menge Gespräche werden noch geführt, da kann ich öffentlich noch nichts festmachen. Aber die Freunde von NDW und Deutschrock dürfen sich freuen, wir werden auch die weiteren Alben von Fee auf CD veröffentlichen. Die Krautrock-Freunde dürfen eine Platte von Kickbit Information mit Uli Trepte und Carsten Bohn erwarten, ach ja, Frumpy wird von uns wohl auf Vinyl veröffentlicht. Für die Darkwave-Fraktion kommt ein brandneues Album von White Rose Transmission und dann mal weiterschauen.
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Kickbit Information … da ist man alt wie der Trifels und trotzdem tauchen immer wieder Bands auf, von denen man noch nie etwas gehört hat. Wie kommst du denn an alle diese 'alten Truppen'? Kanntest du die alle, oder stößt auch du ab und an auf Bands aus dem letzten Jahrtausend, die auch dir unbekannt waren?
Tom:
Kickbit Information war eine kurzzeitige 'Super Group' des Krautrock, die sich 1974/75 im norddeutschen Graue in einer alten Schule versammelt hatten. Wie gesagt, neben Uli TRepte (Guru Guru), Carsten Bohn (Frumpy) und Willi Pape (Thirsty Moon) gehörten noch zwei Musiker dazu. Sie haben nie ein Album aufgenommen, aber Uli Trepte hatte einige Proben in der Schule aufgenommen und mir damals das Band gegeben. Ich habe davon 1998 eine CD über ATM Records rausgebracht, die wir nun bei SIreena auf Vinyl veröffentlichen werden. Über diese zahlreichen Verbindungen zu Musikern habe ich inzwischen ein großes Archiv mit unveröffentlichten Aufnahmen aufgebaut, aber nicht jeder Ton drängt sich für eine Veröffentlichung auf.
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Logisch, Sireena ist ein Unternehmen, das u. a. ja auch Menschen ernährt, also verkaufen will und auch muss. Ich selbst sehe das von außen und attestiere auch eine Art Chronistenpflicht. Was an alten Goodies im Keller liegt, sollte in die Ohren der Musikbegeisterten. Dass nicht alles jedem gefällt, liegt in der Natur der unterschiedlichen Geschmäcker. Wie wird bei Sireena entschieden, was veröffentlicht wird, und was nicht?
Tom:
Wie bei all unseren Veröffentlichungen müssen die Rechte geklärt werden, wir sind ja keine Bootlegger. Das kann schon eine Weile dauern, aber irgendwie finden wir immer jemanden, der uns da entlastet. Das kann ein Musiker, eine Witwe oder ein Bruder sein. Dann gehen wir guten Gewissens daran einen Tonträger herzustellen.
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Witwe, Bruder … jetzt ist der Kreis geschlossen, wir sind wieder bei Familie. Tom, ich wünsche der Electric Family und dem neuen Album viel Erfolg. Uns Hörern wünsche ich, dass das Label Sireena weiterhin das gewohnt gute Händchen bei den Veröffentlichung an den Tag legt und dann natürlich, dass das mit dem fiesen Virus bald unter 'lesson learned' abgelegt werden kann und alle Kulturschaffenden wieder freie Bahn haben.
[Bilder mit freundlicher Genehmigung Tom Redeckers].
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