Die Arbeit bei RockTimes bringt für uns Schreibende immer wieder überraschende Neuheiten auf den Tisch, auch, wenn die betreffenden Bands oft gar nicht mehr so neu sind. Days Between Stations, benannt nach einem Roman von Steve Erickson, existieren im Prinzip schon seit 2003 und bestehen im Kern aus Sepand Samzadeh (Gitarre) und Oscar Fuentes (Keyboards). Die ersten selbst aufgenommenen Improvisationen landeten noch im Fundus von Pineapple Thief, bevor 2007 das erste eigene Album das Licht der Welt erblickte. Nun schreiben wir das Jahr 2020 und mit "Giants" legt die Band ihr drittes Werk vor. Sie verstärkt sich dabei mit einigen illustren Gästen solcher Schwergewichte wie Yes, Pink Floyd, Steve Hackett oder XTC. Das macht neugierig.
Umso größer ist die Überraschung, wenn man nach dem ersten Hördurchgang und von den ausgiebigen und oft sehr kernigen Improvisationen begeistert in die Historie blickt und ein nicht ganz unbekanntes Internet-Medium bezüglich der ersten Platte bemüht. Da stößt man unvermittelt auf feinstes Ambient und sanften Artrock, geradezu bezaubernde, schwebende Stimmungsbilder und gelegentliche Floyd-Annäherungen. "Laudanum" beispielsweise ist ein großartiges Stück Musik über mehr als 20 Minuten, die Scheibe habe ich gleich geordert. Aber ist das wirklich die gleiche Band?
Denn "Giants" ist aus einem völlig anderen Holz geschnitzt. Satte, fette Orgelsounds nehmen sogleich volle Fahrt auf, allesamt sehr retro, es murmelt und grummelt wie in den Siebzigern und nicht selten fliegt ein wenig vom Geist eines Jon Lord vorbei am erfreuten Konsumenten. Sepands Gitarre phrasiert sehr schön progressiv und wird uns im Verlauf des Albums immer wieder auch mal auf die Spur von Steve Howe führen. Überhaupt geht es hier in einem stark Rock orientierten Tempo zur Sache, ganz anders als zu Zeiten des ambienten Starts vor dreizehn Jahren. Ein bisschen scheint hier die Umkehrung dessen vorzuliegen, was Kollege Wolfgang kürzlich bei der Band Fragile beschrieben hat, die sich als ursprüngliche Coverband von Yes inzwischen deutlich mehr in Richtung Pink Floyd bewegen. Spannende Entwicklungsstufen, die sich da abzeichnen.
So bietet "Sparks" zur Eröffnung eine kurze orientalische Gesangseinlage, die vermutlich Inid Abiza zuzuschreiben ist. Sepand ist iranischer Herkunft und hat schon auf dem Debütalbum seinen Onkel eine ähnliche Passage beisteuern lassen. Der erste Vokalpart hingegen bewegt sich in Yes-ähnlichen Gefilden und die geile geslidete Gitarre im Wechsel mit Oscars wunderbar wilden Tastenausflügen verstärken diesen Trend. Nun ja, mit Billy Sherwood sitzt ein aktuelles Yes-Mitglied hinter der Schießbude – dort bedient er allerdings den Bass. Überhaupt entwickelt sich "Sparks" zu einem Mammut-Werk, kreuzt elegant verschiedene Stimmungslagen und Atmosphären. Oscars Equipment muss fundamental ausgestattet sein, wir hören jetzt auch Sounds, die eher in Richtung Genesis oder auch Gong gehen – alles alte Bekannte, doch gerade mit der kratzig schönen Gitarre entwickelt sich ein ganz eigener und authentischer Charakter in der Musik. Solche virtuosen Breaks innerhalb eines einzigen Songs hat man in dieser Form in den letzten Jahren vielleicht nur bei Transaltlantic vernommen, die aus einem ähnlich erdigen Grund und Boden zu ihren gigantischen Harmonien aufbrachen. Was für eine geile Nummer und doch so anders als die Anfänge. Ich bin schwer beeindruckt.
"Witness The End Of The World" ist eine wunderbar traumhafte, kurze Ballade mit Durga McBroom am Gesang, die schon bei Pink Floyd eine gute Figur abgegeben hat und auch hier echte Akzente setzt.
Was die einzelnen Kompositionen angeht, kann man kaum von Songs sprechen, denn einem strikten Muster oder Gerüst entsprechen diese nun wirklich nicht. Vielmehr gewinnt man den Eindruck eines klanglichen Fleckenteppichs, der gewebt und zusammengestellt wurde aus reiner Intuition und Improvisation. Zumindest dieser strategische Aufbau der Musik erinnert prinzipiell an den Erstling. Die Band schafft es spielerisch, Stimmungen zu kreieren und weiterzuentwickeln, die Musiker zeichnen traumwandlerisch akustische Landschaften im Kopf des Zuhörers. Emotionen bestimmen die Entwicklung der Lieder und die kommen ausgesprochen glaubhaft rüber.
Dazu muss man wissen, dass der Titelsong "Giants" eine Hommage an die Eltern darstellt. Oscar Fuentes erklärt dazu, dass sein Vater kurz nach dem Release des zweiten Albums, In Extremis, an Alzheimer verstarb. Aus dem Gedanken heraus, dass man seine Eltern als Kind oft als Riesen wahrnimmt – sicher nicht nur wegen der realen Größe, sondern eben auch, weil sie immer für einen da sind, weil sie alle Hindernisse aus dem Weg räumen, weil sie die wahren Helden sind – daraus entstand der Song. Dass angesichts des Todes meiner geliebten Mutter vor ein paar Monaten solche Gedanken und Gefühle bei mir auf einen besonders fruchtbaren Nährboden fallen, muss man wohl nicht besonders betonen. Dieses Stück berührt mich ganz besonders und das Arrangement ist der zugrunde liegenden Idee ausgesprochen angemessen, angefangen von dem wunderschönen Piano-Intro bis hin zu den wie in Wellen immer wieder aufschäumenden Highlights aus emotionalen Soli. Die Gitarre elaboriert hier sehr melodisch und liegt dabei im Trend angesagter Neo Prog-Saitenmeister. Der nachdenklich romantische Duktus der Musik trifft den Nerv des Themas, hier entwickeln sich die Improvisationen wie aus einem ewigen Fluss und kommen bei weitem nicht so hektisch über uns wie zum Beispiel noch in "Sparks". Und die zentralen Gesangsparts haben ein wenig von der Melodik eines Neal Morse.
Spannend ist auch das Zusammenspiel der Musik mit dem hinreißenden Cover von Paul Whitehead. Das Bild für die Plattenhülle war bereits zu Beginn der Aufnahmen fertiggestellt und die Musiker ließen sich vom Geist des Gemäldes zu Songs und Texten inspirieren. Was für eine schöne Symbiose.
Und dann das ganz kleine feine "The Gathering", eine sanfte Komposition mit zartem Piano, akustischer Gitarre und einem elegischen Keyboard-Teppich. Ein leichter Flamenco-Hauch weht durch diese Nummer, Zeit zu träumen.
Zum Schluss lässt "The Common Thread" ab und an noch einmal leicht mittelöstliche Motive einfließen, die Besinnlichkeit der vorangegangenen beiden Songs spielt nun keine Rolle mehr. Das Tasten-Imperium beherrscht die Basis der Nummer und es dauert eine Weile, bis sich Sepand mit verfremdeten Tönen über diese weiten Felder legen darf. Klingt fast ein bisschen, als ob Tony Banks mit Steve Howe extemporieren, doch dann lässt man die Vorbilder einen guten Mann sein und überzeugt ein letztes Mal mit einem eindringlichen eigenen Stil, Musik zu zelebrieren.
Wie sagte die Chefin zuletzt: »Es ist ein großes Glück, dass man unglaublich viele tolle neue Sachen kennenlernen darf, wenn man über Musik schreibt.«
Days Between Stations beweisen das auf eindrucksvolle Weise. So sehr ihre Musik in gewisser Weise als Vintage betrachtet werden kann, so sehr schaffen sie es doch, dem progressiven Rock ihre eigenen Nuancen aufzudrücken. Bedenkt man noch dazu, dass die Jungs einst mit absolut beeindruckenden Ausflügen in ambientem Art Rock gestartet sind, dann erkennt man das Potential und die Vielseitigkeit dieser Band. Wer sich Zeit lässt und in siebzehn Jahren nur drei Alben auf den Markt bringt, der muss ein Stück weit Perfektionist sein.
"Giants" bietet geilen Prog mit klarem Bezug zu den Wurzeln und ohne das Pathos übertriebenen Harmoniebedürfnisses. Ihre Musik ist originär, spannend und auf einer rockigen Basis Gänsehaut erregend, ohne in reinen Wohlklang zu verfallen. Ein echtes Ausrufungszeichen im aktuellen progressiven Rock.
Line-up Days Between Stations:
Sepand Samzadeh (guitar)
Oscar Fuentes (keyboard)
Guests:
Billy Sherwood (drums, vocals, bass)
Colin Moulding (vocals – #4)
Durga McBroom (vocals – #2)
Tracklist "Giants":
- Spark
- Witness The End Of The World
- Another Day
- Goes By Gravity
- Giants
- The Gathering
- The Common Thread
Gesamtspielzeit: 60:13, Erscheinungsjahr: 2020
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