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Electric Moon / Live At Freak Valley Festival 2019 – CD-Review

Electric Moon / Live At Freak Valley Festival 2019

David/Dave Schmidt alias Sula Bassana war ein steter Begleiter, damals, als ich an ganz anderer Stelle mit dem Schreiben über Musik begann. Und als ob ich seine Erdverbundenheit damals aus seiner spirituell, psychedelischen Musik heraus gehört hätte, fragte ich ihn vor etlichen Jahren mal in einem Interview nach seiner Beziehung zur Umwelt. Und siehe da, Dave und Komet Lulu sind beide große Freunde der Natur und schätzen die Inspiration aus ihr. Darüber hinaus hat er das Glück, den wichtigsten Partner seiner musikalischen Exkurse auch privat an seiner Seite zu wissen – Komet Lulu spielt nicht nur Bass, sie ist auch seine Lebensgefährtin. Musik aus einem spirituellen Fluss von Leuten, die mit sich selbst und dem Universum im Reinen sind und die noch dazu die Pforten zu seinen Geheimnissen entdeckt zu haben scheinen. Klingt spannend, oder? Und das fernöstliche Plattencover spiegelt diesen Geist sehr schön wider.

Um Electric Moon zu verstehen sollte man sich zuerst einmal von allen erdenklichen musikalischen Strukturen lösen, mit klassischen Songs und starren Kompositionen hat das Treiben unserer Freunde aus der Rhön nichts zu tun. Konventionen werfen wir besser gleich über Bord. Dafür aber liefert die Band so etwas wie das reine und klare Herzstück, was aller Rockmusik zugrunde liegt: pure Energie und Improvisation. Musik, die aus sich selbst und dem Moment geboren wird.

Spacige Improvisationen begleiten uns durch das Album respektive das Konzert von Netphen 2019 und abgefahrene Effekte konnte Dave schon immer besonders gut. Selbst Stefan Kogleg von Colour Haze erzählte einst, dass es wohl keinen in der Szene gäbe wie David, der derart faszinierende Sounds zu kreieren weiß. Stefan sicherte sich seine Dienste hier und da für Studio-Einspielungen in eigener Sache.

Das Konzept ist einfach, aber in der Sache doch so komplex: Aus schroffen, spacigen Spielereien entwickeln sich schleppend psychedelische Rhythmen und transzendentale Klangwolken. Und wenn sich aus diesem Urschlamm eines brodelnden Sound-Morasts die abgefahrene Gitarre von Dave Schmidt erhebt, dann öffnen sich Sphären und Dimensionen. Dabei war er zunächst auf allen möglichen anderen Instrumenten unterwegs, bevor die Gitarre seine Sache wurde. Vielleicht erklärt dies die ungeheure Fähigkeit, abgefahrene Sounds und Stimmungen auf ganz verschiedene Weise zu erschaffen. Man ergibt sich ganz und gar der Stimmung und dem Momentum, egal mit welchen Mitteln. »Alles inspiriert, Musik von Schallplatten; Musiker, die man live sieht oder mit denen man sogar zusammen spielt; Drogen und musikalische Erlebnisse unter Drogen, und natürlich das Leben selbst!«, sagte Dave 2012 in einem Interview, das ich für eine andere Webseite führte.

Genauso entwickeln sich die Songs, die eigentlich nur Jams sind. Während des Auftritts in jener Donnerstag-Nacht beim Freak Valley Festival 2019 gab es gleich drei ganz lange davon und selbst "D-Tune", so etwas wie ein richtiger Song, geht im Original gute zehn Minuten länger.
Darum hängt es an "Increase" zum Auftakt des Gigs, die prägnantesten Stärken der Band herauf zu beschwören. Unbeschreiblich, wie sich ein von der ersten Sekunde an startendes Crescendo aus psychedelischen Klanggestaltungen heraus entwickelt bis in ein wüstes Inferno krachend hypnotischer Riffs und fuzzig verzerrter Gitarrenverrenkungen. In solchen Momenten haben Electric Moon durchaus Stoner-Qualitäten und die repetitiven Linien pressen sich druckvoll in die Hinrwindungen eines dankbaren Publikums. Zeit und Raum werden ganz allmählich aufgelöst. Ein bisschen erinnern solche Passagen an das faszinierende Zusammenspiel von Dave Brocks Monsterriffs und Huw Lloyd Langtons wilder Sologitarre bei Hawkwind. Wir sind ergo auch ein bisschen auf einem spacigen Trip großer alter Traditionen aus den Siebzigern. Diese Passagen werden bis zum Exzess betrieben, auf der AWO-Wiese der Freaks dürfte das sehr gut angekommen sein. Für den Ausklang nimmt man sich übrigens fast ähnlich viel Zeit wie für das spannungsgeladene Intro.

"777" eröffnet mit einem eher beschwingt groovenden Intro. Und der Titel? 'The Number Of The Beast + 1'?  Der Rhythmus ist hier das Ding, die herauswachsenden Improvisationen beschränken sich auf nur leicht ausschweifende Licks, während Riffs ganz hoch im Kurs stehen. Diese Musik darf man nicht mit dem Verstand hören, man muss sich ihr hingeben oder die Finger davon lassen. Fast zehn Minuten befinden wir uns auf diesem Flug, der abermals Dave Brock zitiert, Brainstorm funktionierte damals irgendwie ähnlich. Hypnotische Monotonie, die uns langsam die Birne versengt, besonders, wenn im zweiten Teil des Jams doomartig entschleunigt wird und unser ekstatischer Flug durch einen grell farbenen Kosmos allmählich in dunkler Schwerelosigkeit hängen zu bleiben scheint. Daves sich vorsichtig steigernde Gitarre führt uns Schritt für Schritt zurück in die Bewegung, wir beginnen zu rotieren und uns auszudehnen, während die Musik die Daumenschrauben mehr und mehr anzieht. Für solche Momente liebe ich Live-Musik und ich vermisse sie unsäglich.

Der Titel des dritten Jams erinnert mich gleich noch einmal an unser damaliges Interview. Seinerzeit ging es um die Frage, wie sehr Bilder Daves Musik beeinflusst haben: »Ach, das ist ganz einfach. Augen schließen und Bilder sehen; dann Töne dazu erzeugen. Früher wurde mir immer gesagt, dass ich 'Filmmusik' mache. Und genau das mag ich, Musik zu Filmen, die im Kopf stattfinden! Eben das immer wieder erwähnte Kopfkino. Bei Electric Moon und meinen Solo-Alben hör ich diese Kommentare auch wieder öfter, was mich freut!«

Die hiesige Nummer heißt "Pictures" und mag aus diesem Themen-Kosmos erwachsen sein. Die Gitarre hat zu Beginn jedenfalls ein bisschen was von Ritchie Blackmore, wenn er damals sein Solo zu Stargazer auf den Punkt brachte. Abermals sind es hypnotische Riffs, die uns um den Verstand bringen wollen. Licks ziehen sich wie zähe schmelzende Lava-Fäden aus dem stetig dahin strömenden Fluss. Du hast gar keine Chance mehr, dich dem gleichförmigen rhythmischen Zug zu entziehen, wenn du erst einmal aufgesprungen bist. Nächste Station Nirwana.
Doch auch in dieser Nummer wartet eine Tauchfahrt auf uns. Im letzten Viertel erkunden wir die Tiefen des Ozeans – oder sind es die in unserem Bewusstsein? So oder so ein geiles Break. Und am Ende werden wir in einer kolossalen Fontäne wieder in die astralen Sphären ausgespuckt wie von einem bekifften Wal, der zu tief ins Meer geschaut hat.

Es gibt nur wenige Akkorde psychedelischer Musik, die mich so mitgerissen haben wie die Eröffnung zu "D-Tune", einem Klassiker, der hier ausnahmsweise mal den bekannten Strukturen folgt. "Demons" von Been Obscene war auch so eine Nummer. Dabei wird im Prinzip nur ein Teil des gesamten Werks dargeboten, doch als markanter Punkt mit Wiedererkennungswert am Ende des Sets vor enthusiastischen Fans macht eine solche Komprimierung nach drei ausufernden Nummern absolut Sinn. Kurz und knapp und auf die Fresse – kurz im Sinne von Electric Moon.

Der Kehraus ist ein herrlicher Stilbruch, eine sanfte akustische Reise durch den Wahnsinn kosmischer Verrücktheiten: "Der Mondsenator auf dem Weg zur Erde", was für ein Titel. Zum Glück befinden wir uns nicht in dem schrägen Kultfilm "Iron Sky", wo die Mond-Nazis in weltraumtauglichen Luftschiffen und ihrem Schlachtschiff Götterdämmerung von der dunklen Seite des Mondes zur Erde reisen. Nein, unser Mondsenator muss ein cooler Typ sein, hat vermutlich lange Haare und raucht ziemlich bunte Sachen. Ein herrlich freakiger Ausklang bei den Freaks im Siegerland.

Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass der Rockpalast das Konzert aufgezeichnet hat. 2019 gab es eine Kollaboration mit dem Freak Valley Festival und viele spannende Konzerte wurden somit für die Nachwelt erhalten. Bei Rock Freaks Records soll es demnächst auch die Vinyl-Fassung geben.

Electric Moon haben schon immer das gespielt, was ich an Live-Musik geil finde und eben konnte ich lesen, dass im April 2021 ein Konzert beim Psychfest in Liverpool ansteht. Na, wenn das kein Zeichen ist, ein cooles Konzert und am Samstag meine geliebten Reds an der Anfield Road, Reiseträume fürs nächste Jahr, falls fiese kleine Spaßverderber sich bis dahin endlich dahin verzogen haben, wo sie hingehören. In die Tonne.

Wie dem auch sei, wer auf ausgedehnte psychedelische Reisen durch ein irres Universum aus Klängen und Farben abfährt, wer sich fallen lassen kann in pure improvisierte Musik ohne Bock auf irgendwelche Spielregeln, der liegt bei Electric Moon und auch den verschiedenen anderen Projekten aus dem Hause Sulatron immer richtig. Und Sulatron ist das Label von Sula Bassana, der eigentlich David Schmidt heißt und so gerne im Wald spazieren geht.


Line-up Electric Moon:

Komet Lulu (bass, effects)
Pablo Carneval (drums)
Sula Bassana/Dave Schmidt (guitar, casio, effects)

Tracklist "Live At Freak Valley Festival 2019":

  1. Increase
  2. 777
  3. The Picture
  4. D-Tune
  5. Der Mondsenator auf dem Weg zur Erde

Gesamtspielzeit: 69:18, Erscheinungsjahr: 2020

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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