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Laibach / "Bremenmarsch – Live At Schlachthof, 12.10.1987" – CD-Review

Laibach / „Bremenmarsch – Live At Schlachthof, 12.10.1987“

»Rammstein ist Laibach für Kinder und Laibach ist Rammstein für Erwachsene.« (Laibach, 2004 im Interview mit Ivan Novak, Netzeitung.de)

Avantgardisten, Provokateure, interdisziplinäre Künstler mit einer bewegten und bewegenden Band-Historie, die durchaus ihres Gleichen sucht. So könnte man Laibach ganz kurz umschreiben, wobei das Unterfangen, diese außergewöhnliche Band aus Slowenien überhaupt in irgendeiner Weise zutreffend zu charakterisieren im Grunde eh zum Scheitern verurteilt ist.

Der Name generierte sich bei der Gründung 1980 in Titos Jugoslawien aus der deutschen Bezeichnung für die Hauptstadt Ljubljana, der im damaligen Regime ganz und gar nicht gern gehört  wurde. Die Verwendung von Symbolen und Zitaten totalitärer Systeme brachte ihnen schnell den Ruf ein, der rechten faschistischen Szene nahezustehen – was völlig falsch war und ist. Erst nach dem Zusammenbruch des jugoslawischen Staatsgebildes erkannte man die wahren Hintergründe und Intentionen der Band, die bis dahin damit leben musste, dass während der 'Tournee der drei Hauptstädte' nach dem Konzert in Zagreb der Sänger Tomas Hostnik Selbstmord beging, dass man sozusagen auf dem Index erschien und auf der ersten LP den Bandnamen nicht veröffentlichen durfte. Und dass beispielsweise ein Konzert in Zagreb durch die Polizei gestoppt wurde, da man im Hintergrund einen politischen Film gleichzeitig mit einem Porno überschnitten abspielte, so dass plötzlich zeitgleich das Gesicht Titos mit einem Penis projiziert wurde. Im ersten Fernsehinterview erschien die Band in Nazi-ähnlichen Uniformen und einer Armbinde mit schwarzem Kreuz auf weißem Grund. Dieses Symbol hat aber nichts mit dem Hakenkreuz zu tun, es ist eine Adaption eines Kunstwerks der Moderne, dem Bild "Schwarzes Kreuz" von Kasimir Malewitsch. Hier schließt sich dann auch der Kreis zu Ramstein, die ihr Bandlogo an das von Laibach einst anlehnten, von denen sie sehr inspiriert waren. Tatsächlich hat der Gesangsstil des für Hostnik eingestiegenen Milan Fras eine gewisse Ähnlichkeit mit dem von Till Lindemann.

Heute weiß man, dass die provokanten Auftritte und die Zitate totalitärer Systeme nicht politisch gemeint, sondern künstlerisch verwendet und aus dem Zusammenhang gelöst werden, um Denkanstöße zu geben, indem man die Didaktik der Autokraten entlarvt und in einen neuen Kontext stellt.

Laibach sind ein Teil des seit 1984 existierenden Kollektivs, der Neuen Slowenischen Kunst (NSK), gemeinsam mit einer Maler- und einer Theatergruppe. Sie haben ein beachtliches Kunstwerk geschaffen und sind am Ende fast selbst zu so etwas wie einem Gesamtkunstwerk inkarniert. Ganz nebenbei sollte man erwähnen, dass Laibach für den schrägen Kultfilm "Iron Sky" über die Mond-Nazis den Soundtrack geschrieben haben – das passt wie die Faust aufs Auge.

Schräge Sounds aus ein bisschen Punk, Wave und viel Industrial, kakophonische Symphonien wie sie nur Zappa konnte, den rebellischen Geist von Drahdiwaberl, den wilden Burschen aus Wien – all das sind nur vordergründige Aspekte einer krachend krawalligen Musik, die uns mit ihrer ausufernden und fast perversen Aggression vor die Fresse schlägt. Aber nein, nicht weil es hier um irgendeine Verherrlichung von Gewalt an sich geht. Schräge, dissonante Töne und chaotische Rhythmen, dirigiert von apokalyptischem Gegröle will uns nicht verhauen, sondern mit Ausdrucksformen bestimmter kultureller Richtungen konfrontieren. Eben nicht auf die Kuscheltour – wer nicht blutet, hat es nicht mitgekriegt.

1987 befanden sich Laibach an einer kulturellen Schwelle zwischen den äußerst aggressiven frühen Jahren und einer Phase zugänglicherer Kompositionen. Blut, Eisen und Feuer – so wird es für "Krava Gruda – Plodna Zemlja" angekündigt und könnte spielend eine Basis für ein Rammstein-Thema bieten. Aber 1987 war von denen noch nicht die Rede.

Dass sie ausgerechnet auf der Deutschlandtour brachial und vordergründig totalitär böse klingenden Kompositionen nachhingen, erscheint im Kontext des Gesamtwerks und dem Land, von dem der WK2 ausgegangen war, nur folgerichtig. So auch das Cover mit Uniformierten und Bombern, braun gehalten und unter dem unzweifelhaften Titel "Bremenmarsch" nichts anderes als ein vermeintlicher Aufmarsch vergangener Ideologien. Wer das glaubt hat aber rein gar nichts kapiert. Kunst zitiert, Kunst adaptiert und Kunst verarscht Dich auch von Zeit zu Zeit. Ich habe mich immer herrlich amüsiert, wenn faschistoide Geister den Film "Starship Troupers" als ihr Eigentum betrachten. Man muss schon sehr doof sein, um dort den zynischen Sarkasmus nicht zu erkennen!
"Die Liebe" ist übrigens ein Klassiker der Band und könnte tatsächlich auch bei Rammstein im Stall stehen. Geile Nummer.

Die kakophonischen Exzesse mit schrägem Gebläse erreichen ein Stück weit ihren Höhepunkt, wenn die Trompete in "Ti, Ki Izzivas" über hypnotisch getrommeltem Aufmarsch schräg und völlig daneben elaboriert. Die elektrische Gitarre bemüht sich, mit aller Macht dazwischen zu hauen und sorgt doch für eine merkwürdige Harmonie zum krachenden Sprechgesang. Stilistische Vorgaben lösen sich auf in Radikalität und der Song entwickelt ein unfassbares künstlerisches Eigenleben. Ein neuer Stil, neue Ansichten – repetitive Tritte in die Eier. Wer hier einzusteigen versteht, dem werden sich seltsame Horizonte eröffnen. Gespenstisch und fremd, aber irgendwie authentisch wie ein Erdbeben oder sonst ein Naturereignis. Wer die geordnete Anarchie im Sound von Rammstein mag und wirklich bereit ist, den Weg zu Ende zu gehen, der wird zwangsläufig bei Laibach landen. Vergleichbares hab ich nie zuvor gehört.

Industrielle Rhythmen, einhämmernde Drums und entsprechende Soundeinspielungen kreieren neben abgefahrenen und provokativ schrägen Riff-Einschlägen aus allen möglichen Tönen ein Imperium des maschinellen Chaos, des totalitären Krachs, der am Ende so seltsam gebündelt und zu einem forttreibenden Credo erwächst, hört Euch "How The West Was Won" mal an. Da marschiert der Coyote Carl!

Das aber ist nichts gegen "Leben heißt Leben", die abgefahrenste Adaption von "Live Is Live" der österreichischen Opus. Hier würde selbst Stefan Weber von Drahdiwaberl blass – und der hat Wien schon in manchen tiefenpsychologischen Kollaps getrieben. Wenn er denn nur noch bei uns wäre, Stefan hat uns vor zwei Jahren für immer verlassen.
Hier darf sich die Gitarre ungewöhnlich ausladend austoben, der Punk geht ab. Das Original wird zertrümmert und zerschreddert, mein Herz schlägt freudig schneller, denn jetzt bin ich ganz besonders gern auf Kurs. Sie entlarven den seichten Geist der Spaßgesellschaft und verpassen ihm einen monumentalen Tritt ins Gemächt. Ultimative Version!

Und es wird noch verrückter. "Geburt einer Nation"! Queens "One Vision" wird auf seine autokratischen Soundelemente seziert und unter pompösem Gedröhne neu errichtet. Die Nazis hätten es gern so gehabt und Richard Wagner würde den Geist seiner Musik wiederfinden. Aber eben nicht derjenigen wegen, die sich ihrer bedienen. Laibach zeigen auf, sie folgen eben nicht den Dämagogen, die wiederum Wagner missbrauchten. Und damit entlarven sie die Bösen und regen die Guten zum Nachdenken an. Und das erfordert schon den mündigen Zuhörer, um sich nicht im Filz eigener gefühlsmäßiger und ideologischer Verstrickungen zu verfangen. Hose runter, Stellung beziehen.

Wer Laibach hören möchte, sollte alle Konventionen über Bord werfen und sich voll und ganz in das intellektuelle Programm eingrooven. Die hypnotisch krachende Musik und der über alle Maßen charismatisch, böse Gesang von Milan Fras will uns nicht mitnehmen, man will uns bewusst überrollen. Doch nein, wir sollen nicht im "Bremenmarsch" marschieren, wir sollen uns Gedanken machen über die Marschierer, ihre Methoden und Stilmittel. Wir sollen einordnen und verstehen, aber wir sollen keinen billigen Vorurteilen folgen. Es gab tatsächlich Vollidioten, die einst Rammstein aufgrund des Gesangs von Till dem rechten Spektrum zuordnen wollten. Dümmer geht’s nimmer. Laibach ergötzt sich an diesem Spannungsfeld und ich glaube, sie wollen uns bewusst dort im Unterbewussten kitzeln, wo autokratisch totalitäre Fantasien verborgen sein mögen. Und wer die gänzlich leugnet, ist in der Regel nicht ehrlich zu sich selbst. So gesehen könnte man die Musik von Laibach nicht nur als Provokation verstehen, sondern eben auch als Konfrontation mit den dunkelsten Geistern unseres Wesens, egal wie tief die auch bislang verborgen gewesen sein mögen. Genau das liebe ich, eine musikalische Adaption auf den Geist des Films "Apokalypse Now".

Der "Bremenmarsch" ist weniger ein Konzert als eine fundamentale Erfahrung stilübergreifender Künstler, die uns nicht mit einem Glas Schampus auf einer Vernissage begrüßen mögen, sondern mit einer Kettensäge auf der städtischen Müllabfuhr. Man braucht den inneren Zugang zu diesem Konzept, sonst kann man mit der Platte nichts anfangen. Aber wehe, wenn der Funke zündet – dann findet man sich in einem höheren Spektrum und einer Dimension wieder, wo nicht Subtilitäten und sanfte Töne regieren, sondern einschlagende, krachende Riffs, sich endlos wiederholende Krawall-Schleifen und ein Gesang, der böser klingt als der des Leibhaftigen. Für mich klingt das nach einer ganz famosen Mischung, aber vielleicht bin ich ja auch ein Böser. Kann ich mit leben…


Line-up Laibach:

Milan Fras – Dachauer (vocals)
Dejan Knez – Eber (keyboards, percussion, horns)
Ervin Markosek – Keller (percussion, trumpet, mouth organ, banjo)
Roman Decman – Eber (drums)
Oto Rimele – Keller (guitar)
Dare Hocevar – Dachauer (bass)
David Jarh – Keller (trumpet)
Peter Mlakar -Keller (speeches)
Ivan Novak – Saliger (everything else)

Tracklist "Bremenmarsch – Live At Schlachthof 12.10.1987":

  1. Intro (Radio Ansage)
  2. Leben-Tod
  3. Drzava (Machen wir Deutschland wieder frei)
  4. Trans-National
  5. Krava-Gruda – Plodna Zemlja
  6. Die Liebe
  7. Ti, ki izzivas
  8. Krst
  9. How The West Was Won
  10. Leben heisst Leben
  11. Geburts einer Nation
  12. Agnus Dei (Acropolis, Exil Und Tod)
  13. Wutachschlucht (Fragment)
  14. Life Is Life

Gesamtspielzeit: 61:47, Erscheinungsjahr: 2020 (Konzert von 1987)

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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