Bob Dylan / Pure Dylan – LP-Review

Die ewige Diskussion: Braucht eigentlich irgendein Bob Dylan-Kenner noch eine weitere Compilation mit Material des Meisters? Zumindest, wenn man bereits alle Alben zu Hause im Schrank stehen hat und die Tracks jederzeit abrufbar sind? Aber ich frage einfach auch mal anders herum: Warum denn nicht? Vorausgesetzt die Kriterien für die Auswahl der Songs sind gut und stimmig gewählt, der Fan hat das nötige Kleingeld oder ist obendrauf auch noch Sammler. Der Titel dieser original im Jahr 2011 veröffentlichten Compilation führt zunächst etwas in die Irre, suggeriert er doch Material von Dylan mit Akustikgitarre oder am Piano plus seiner Harmonika und Gesang. Dem ist zwar meistens nicht so, aber die Namensgebung wird dann immerhin im Innencover noch vom Label erläutert.

Durchaus cool ist, dass keiner dieser Titel zuvor bereits auf einer Dylan-Compilation zu finden war. Es geht kreuz und quer durch die Jahrzehnte, angefangen mit dem sehr guten "Trouble In Mind" aus dem Jahr 1979 und der Scheibe "Slow Train Coming", dann die tatsächlich solo gebrachte Klassenummer "Girl From The North Country" von 1963, aus dem Soundtrack für den Film "Billy The Kid" gibt es zum Abschluss der ersten Seite den Titel "Billy 1" und "She Belongs To Me" stammt aus dem absoluten Klassiker-Album Highway 61 Revisited (1965). Mein Höhepunkt der ersten fünf Tracks ist jedoch das so herrlich entwaffnende "Most Of The Time", bei dem sich Dylan auch für eine Runde Selbstironie nicht zu schade war. Ein Superstück aus dem Album "Oh, Mercy" von 1989.

Die zweite Seite wird von dem ebenfalls 1989er "Shooting Star" eröffnet, das erneut unterstreicht, was für ein starkes Album die letztgenannte Scheibe tatsächlich war. Und an dieser Stelle komme ich auch nicht mehr drum herum, den brillanten und glasklaren Sound dieses 180g-Vinyls zu loben. Wer auch immer dafür verantwortlich war, man kann ihm nicht genug dafür danken. Das 2001er "Sugar Baby" lässt musikalisch keinen Deut nach und "You’re Gonna Make Me Lonesome When You Go" von dem Klassiker "Blood On The Tracks" (1974) braucht ganz sicher keine weitere Erläuterung. Das den zweiten Durchgang abschließende "Tomorrow Night" stammt von der sich auf seine Anfänge zurückbesinnenden Scheibe "Good As I Been To You" und erinnert etwas an "One Night Of Sin", wobei erwähnt werden muss, dass beide Tracks nicht aus der Feder Dylans stammen.

Über die religiöse Trilogie "Slow Train Coming" (1979), "Saved" (1980) sowie "Shot Of Love" von 1981 mag jeder denken, was er will. Fakt ist aber, dass auch diese Scheiben großartige Songs abwarfen. Die letztgenannte Platte ist hier durch "Every Grain Of Sand" vertreten, einer von mindestens fünf hammerstarken Tracks dieses Albums. Anschließend tauchen wir mit "Percy’s Song" noch einmal ganz tief in die Vergangenheit und das Jahr 1963, bevor es mit dem 1990er "Born In Time" (von Under The Red Sky) weitergeht. Den Abschluss stellt die Kehrtwende nach 1963 und zu dem Stück Boots Of Spanish Leather dar, das ebenfalls weitläufig bekannt sein dürfte.

Ich könnte jetzt auch noch auf die vier Tracks der letzten Seite ausführlicher eingehen, was ich mir aber mal spare. Erwähnt sei nur noch, dass hier mit This Dream Of You (2008) der jüngste und mit "Moonshiner" von 1962 der älteste (letztgenannter ein Bonus-) Track enthalten ist. Und was halten wir jetzt von dieser Veröffentlichung?

Ich sags mal ganz frei heraus: Ich bin wirklich kein großer Freund von Compilations jeglicher Art, aber in diesem macht eine solche sogar Sinn. Zum einen sind die Songs noch auf keiner anderen Zusammenstellung vertreten, zum zweiten sind sie großartig und würdig, noch einmal speziell hervorgehoben zu werden und zum dritten ist der Sound dieser Vinylausgabe so großartig und über alle Zweifel erhaben, dass ich nur anerkennend nicken und beide Daumen nach oben strecken kann.

Nicht nur für Sammler empfehlenswert, sondern auch für Neueinsteiger ein echter Tipp!

Tracklist "Pure Dylan":

Gesamtspielzeit: 20:14 (Side 1), 16:34 (Side 2), 22:12 (Side 3), 18:21 (Side 4), Erscheinungsjahr: 2016 (1962 – 2008)