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Steamhammer / Speech – LP-Review

Steamhammer - "Speech" - LP-Review

Im Jahr 1971 bröckelte es ganz bedenklich bei der englischen Band Steamhammer, da mit dem Gitarristen und Sänger Kieran White (auch harmonica) sowie dem Bassisten Steve Davy gleich zwei Mitglieder der ersten Stunde die Brocken hingeworfen hatten. Dennoch waren das somit letzte verbliebene Original-Mitglied, der Lead-Gitarrist Martin Pugh sowie der immerhin seit der zweiten Platte im Boot sitzende Drummer Michael Bradley fest entschlossen, die Combo weiter zu führen. Bis dahin hatten die Briten in erster Linie mit feinem kraftvollen Blues Rock (das großartige Junior’s Wailing, anybody?) punkten können, wenn sie mit ihrem Sound auch vor allem in Deutschland und weniger in ihrer Heimat erfolgreich waren. Nun waren die bis dahin agierenden Hauptsongwriter der Gruppe nicht mehr mit an Bord, was sich auf den drei Songs des Albums "Speech" deutlich bemerkbar machen sollte. Als die Scheibe Anfang 1972 erschien, waren die Fans der Band dann in erster Linie tatsächlich (auf den Albumtitel bezogen) … sprachlos.

Dass sich lediglich drei Songs auf der Scheibe befanden, schien nicht weiter wild, denn jammen wollten und konnten Steamhammer nicht nur immer schon, sie taten es auch mit Begeisterung. Auf "Speech" sind jedoch weder Blues Rock, noch Jams enthalten. Vielmehr scheint hier alles durchgeplant zu sein (der die erste Plattenseite füllende Song besteht aus fünf unterschiedlichen Parts) und das Ganze weist offensichtlich sowohl proggige, als auch psychedelische Züge auf. Der Opener "Pneumbra" wird durch mit Geigenbögen auf Bass und Gitarre gespielten Sounds eröffnet, die (wie das gesamte Album) eine sehr dunkle Atmosphäre verbreiten, die anschließend mit "Battlements" in ein Gitarren-Feuerwerk münden. Die Stimmung wird durch diesen schnellen Track allerdings nicht unbedingt rosiger, vielmehr scheint sie einen nervösen Aufbruch bzw. Kampf gegen was auch immer darzustellen.

Bei "Passage To Remorse" wird zum ersten Mal gesungen. Für diesen Job hatte sich die Band den Gast Garth Watt-Roy (Fuzzy Duck), der seinen Part dramaturgisch und auch gesanglich bestens erledigt, selbst wenn auch hier eine Atmosphäre verbreitet wird, als würde die Band zu diesem Zeitpunkt in der Geschichte vor einem Trümmerhaufen stehen und sich staunend die verbliebenen Ruinen eines verlorenen Krieges anschauen. Zum ersten Mal heller am Horizont wird es bei dem locker-flockigen "Sightless Substance" mit sehr guter Gitarren-Arbeit von Martin Pugh. Entgegen meiner Befürchtungen entwickelt sich "Mortal Thought" zu einem sehr guten psychedelischen Rocker, erneut mit Watt-Roy am Gesang. Hier schreit geradezu alles, jedes einzelne Instrument nach Leben bzw. Überleben, was unbedingt ein Stimmungsaufheller ist, selbst wenn die psychedelisch verzerrten Gitarre und Bass neues Unheil anzukündigen scheinen, das bereits direkt hinter der nächsten Ecke wartet.

Und nein, es wird stimmungsmäßig nicht wieder alles gut, denn das die zweite Seite eröffnende "Telegram (Nature’s Mischief)" wirkt wie ein Rückfall bzw. wie eine Rückkehr in die nächste Depression. Das ist richtig gut gespielt, durch die gesetzte Atmosphäre allerdings alles andere als Easy Listening. Die Nummer startet zunächst mit einem knackigen Gitarrenriff, relativ bald entwickelt sich das Stück jedoch in ein fiebrig und irgendwie 'unrund' vor sich selbst flüchtendes Werk, das wie ein Davonrennen vor einem imaginären Feind wirkt. Auch hier sind (selbst wenn auf der Tracklist nicht ausgewiesen) unterschiedliche Parts zusammengeführt, sprich die Tempi werden sehr gekonnt variiert. Nur dass man dem Sänger nicht unbedingt glauben mag, wenn er etwa in der Mitte des Stücks ein fast schon verzweifeltes »… it’s under control …« ins Mikro ruft bzw. singt. Erneut wird es etwas ruhiger und Michael Bradley spielt einen Marsch-Rhythmus zu Pughs ansonsten sehr melodischer Gitarre, die dann auch wieder mit dem Geigenbogen bearbeitet wird.

Der allergrößte Teil des letzten Titels, "For Against", besteht dann aus einem Schlagzeugsolo von Michael Bradley. Zu solchen Alleingängen mag man stehen wie man will, auf Studioplatten kann sich der Verfasser dieser Zeilen jedoch nie so richtig dafür begeistern. Als Bradley dann auch noch im Februar 1972 im Alter von 25 Jahren an (bis dahin bei ihm nicht diagnostizierter) Leukämie verstarb, schienen die Zeichen endgültig mit großen Buchstaben an jeder Wand zu stehen. Die Band schleppte sich zwar noch bis ins nächste Jahr hinein, im Frühsommer 1973 war aber dann endgültig Schicht im Schacht. Martin Pugh gründete später übrigens mit dem Ex-Yardbirds-Sänger Keith Relf (der auf "Speech" zusammen mit seiner Schwester Jane Relf die Background Vocals beisteuerte) übrigens die Band Armageddon, die es allerdings – unter anderem durch den frühen Tod von Keith Relf – nur auf ein einziges Album brachte. Anschließend zog sich Pugh in den musikalischen Ruhestand zurück und tauchte erst ca. 25 Jahre später für kurze Gast-Einsätze auf Platten anderer Musiker wieder auf.

Letzten Endes ist "Speech" ein sehr gutes Album, allerdings auch ein stimmungsmäßig sehr düsteres. Eines von jenen, die man aufgrund ihrer Intensivität bei weitem nicht jeden Tag anhören kann, besonders wenn man nicht unbedingt in der Laune ist, sich auf eine eher 'dunkle' Reise zu begeben. Liebt man die Platte, wird sie einen allerdings (längere zeitliche Abstände vorausgesetzt) mit jedem Durchlauf erneut begeistern. Musikalisch progressiv, psychedelisch und gewöhnungsbedürftig, aber qualitativ klasse! Dazu ist dieses Vinyl-Reissue auf toll klingendem 180g-Vinyl erschienen.


Line-up Steamhammer:

Michael Bradley (percussion)
Martin Pugh (guitars, vocals)
Louis Cennamo (bass, vocals)

With:
Garth Watt-Roy (lead vocals)
Keith Relf (background vocals)
Jane Relf (background vocals)

Tracklist "Speech":

Side 1:

  1. Penumbra

Side 2:

  1. Telegram (Nature’s Mischief)
  2. For Against

Gesamtspielzeit: 22:38 (Side 1), 22:55 (Side 2), Erscheinungsjahr: 2020 (1972)

Über den Autor

Markus Kerren

Hauptgenres: Roots Rock, Classic Rock, Country Rock, Americana, Heavy Rock, Singer/Songwriter
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Mail: markus(at)rocktimes.de

2 Kommentare

  1. Roger Drosdatis

    Hallo Markus Kerren
    Danke für ein sehr schönes Review zu Steamhammer’s Speech v.9.April 2021; man bemerkt das Sie sich besonders intensiv mit dieser Scheibe befasst haben obwohl (seit Erscheinen 1972) die Musik darauf sehr schwer verdaulich, schräg,ungewöhnlich sowie irgendwie unfertig klingend ist. Bisher nahm ich an das ich so ziemlich der einzige bin (war) der dieser Scheibe etwas positives abgewinnen konnte…für sämtliche Freunde/Bekannte aus dieser Zeit hatte ich stets "einen an der Waffel" da ich gerade diese LP so besonders gut fand bzw. immer noch mag .Daher bestätigte mir Ihre Aussage im letzten Absatz:"….ist Speech ein sehr gutes Album…."das wir mindestens schon zu zweit sind! Kleine "Nörgelei" am Rande:"Jane Relf" hat darauf keinen Ton mitgesungen…habe das Teil seit 1972 mindestens 100 mal gehört und nie einen Hauch einer weiblichen Stimme rausgehört; in den Credits der LP sowie Nachveröffentlichung 1991 (Repertoire) wird sie auch nicht erwähnt. Ich meine zudem früher irgendwo gelesen zu haben das sogar Keith Relf’s Background-Vocals limitiert waren er aber zudem etwas zu den Lyrics beitrug!? Übrigens will Martin Pugh nächstes Jahr eine neue Steamhammer-CD herausbringen an der er u.a.mit John Lingwood (1972/73 Nachfolger v.M.Bradley), Pete Sears (Bass)(Pianist d.ersten Steamhammer-Lp 1969) und einem weiteren (jungen) US-Gitarristen, seit längeren gearbeitet hatte. Da freu ich mich auf das Resultat.
    schöne Grüße aus Krefeld
    Roger Drosdatis

    1. Markus Kerren

      Hi Roger,

      vielen Dank für deine Anmerkungen.

      In der Tat ein sehr außergewöhnliches Album, das man sich erst 'erfühlen' muss. Oder es trifft den Hörer an einem gewissen Punkt der Seele, den er sowieso schon in sich hatte. Über das von Martin Pugh geplante neue Steamhammer-Album habe ich auch bereits gelesen. Da darf man ganz sicher sehr gespannt sein!!

      Beste Grüße,
      Markus

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