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Wolfgang Martin / Paradiesvögel fängt man nicht – Buch-Review

Eines schon vorweg. Selten gelingt es einem gebürtigen Ostler, passionierten Publizisten zugleich intimen Zeitzeugen jenen wohl verführerischen Symptomen journalistischer Eitelkeiten zu widerstehen, um seiner musischen Protagonistin sowie zeitgeschichtlichen Identifikationsfigur mit dokumentarischem Sachverstand – dennoch leiser Emphase, anstatt hervorgekotzter Verklärungs-Prosa – wiederzubegegnen.
Wohl kein Wunder, weiß der Leser um Verfasser Wolfgang Martins gelebter Kompetenz als einstiger Musikchef eines Bedürfnis-stillenden DDR-Jugendsenders jenseits aller sechziger Ächtungen der »Monotonie des Je-Je-Je«, sprich DT 64 (später ORB/rBB) und Intimus der langsam ausblutenden Vorwende-Szene.
Im 25. Todesjahr postum ein erneutes Sachbuch über die fraglos musikalisch prägendste Streiterin und renitenteste Rockdiva eines endzeitlichen Mauer-Regimes, der unvergessenen Tamara Danz, mit dem bezeichnenden Titel "Paradiesvögel fängt man nicht", gewissermaßen einen vorweggenommenen Schwanengesang der Wende, zu zieren birgt an sich schon die Charakteristika sowie den künstlerischen Kurs ihres Wesens.

»Paradiesvögel fängt man nicht ein
Paradiesvögel fliegen dir zu von ganz allein
Paradiesvögel sperrt man nicht ein
Sie brauchen den Himmel ganz ein Stück
ist zu klein.«

(Paradiesvögel, 1989)

Mit seiner gelösten, jedoch in jeder Faser mitgelebten Erzählweise lässt uns der Musikexperte einesteils an Fundstücken aus seinen, respektive von Tamaras Lieben zugetragenen Erinnerungs-Schätzen ebenjener reißfesten wie sanften Künstlerseele, anderseits an menschelnden Kaffeekränzchen mit Wegbegleitern gleichsam Chronisten wie Jörg Stempel, Tempelwächter aller VEB Schallplatten, teilhaben.
Martins zwischen den Zeilen emotional mitschwingende Gemütsausflüge, insbesondere zu jenem Spätsommertag des Jahres 1996, nach eigener Aussage »einer der traurigsten Sommer seines Lebens«, als eine der markantesten Stimmen der deutschsprachigen Rockmusik, kapitulierend vor der Übermacht eines Brustkarzinoms, in ihr eigens auf "Mont Klamott" besungenes "Asyl im Paradies" einzog, appellieren ein Vierteljahrhundert später ungleich mehr an das Wachhalten eines kollektiven Identitäts-Gedächtnisses 'Mauerstaat'-gelebter, dazu in verscodiertem Liedgut verborgener, Sehnsüchte.

»Gib mir Asyl, hier im Paradies
Hier kann mir keiner was tun
Gib mir Asyl, hier im Paradies
Nur den Moment, um mich auszuruh’n.«

(Asyl im Paradies, 1996)

Das Credo dieser anekdotenreichen Lektüre nährt sich, einschließlich der teils wohlwollenden Preisgaben privater Bilddokumente, vornehmlich vom spürbar unsichtbaren wie auch ungelösten Band zu jener Frontfrau die stets »sich selbst und ihren Liedern sehr, sehr nahe« noch dazu ihr "Yesterday" immer das Heute von morgen war.
Grundsätzlich kreist des Erzählers Philosophie der gesammelten Dialoge sowie Retrospektiven um die Frage: »Wie lebt ein Mensch in einem fort, den man mochte und liebte?«, gewiss jedoch um erhellende Blitzlichter auf die Zickzack-Karriere der thüringer Diplomatentochter die immer wusste »was sie wollte – und was sie nicht wollte«, wo auf den Bühnenbrettern »verletzliche Emotionalität und aggressive Direktheit« beieinander lagen, zu guter Letzt, auf ihre zeitlebens Rückgrat starke menschliche Haltung.

Es bräuchte wohl mehr als 200 Seiten um das betrüblicherweise kurze nichtsdestoweniger mit selbstbestimmenden Profil erfüllte Leben »so, ner kleinen Frau« alias "Wilden Mathilde" mit der Trockenshampoo-Mähne aufzuschreiben, bot diese nach dem Mauerfall selbst dem westlichen 'König von Deutschland' Rio Reiser "einer, dem man hundertprozentig glauben kann was er sagt und was er singt…" Paroli.
Der im Buch primär verwertete Kern ihres Menschseins, ob nun als 'Chefpeitsche' schwingendes Organisationsbündel der noch heute nimmermüden Silly-Familie, Rock’n’Roll-Attitüde zelebrierende 'Rampensau' unter Amigas Allstars bis zur Mitinitiatorin der historischen 'Resolution von Rockmusikern und Liedermachern', hat sodann seine einfühlsamsten Momente, wenn Bühnen-Kollegen, beste Freundinnen ins Pastorale verfallen.
City-Frontmann Toni Krahl – zugleich kollegialer Beobachter seit den 68ern – vergleicht Tamaras-Kreatürliche mit einem Himmelsgestirn: »Tamara war die Sonne und wer sich in ihrem Dunstkreis bewegte, fing an zu leuchten.«
Allenfalls berührt uns der Moment, wenn etwa die einst beste Freundin Angelika Weiz, Thüringer Blues-, Jazz-Soulsängerin, die ihre Telefonnummer noch jahrelang bewahrte, vom mysteriösen Vorkommnis am Tag des Abschiednehmens auf dem Friedhof Münchehofe eigens beim gemeinsamen Singen von Tamaras-Lieblingsliedes "Because" der Beatles berichtet: »Da kam ein Schmetterling in die Kapelle geflogen und René sagte: Tamara ist da.«

Der Mehrwert des Buches liegt gleicherweise im herznah-enträtseltem skizzieren um die wahrhaftigen Verhältnisse sowie Brüche zu ihrem philosophisch-lyrischen Stuckateur der eindrücklichsten Silly-Erfolge Werner Karma, der sie als .za:Lied im Lied am Leben und leuchten ließ«, ferner die aufeinanderfolgenden Amouren zu den, heute noch kollegialen, Bandmitglieder Ritchie Barton und Uwe Hassbecker.
Wenn es Martin dann einmal gelingt den Glorienschein nebst dem Siegel jener dunklen Seite seiner strategisch stets widerständigen Protagonistin zu durchbrechen, durchlebt der Leser ihre Metamorphose zur 'Generalissima' oder wie von Karma bitter ausformuliert: »Es war verstörend, mit ansehen zu müssen, wie leicht meiner bislang so fairen Freundin der Schritt vom Wir zum Ich fiel.«
Nichtdestotrotz vergibt ihr des Buches Narrativ über das bis zum schicksalhaften Ende publikumsgetreuen, überdies kommerzerwehrenden Daseins, welches im Missbilligen eines schlageresken West-Plattenvertrages gipfelte: »Wir dachten Textkontrollen sind vorbei. Dabei haben sich nur die Vorzeichen geändert.«

Schlussendlich ist das Substrat dieses unverblümten Psychogramms der aufmüpfigen Rocklady des Ostens als Stimme und Gesicht einer Aufbruchs-Generation die Erinnerung, welche wie ihre gesungenen Worte samt dem – ihren Jungs abgenommenen Versprechen – als »unsere ferne, unsere nahe, unsere tamarigste aller Tamaras« (O-Ton Abini Zöllner) weiterlebt.

Somit sollte die detailreiche, abgesehen von fehlenden Bilderklärungen, Ehrerbietung beim 'Born In GDR'-eingefleischten freilich auch spätgeborenen Ostrock-Leseklientel einen Platz auf den Nachttisch finden

»Wo du auch sein magst
Ich spüre dich
Deine Liebe wie Sonne
Scheint rein in mich.«

(Sonnenblumen/für Tamara, 2010)


Angaben zum Buch:

Verlag: Bild und Heimat (BEBUG mbH)
1. Auflage
Gebundene Ausgabe, 208 Seiten, 17 x 22 cm
ISBN 978-3-95958-283-4
19,99 EURO

Über den Autor

Ingolf Schmock

Als gebürtiges Mauerkind zudem frühzeitig mit westlichen Rock'n Roll-Ultrakurzwellen-
Oddyseen und Beatclub-Aufklärungen sozialisiert, galt mein musikalisches Verständnis
deren meist langmähnigen Aussenseitern. The Who, Small Faces, The Move...,später dann
Hartglötzer wie Black Sabbath, Deep Purple&Co., zu guter Letzt Schwurbel-Pioniere
ala Yes, Genesis, ELP...waren (sind) meine Helden sowie Seelenklempner.
Heute liegt mein Hauptaugenmerk (auch Hierzulande) auf sowohl handgemacht Rockistischem
mit Engagement und Seele, als auch Prog-gebrandmarkten virtuos-Verspieltem.

2 Kommentare

  1. Marion Felsch

    Ich habe selten eine so wortgewandte, fachkundige und gleichzeitig emotionale Rezension gelesen wie die diesige. Sie zeugt von detaillierten Kenntnissen über die ostdeutsche Rockszene und überzeugt den Leser, das Buch von Wolfgang Martin näher zu beäugen. Ich möchte fast sagen, dass auch die Leser, die Tamara nicht kennen/kannten, durch diese Rezension neugierig auf die hier vorgestellten 200 Seiten geworden sind.
    Danke Ingolf für diesen wunderbaren Einblick in die Welt nicht nur Tamaras, sondern auch in die Welt der Rockmusikszene in der DDR, über die ich gerne mehr erfahre in dem Buch"Paradiesvögel fängt man nicht".

    Marion Felsch

    1. Ingolf Schmock

      Besten Dank Marion für den beherzten Beleg für daß was ich hier tue, und weshalb ich es tue.

      Ingolf Schmock

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