«

»

John Hiatt With The Jerry Douglas Band / Leftover Feelings – CD-Review

John Hiatt With The Jerry Douglas Band / Leftover Feelings

Heiße Schaukelstuhl-Kleinode mit Tiefgang im Traditionsgewand

John Hiatt ist ein Gigant der Singer/Songwriter Szene im Spannungsfeld dessen, was mittlerweile gerne als Roots Rock/Americana subsumiert wird. Dabei ist er nie als Dogmatiker auffällig geworden und scheute weder Ausflüge in den Rock’n’Roll, noch in den Folk, den Blues, den Pop oder gar in die Sentiment-Ballade. Vor 48 Jahren erschien seine erste Single, ein Jahr später machten Three Dog Night seine zweite Single "Sure As I’m Sittin' Here" in den USA zum Top40-Hit und ermöglichten ihm den Start in eine fruchtbare Plattenkarriere, welche bisher stattliche 23 Albumproduktionen abwarf. Kommerzielle Erfolge hat er dabei eher weniger feiern dürfen, Rang 47 für "Perfectly Good Guitar" (1993) und "Terms Of My Surrender" (2014) waren das höchste der Gefühle.
Nein, John Hiatt ist nicht von einem Massenpublikum umschwärmt, sondern seine Song(Steil)vorlagen wurden und werden mit Kusshand von unzähligen Kolleginnen und Kollegen treffsicher verwandelt, nicht selten mit deutlich größerem Erfolg als bei ihrem Urheber. Three Dog Night waren da nur der Anfang und als die beiden Legenden B.B. King und Eric Clapton zur Jahrtausendwende ein gemeinsames Album mit dem Titel Riding With The King präsentierten, erschien der Albumtitel clever und programmatisch erdacht, war aber nichts anderes als eine Coverversion des Titelstücks von Hiatts gleichnamigem Album aus dem Jahre 1983.

Nun ist das 24ste Album erschienen, allerdings nicht mit seiner Stammband, sondern mit der Jerry Douglas Band. Genau, der Jerry Douglas, der bisher auf 32 Grammy-Nominierungen verweisen kann und 14 dieser Trophäen gewann, und welcher u.a. seit 1987 als Dobro-Erneuerer mit Allison Krauss erfolgreich zusammenarbeitet.
Erwartet uns jetzt also ein Bluegrass-Album oder gar ein Country-Heuler?
Letzteres weiß John Hiatt schon alleine durch seine Trademark-Stimme zu verhindern, welche auch im 69sten Lebensjahr noch vorhanden ist, wenn auch nicht mehr ganz so kraftvoll und eine Spur heiser. Ansonsten steigen die Herren zum Start ganz zeitgemäß in einen "Long Black Electric Cadillac", welcher musikalisch einen leichten Rockabilly-Touch nicht verhehlen kann. Dann geht es etwas ominös in eine Mississippi Telefonzelle ("Mississippi Phone Booth"), welche musikalisch im sumpfigen Untergrund Standschwierigkeiten haben dürfte, aber von JJ Cale-Klangcharakteristika geerdet wird.

Anschließend wird die Musik vom Titel her nicht kühler ("The Music Is Hot"), in der Umsetzung mit Violine, Dobro und Kontrabass aber gemütlich schunkelig. Heiß ist wohl auch eher die Witterung dieser südlichen Klänge im Dunstfeld von Country, Folk und Cajun. So reduziert war John Hiatt bisher selten bis nie unterwegs, derart traditionell auch noch nicht. Nicht nur "Light Of The Burning Sun" lässt wegen der Hitze wenig Bewegung zu und plätschert gemütlich im schattigen Schaukelstuhl zur Mittagsruhe dahin, beinhaltet aber textlich ernste Themen wie die Auseinandersetzung mit Trennung und Tod. Da kommt "Little Goodnight" gerade recht, welches einmal mehr durch eine bei diesem Album seltene E-Gitarre und einem latenten JJ Cale-Groove die Titelzeile und/oder den textlichen Inhalt mit der musikalischen Umsetzung konterkariert.

Nichtsdestotrotz schreibt John Hiatt immer noch kleine melodische Kleinode, wovon beispielsweise die erste Single zu diesem Album – "All The Lilacs In Ohio" – Zeugnis ablegt … wer hier nicht umgehend mitsummt, ist vermutlich der momentan auch in unseren Gefilden herrschenden Hitze zum Opfer gefallen. In "Keen Rambler" kreuzt Hiatt wunderbar Countrybilly erneut mit dem unvergleichlichen JJ Cale-Groove, um schlussendlich einen süßen Traum verschwinden zu lassen ("Sweet Dream"), natürlich verpackt in einen warmen, versöhnlich klingenden Roots-Sound, der so durchaus auch von Bruce Springsteen ohne Stadionattitüde kommen könnte … nächste Coverversion incoming!

Fazit: Wer zur großen Hitzewelle den passenden Sound sucht, dabei nicht ins Schwitzen geraten, das eine oder andere versteckte musikalische Kleinod entdecken und einem Storyteller mit Tiefgang im Traditionsgewand mit kleinem Besteck lauschen möchte, verziert mit jederzeit unaufdringlich kurz gehaltenen Kabinettstückchen von Jerry Douglas an Dobro und Lap-Steel, sollte diesem Album mehr als nur ein Ohr leihen. Niemand müsste sich dabei allein fühlen, denn der Singer/Songwriter-Gigant durfte für "Leftover Feelings" hierzulande erstmals überhaupt eine Top30-Platzierung feiern.


Line-up John Hiatt with The Jerry Douglas Band:

John Hiatt (acoustic guitar, vocals)
Jerry Douglas (dobro, lap-steel, background vocals)
Daniel Kimbro (bass, tic-tac bass, string arrangements)
Mike Seal (acoustic and electric guitars)
Christian Sedelmyer (violin, string arrangements)
Carmella Ramsey (background vocals)

Tracklist "Leftover Feelings":

  1. Long Black Electric Cadillac (3:26)
  2. Mississippi Phone Booth (3:06)
  3. The Music Is Hot (3:46)
  4. All The Lilacs In Ohio (3:29)
  5. I’m In Asheville (3:27)
  6. Light Of The Burning Sun (4:38)
  7. Little Goodnight (4:43)
  8. Buddy Boy (3:27)
  9. Changes In My Mind (3:34)
  10. Keen Rambler (3:25)
  11. Sweet Dreams (4:29)

Gesamtspielzeit: 41:30, Erscheinungsjahr: 2021

Über den Autor

Olaf 'Olli' Oetken

Beiträge im Archiv
Hauptgenres (Hard Rock, Southern Rock, Country Rock, AOR, Progressive Rock)

1 Kommentar

  1. Manni

    Da bin mal gespannt, der gute John hat ne Menge astreiner Platten vorgelegt. Mein absoluter Favorit ist (und bleibt?) "Slow Turning" aus 1988.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>