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Esquys / Instinct – CD-Review

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Es ist Phänomen und Rätsel zugleich: Mit seinem Debütalbum "Instinct" greift Sébastien Normand alias Esquys schon im ersten Anlauf nach den Sternen und hebt das Genre Symphonic Metal auf den Sockel, auf den es gehört: Die enge Verbindung von Metal und Elementen der klassischen Musik als gemeinsamen Nenner. Dabei bleiben die Bestandteile eigenständig erkennbar, sie verschmelzen durch ihr Miteinander jedoch zu einer neuen, wunderbaren Einheit. Die Stilrichtung des symphonischen Metals hat in den 1990er Jahren und zu Beginn des neuen Jahrtausends einen enormen  Aufschwung genommen. Was damals als revolutionär galt, verkam immer mehr zur Massenware, weil unter den Bands immer weniger Unterschiede auszumachen waren und stattdessen stereotyp versucht wurde, bestimmte Klischees zu kopieren.

Harte Gitarren-Bretter, kombiniert mit der Stimme einer Opernsängerin, dazwischen überraschende Tempowechsel beim Einsatz unterschiedlicher Instrumente – das alles schien in Vergessenheit geraten oder zumindest kaum noch präsent.

Der französische Musiker Sébastien Normand führt uns nun scheinbar zurück an die Wiege des symphonischen Metals. Der Reiz des Genre ist ungebrochen und Konzerte waren zumindest im Vor-Corona-Zeitalter gut besucht. Aber es bröckelt eben am Denkmal. Kommen wir zum Rätsel, das mit diesem Erstlinkswerk aufkommt. Laut Booklet zur CD spielt der Solokünstler alle (!) Instrumente ein. Welche das sind, erfahren wir an der Stelle nicht. Also müssten es wenigstens Gitarren, Bass, Keyboard und Schlagzeug sein. Meistens erledigen Solokünstler in diesen Tagen zusätzlich das Artwork, aber das müssen sie nicht während eines Bühnenauftritts. Dort steht vielmehr die Frage, wie ein erklärter Multiinstrumentalist wie der Franzose die Instrumente auf einmal spielen will.

Für das Album hat Sébastien Normand fünf Sängerinnen und den Schweden Mattias Eklundh verpflichten können. Ein Luxusproblem, das aber bei der Liveumsetzung ebenfalls Fragen aufwerfen dürfte. Inwieweit die Bereitschaft zur Mitarbeit durch die Pandemie begünstigt wurde, sollte keine Rolle spielen. Allein schon die logistische Komponente mit einem Hauptakteuer, fünf Sängerinnen und einem Sänger wirft Fragen nach der Umsetzung als mögliches Bühnenprojekt auf.

Vielleicht geht es auch gar nicht darum. "Instinct" ist ein Konzeptalbum und widmet sich Fragen aus der Fantasiewelt. Die aus dem Genre bekannten symphonischen Muster werden bei der musikalischen Umsetzung durch Folkelemente angenehm erweitert. Allen acht Stücken ist gemein, dass sie mit Klängen nicht überfrachtet werden. Es gibt abwechselnd stets andere Schwerpunkte. Der Hörer, der auf symphonischen Metal steht, wird in seiner vertrauten Welt mitgenommen.
Selbstbewusst, gesanglich versiert, dabei erfrischend ergänzt durch Chor- und Satzgesang, gibt es immer wieder überraschende Wendungen.
Solokünstler hin, Gastmusiker her. Jedem Künstler steht es in dieser unsicheren, von einer Pandemie geprägten Zeit frei, sich Verbündete für eigene Arbeiten zu suchen. Selbst auf die Gefahr hin, dass das fertige Ergebnis nur für den Endverbraucher daheim und niemals für den Konzertbesucher bestimmt ist.

Ein besonderes Zeichen auf dieser CD setzt für mich das ausgezeichnete Madonna-Cover "Frozen", vorgetragen von der 25-jährigen Micky Huijsmans. Die Sängerin und Songwriterin der holländischen Band Porselain versteht sich derzeit auf das Interpretieren von Coversongs und hinterlässt hier ein Glanzstück.
Die große Madonna, die in ihrer Schaffensperiode von so vielen Klischees umgeben war, ist plötzlich im Metal angekommen. Für mich steht die Frage, warum wagen sich so wenig Künstler aus dem Bereich des symphonischen Metals an ein Coverstück?

"Instinct" ist ein Geschenk. Zeigt es doch dem Hörer, welch ambitionierte Künstler in diesem Genre unterwegs sind. Ein Genre, das zuletzt immer mehr von einer langweiligen Beliebigkeit geprägt war. Sébastien Normands Produktion darf man getrost als Gesamtwerk einer Allstarband bezeichnen, wenngleich er es vielleicht anders sieht.
Eine wichtige Erkenntnis: Endlich klingen Gitarren wieder nach Gitarren und werden nicht von ewig vielen anderen Instrumenten überstimmt, sodass ein wichtiges Kriterium des symphonischen Metals auflebt. Wo Metal draufsteht, selbst mit einem Zusatz, sollte schließlich immer noch Metal drin stecken. Dem Franzosen Sébastien Normand und dessen Projekt Esquys darf man anerkennend zurufen: Ein perfektes Gesellenstück, weiter so.


Line-up Esquys:

Sébastien Normand (all Instruments, programming)
Guests:
Mattias Eklundh (guitar, vocals)
Anna Fiori (vocals)
Ranthiel (vocals)
Anna Murphy (vocals)
Jen Janet (vocals)
Micky Huijsmans (vocals)

Tracklist "Instinct":

  1. Rise
  2. Open Your Eyes (feat. Anna Fiori, Mattias Eklundh)
  3. Ddawnsiwr
  4. Ghosts (featuring Ranthiel)
  5. Shadows (featuring Anna Murphy)
  6. Your Smile (featuring Jen Janet)
  7. Unveiled
  8. Frozen (featuring Micky Huijsmans)

Gesamtspielzeit: 41:17, Erscheinungsjahr: 2021

Über den Autor

Mario Keim

Musikstile: Heavy Rock, Rock, Deutschrock, Hard Rock
Marios Beiträge im RockTimes-Archiv

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