'Erst gehen Sie mal bitte tief in Ihrem Inneren zwanzig Jahre zurück, von Tatarus aus setzen Sie dann mit dem Boot nach Elysium über, lassen den Tempel der Göttin Frayja links neben sich und überqueren die Brücke nach Mundalis …' oder so ähnlich könnte die Kurzanleitung für "Inphantasia" lauten. Mit ihrem zweiten Studioalbum legen die Bremer Melodic-Progger von Eyevory ein Konzeptalbum vor, das sich in einer Welt abspielt, die so aussieht, wie die Band klingt. Wir tauchen in die Welt von Inphantasia ein. In diesem Wortspiel stecken Kindheit und Vorstellungskraft – und das passt auch zur 66 Minuten langen akustischen Reise zurück in die surreal bunte, mal schöne und mal beängstigende Gedankenwelt der frühen Kindheit voller Ängste, Wünsche und Träume, aber mit dem wachen Verstand des Erwachsenen …
… eine ganz schöne Herausforderung! Dieses Szenario ist zwar eine Steilvorlage für die melodisch-verspielte Art von Eyevory, birgt aber zugleich auch die Gefahr, dass die Musik an den Erzählsträngen entlangplätschert, sich wiederholt und man als Hörer nie so recht weiß, wo man gerade dran ist. Doch in diese Falle sind die Musiker nicht getappt. "Inphantasia" bietet einerseits alles gewohnt Gute, das man vom ersten Album Euphobia und zweier EPs kennt, wie lyrische Melodieführungen der Querflöte und der weiche Gesang Jana Franks und Kaja Fischers als Kontrapunkt zu metallischen Heavy-Riffs der Gitarre. Andererseits nutzt man nun sogar Streicher, Dudelsack und Kinderchor auf der Besetzungsliste, um noch mehr Diversität und Tiefgang zu erreichen.
Nach dem einleitenden "Prologue" mit langen Sprechparts überzeugt der episch angelegte, aber intuitiv zugängliche Achtminüter "La Cage" mit einem mitreißend-pulsierenden Beginn und seinem Fantasy-Power Metal-Chorus. Nach einem 'Sturz' in ein geheimnisvolles Riesen-Break wird der Hörer Stück um Stück durch beklemmende Klang-Umgebungen (genial gemacht mit nervösem Streicher-Flageolett!) wieder zurück zur Oberfläche geführt. "Star Star" überzeugt mit seinem kontinuierlichen Kraftzuwachs und steigert sich von ganz ruhigem Beginn zu einer amtlichen Powerballade mit allerhand Ü-Effekten. Just bevor es kitschig würde, kommen kantige Heavy-Riffs hinzu; und beim letzten Chorus ’singt' die Solo-Gitarre euphorisch mit – klasse!
Heavy, aber auch verspielt – typisch Eyevory – kommt der Titeltrack "Inphantasia" daher, bevor man mit "Tartarus" das Glanzstück des Albums abliefert. Ein arabischer Touch zu Beginn, ein Hauch von Folk zum Ende hin, dazwischen viel orchestrale Dramatik zur Unterstützung des melodisch wie harmonisch Stärksten, was die Band bisher geschrieben hat. Ein simples, aber spannnendes Hauptthema wird immer wieder aufgegriffen – instrumental oder im Chor, sich langsam und behutsam vortastend oder hektisch schnell – und liefert spätestens im hochpulsigen Instrumentalpart den ultimativen Beweis dafür, dass Eyevory es nicht bloß brav und glitzernd können. So facettenreich waren sie noch nie.
Auch die Gesamtdramaturgie überzeugt. So bekommen wir, nachdem uns "Tartarus" aufgewühlt und durchgeschüttelt hat, mit "Elysium" eine Art Zwischenspiel – mit achteinhalb Minuten ein Zwischenspiel XXL. Erst geben uns wehmütige balladenhafte Passagen Zeit zum Durchatmen, dann bäumt sich ein unscheinbar startender, von der Querflöte dominierter Instrumentalpart zu einem majestätischen Soundtrack voller Mut und Zuversicht auf und mündet in einen finalen Gesangspart voller positiver Energie. Nachdem der nachdenkliche Kinderchor bei "Elysium" etwas an Andy Kuntz' (Vanden Plas) Soloprojekt Abydos erinnert hat, zeigt man nicht zuletzt durch die Dudelsack-Komponente bei "Mundalis" ein paar (gar nicht übertriebende) Nightwish-Züge, die hier und da schon bei "Tartarus" auszumachen waren.
Jawohl, Eyevory sind 'größer' geworden und klingen nicht mehr nur nach zauberhafter Märchenvertonung, sondern auch nach schaurig-verwunschener Dark Fantasy. Und in märchenhaften Gefilden klingt keine Klang-Atmosphäre wie die andere. So verströmt von den überraschend (wie erfrischend) straighten Nummern "Pictures" und "Human" erstere ein wehmütig-verträumtes Flair und letztere durch dieses stampfende Mid-Tempo und verklärende Effekte einen nahezu beschwörenden Drive in Magnum-Manier. Der geschickt unkitschige Einsatz der Querflöte und der (nicht nur hier überzeugende) weibliche Doppelgesang tun ihr Übriges dazu. So wird ausgerechnet ein sehr geradeaus geschriebenes Stück wie "Human" zu einem weiteren Highlight der Scheibe.
"The Perfect Empire", mit dem die Band das Tempo inklusive klassischer Metal-Anleihen und technisch besonders anspruchsvoller Läufe besonders hochschraubt, und die einfühlsame Ballade "Hope" waren schon bekannt – von der 2014er-EP Hope. Erstaunlich, wie sehr Eyevory die damals erweckten Erwartungen erfüllt und sogar noch übertroffen haben. Mit "Inphantasia" hat die Band – inzwischen nach einigen Besetzungswechseln am Drumhocker mit Arne Suter übrigens wieder komplett – die Messlatte für sich selbst sehr hoch gelegt. Und so soll das sein für eine junge Gruppe mit Fantasie und Anspruch. Wer diesen Anspruch teilt, solllte das Album nicht downloaden, sondern die CD kaufen. Das Booklet lässt sich zu einer Karte des Fantasielands Inphantasia ausklappen – dann erklärt sich das auch mit der Bootstour nach Elysium und der Brücke nach Mundalis.
Line-up Eyevory:
Jana Frank (vocals, bass)
Kaja Fischer (vocals, flute, keyboards)
David Merz (guitars, piano, synthesizer)
Guest musicians:
Frank Alpers (drums – #1-9)
Mike Thorne (drum – #10)
Wanja Brinkmann (violin, viola – #1-8, 10-11)
Alexander Schuhamm (cello – #2-3, 8)
Lür Tischer (cello – #11)
Martin Breuer (contrabass – #2-3, 5)
Ulli Torspecken (accordion – #5)
Christoph Riedlberger (flute – #6)
Klaus Kessler (bagpipes – #7)
Jens Gatzemeier, Harald Möller, Klaus-Dieter Keusgen (backing vocals – #7)
Inge Merz, Kim Merz (backing vocals – #10)
Children’s choir
Liv Wiescholek (child vocal solo – #7)
Tracklist "Inphantasia":
- Prologue (2:34)
- La Cage (7:52)
- The Star (6:52)
- Inphantasia (5:44)
- Tartarus (9:07)
- Elysium (8:31)
- Mundalis (8:30)
- Pictures (3:18)
- Human (4:11)
- The Perfect Empire (5:04)
- Hope (4:29)
Gesamtspielzeit: 66:20, Erscheinungsjahr: 2016
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