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Felt / The Splendour Of Fear – CD-Review

Wir schrieben das Jahr 1984, das Jahr des George Orwell. Damals hatte ich die Schule endlich hinter mir gelassen und arbeitete an meiner Ausbildung, während Deep Purple völlig überraschend ein Comeback ankündigten. Ansonsten war es eher nicht die Epoche der klassischen Rockmusik. Mit New Wave konnte ich nicht viel anfangen,  mit Synthie Pop und Deutscher Welle schon rein gar nicht. In dieser musikalisch eher orientierungslosen Zeit war die Entdeckung einer Band wie Felt  für mich so etwas wie der Fund eines seltenen Kristalls. Damals betrieb der WDR eine Radio-Sendung namens "Graffiti", die einen Lichtblick vermittelte, weil dort aus der Independent-Szene manch spannendes Hör-Abenteuer jenseits aller Strömungen vermittelt wurde. Und dort spielte der Moderator Günther Janssen eines Abends das einmalig in seiner getragenen Ruhe dahintreibende "The Stagnant Pool" von Felt. Ein Song, der in seiner in sich selbst verharrenden, meditativen Stagnation minutenlang kreiselt und schwebt. Völlig entschleunigt, völlig losgelöst. Wie heißt es frei übersetzt in der ersten Strophe?

»The Stagnant Pool. Wie ein ertrunkener Sarg, still wie ein verstorbenes Herz, spukender Geist eines edlen Kreuzritters. Wer erinnert sich an glasklares Eis, das schmerzende Zweige verbindet, Eis, das niemals schmilzt, das niemals tropft um die Stille nicht zu stören.«

Diese seltsam schöne Poesie des Stillstands wird perfekt von den beiden mäandernden Gitarren aufgenommen, die in gegensätzlichen, höchst minimalistischen Läufen bis zum Abwinken treiben, variieren, repetieren. Es wird sicherlich auch Zuhörer geben, die sich dabei tödlich langweilen, eine Gewissensfrage wie bei Kubricks "2001 – Odyssee im Weltraum". Mich hat es völlig mitgerissen in seiner so genial schlichten Akzentuierung. Damals, lange vor der Zeit des all gegenwärtigen Internets war es gar nicht so leicht, an die LP heranzukommen, die von Cherry Red Records verlegt wurde. Sie musste eigens im Mutterhaus in London bestellt werden.

Das Cover ziert übrigens das historisches Filmplakat zu Andy Warhols legendärem Werk "Chelsea Girls". Diesen Kultstatus des berühmten Pop-Art-Künstlers haben Felt leider nie erreichen können, dafür war ihre Musik wohl zu wenig vom Mainstream adaptierbar. Die Qualität ihrer Musik hätte bei weitem mehr Aufmerksamkeit verdient.

Getragen wurde die Musik von Felt durch die signifikanten Gitarren von Maurice Deebank und Lawrence Hayward, der seit der Veröffentlichung der ersten Felt-EP "Crumbling The Antiseptic Beauty" (ebenfalls sehr empfehlenswert) nur noch unter seinem Vornamen firmierte. Ein typisches Stilmittel stellt die Kontrastierung der, insbesondere für die Post-Punk und New Wave Zeit völlig untypischen, fast klinisch sauber und pointiert gespielten Gitarren mit dem schon eher zeitgemäßen, immer etwas schräg klingenden Gesang dar. Lawrence hing oft einen halben Ton daneben und erinnerte ein wenig an den durchaus vergleichbaren Gesang von Lou Reed. Überhaupt lassen sich gewisse Parallelen zu den Kompositionen von The Velvet Underground erkennen, was ja durch das verbindende Element Andy Warhol (Plattencover) durchaus auch deutlich gemacht wurde. Insgesamt aber war die Anlage der Songs bei Felt deutlich Pop orientierter.

"The Splendour Of Fear" wurde damals ebenfalls als EP produziert, hat aber anders als andere Felt-Platten einen markanten, durchgängig meditativen Duktus, der schon in dem kurzen, aber feinen Opener "Red Indians" prägnant hervortritt. Ein simpler, sich ständig wiederholender Akkord auf der Gitarre, darüber eine eben solche, die ganz langsam ausholend in ein wohlklingendes Thema driftet. Ein sparsamer Beat darunter gelegt und schon kurven wir in das deutlich poppigere "The World Is As Soft As Lace" ein, das klassischen Songstrukturen mit Gesang entspricht und schon einen Ausblick auf das Nachfolge-Album gewährt. Doch schon "The Optimist And The Poet" ventiliert schon wieder in instrumentalem Gewand über schlichte Grundthemen und einer ständig alternierenden Rhythmusgestaltung, mal etwas gebremst, mal etwas beschleunigt, sozusagen der Probelauf für das schon beschriebene Hauptwerk, damals auf der zweiten Seite der LP. Zum Ende hin entwickelt der Song trotz der völlig unverzerrten Gitarren einen enormen psychedelischen Sog.

Wenn dann endlich "The Stagnant Pool" angestimmt wird, ist der Hörer bereits bestens auf die Vibes der Band geerdet – oder eben längst eingeschlafen. Man muss den Schlüssel zu dieser gezielten Eintönigkeit schon finden, um daran Freude zu haben. Aber wenn das gelingt, dann wird man neun Minuten lang in eine warmherzige, organisch klingende Meditation hineingleiten. "The Stagnant Pool" entwickelt eine hinreißende Magie, die sich auch nach zweiunddreißig Jahren kein Deut abgenützt hat.


Line-up Felt:

Lawrence (rhythm guitar, vocals, lead guitar)
Maurice Deebank (lead guitar)
Mick Lloyd (bass)
Gary Ainge (drums)

Tracklist "The Splendour Of Fear":

  1. Red Indians
  2. The World Is As Soft As Lace
  3. The Optimist And The Poet
  4. Mexican Bandits
  5. The Stagnant Pool
  6. A Preacher In New England

Gesamtspielzeit: 30:48, Erscheinungsjahr: 1984

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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