Isildurs Bane bezeichnet natürlich nichts anderes als den einen Ring, sie zu knechten. "Der Herr der Ringe" als Inspiration eines Kammer-Rock-Ensembles – so nennt sich die in den Siebzigern gegründete Band selbst – passt thematisch hervorragend, denn auch die Musik von Isildurs Bane beflügelt die Phantasie. 2019 arbeitete das Konglomerat erstmals mit Van der Graaf-Frontmann Peter Hammill für das Album Amazonia zusammen. Hammill, bekannt für seine düsteren, psychologisch angehauchten Texte in einem solchen Kontext kultivierten Progressive Rocks einzubinden ist ein weiterer genialer Schachzug der Schweden.
Nun erscheint ihr zweites gemeinsames Werk "In Disequilibrium" in diesen Tagen. 'Im Ungleichgewicht'. Eine Parabel auf unsere Zeit und eine weitere Parallele zum "Herrn der Ringe". Hieß es nicht auch dort, die Welt sei im Umbruch?
Anders als bei "Amazonia", wo die Songs Stück für Stück gemeinsam erarbeitet wurden, erhielt Peter dieses Mal, vermutlich auch aus Gründen der diversen Lockdowns, das gesamte Konzept der Musik zur Einsicht und willigte sofort ein, die Texte zu schreiben – die ersten seit dem Ausbruch der Pandemie. »Zweifelsohne hat dieser Umstand einen erheblichen Einfluss darauf gehabt, wie die Texte letztlich ausgefallen sind«, sagt er selbst. Seine Performance auf dem Album ist kraftvoll und inspirierend, aber durchaus weniger exzentrisch, wie man ihn schon erlebt hat. Dies ist zumindest mein Eindruck, vielleicht liegt es aber auch an einer Art von Verfremdung, mit der Peters Stimme teilweise belegt wird. Er selbst erklärt aber auch im Begleitmaterial, dass er angesichts der großartigen instrumentalen Qualität von Isildors Bane seinen eigenen Beitrag nicht übertreiben wollte. Was für ein erstaunlich bescheidenes Statement eines solch großen Künstlers.
Das Album besteht aus zwei epischen Werken, "In Disequilibrium" ist unterteilt in drei, "Gently (Step By Step)" in vier Teile. Die Musik basiert auf organischen Instrumenten und integriert originäre Blas- und Saiteninstrumente, statt auf zu viel Elektronik zu setzen. Anders als die gängigen Landsleute wie die Flower Kings oder Kaipa lösen sich IB, um die Band im Folgenden abkürzen zu dürfen, von gewöhnlichen Konventionen und schaffen vielmehr fesselnde Atmosphären, gerade im ersten Teil des Titelstücks variierend zwischen aggressiv krachenden Passagen und düsteren Ausflügen mitten durch die Seele des mitfühlenden Mitmenschen. Es sind diese gewaltigen Kontraste, die mich sogleich mitnehmen. Hier zu Beginn kann man sogar fast noch von einem recht eingängigen, rockigen Rhythmus sprechen, ungeachtet der Breaks.
Doch Part 2 beginnt mit mystischen Sounds wie aus den Siebzigern, Peters Stimme wirkt fast noch ein wenig fremder. Die Zauberküche der Perkussionisten scheint sich gelegentlich den Wegen der Harmonien in den Weg zu stellen, es bedarf ein wenig Konzentration, um dem Flow zu folgen. Doch wenn die rhythmischen Hürden gerade mal ein wenig zappaesk wirken, ist es letztlich der progressive Spirit der Kammer-Rocker, mit einigen progressiven Stilmitteln und Tönen das ganze Gefüge zusammenzuhalten. Ein paar Glocken- und Geigentöne kommen da immer ganz gut und gerade die artrockig sanften Parts wie zum Ende des zweiten Teils sorgen für Gänsehautmomente. Man befindet sich in einem fremden Universum, wenn auch vielleicht nur tief in uns selbst. Den Übergang zum dritten Teil vermittelt eine spärliche Trompete, aus der sich ganz allmählich neue Gesangsparts für Peter entwickeln, die nun wieder zunehmend schärfer im Ausdruck daher kommen. Faszinierend und scheinbar ziellos korrelieren die unterschiedlichen Instrumente zu einem immer kompakteren Klangspektakel, bis sich relativ kurz vor dem Finale auch einmal eine Sologitarre zu Wort melden darf.
Peters letzte Botschaft, puristisch ohne Begleitung ans Ende gesetzt, klingt unerwartet optimistisch: »Wherever you have gone, wherever you are going, hold on, hold on to your dreams for just as long as you can«. Ein erstaunlich positives Statement zum Abschluss.
Düster nachdenkliche Sounds leiten auch die zweite Suite ein, "Gently (Step By Step)". Deutlich zurückgenommener als bei der ersten Nummer zieht sich die Begleitmusik für Peters Gesang noch mehr in einen Modus der Untermalung zurück. Die Melodik sprengt die Gesetze hiesiger Harmonien, wir könnten uns auch wunderbar in einem psychedelischen Film befinden, wo man zu dieser Zeit noch nicht abschätzen kann, ob es ein Happy End geben wird. Die referenzielle Trompete hat es mir abermals angetan und verstärkt diesen Eindruck, fast wie in einem Film Noir. Zu Peters Vita passt das ganz sicher.
Ein neuerliches, kurzes Zwischenstück (Teil drei von "Gently") behält uns instrumental in dieser Dunkelkammer menschlicher Empfindungen, doch die morbide Schönheit des vielleicht Unvermeidbaren hat einen eigenartigen Reiz.
Der letzte Teil weiß mit geheimnisvoller Percussion Akzente zu setzen, manchmal erinnert es fast an eine buddhistische Zeremonie der Mönche im Himalaya. Doch dann kristallisiert sich ein durchaus modern gespielter Rhythmus heraus, an den Drums arbeitet kein Geringerer als der Crimson King Pat Mastelotto. Klassische Streicher sorgen ebenfalls für einen außergewöhnlichen Begleitschutz, doch die Tastenarbeit muss an dieser Stelle ganz deutlich herausgehoben werden. Ohne jedes exzentrische Solobegehren stellt man sich hier in den Dienst der Sache, kreiert Sounds von schräger, doch gewaltiger Schönheit. Peters Stimme wird mehr und mehr in den Vordergrund gestellt, wir steuern unbestritten auf das Finale zu. In diesen Passagen klingt sein Gesang klar und originär, nicht mehr belegt mit Filtern oder verfremdenden Elementen. »Leave the darkness of the past behind you, because tomorrow will be a better day« ist die letzte Zeile, ein dunkles Soundscape am Ende lässt diese Aussage offen, da klingt es eher nach einem trägen schwarzen Loch, in dem Luzifer schon auf uns wartet.
Nehmen wir die simple schöne Coverart heran, scheint der dünne Mann auf dem Lichtstrahl ja tatsächlich ins Licht zu blicken. Na dann …
Ich denke, man muss diese Musik tatsächlich fast wie ein klassisches Werk an sich heranlassen, gewöhnliche Maßstäbe und Songstrukturen, wie sie selbst auch im progressiven Rock ausgeprägt sind, lösen sich hier in einem Gesamtkunstwerk auf. Diesen Weg gehen IB und PH in einer beispiellosen Konsequenz. Wer sich darauf einlassen kann, wird mit einem überwältigenden Erlebnis zurückbleiben.
Einzigartig.
Isildurs Bane & Peter Hammill Line-up:
Peter Hammill (vocals)
Katrine Amsler (keyboards)
Klas Assarsson (marimba, vibes, percussion)
Luca Calabrese (trumpet)
Axel Croné (bass, woodwinds, guitar, keyboards)
Samuel Hällkvist (guitar)
Mats Johansson (keyboards)
Liesbeth Lambrecht (violin, viola)
Pat Mastelotto (drums)
Kjell Severinsson (drums)
Tracklist "In Disequilibrium":
- In Disequilibrium
- Gently (Step By Step)
Gesamtspielzeit: 44:21, Erscheinungsjahr: 2021
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