Für so manchen Fan von Iron Maiden kam der Zeitpunkt einer Neuveröffentlichung in Corona-Tagen wie aus heiterem Himmel. Allerdings liegt die Veröffentlichung des Vorgängeralbums The Book Of Souls schon sechs Jahre zurück. Es war die bisher längste Durststrecke zwischen zwei aufeinander folgenden Platten der Band. Eingeleitet wurde das neue Album "Senjutsu" mit dem am 15. Juli 2021 veröffentlichten Video zur ersten Single, "The Writing On The Wall". Mit dem Material aus "The Book Of Souls" gingen Iron Maiden damals auf Tour. Auf die Album-Tour folgte traditionell 2018 eine Best Of-Tour. Seit zwei Jahren steckt die Legacy Of The Beast-Tournee, bedingt durch die Pandemie, in der Warteschleife. Der Heißhunger der Fans ist riesengroß und 2022 soll es endlich live eine Fortsetzung geben.
Einen Heißunger verspüren die Anhänger natürlich auch vor jeder neuen Veröffentlichung. Es scheint, als hätten die Männer um Gründungsmitglied und Bassist Steve Harris (65) noch lange nicht genug. Die Karriere der Band zwischen Studioproduktionen und Bühnenshows gleicht einem Marathonlauf. Die laut Plattenverkäufen erfolgreichste Heavy Metal-Band der Welt liefert bis heute eine beispielhafte Erfolgsgeschichte. Welttourneen im eigenen Flugzeug und die Produktionen von Videospielen zu eigenen Alben machen das Salz in der Suppe und die Besonderheit aus.
Trotzdem gibt es mit jeder Neuveröffentlichung vereinzelt auch Skepsis, frei nach dem Motto: Was haben uns die sechs Musiker Neues zu bieten? Mit "Senjutsu" bleiben Iron Maiden ihrem vor 15 Jahren eingeschlagenen Weg treu. Diese Ausrichtung ist geprägt von längeren und komplexen Stücken und erinnert damit an progressive Musik, ohne aber im Kern vom Heavy Metal abzurücken. Iron Maiden präsentieren sich experimentell und bleiben ihrem eigentlichen Stil treu. Deutlich wird die jüngere Entwicklung bereits auf "The Book Of Souls", das mit einer Spiellänge von 92 Minuten ebenfalls als Doppelalbum erschien.
Die Stücke hatten eine beeindruckende Spiellänge von fünf bis 18 Minuten. Auffallend damals war, dass mit Ausnahme von Schlagzeuger Nicko McBrain alle Bandmitglieder in das Songwriting eingebunden waren. Die Spielfreude auf der Bühne macht jeweils deutlich, dass Teamarbeit großgeschrieben wird.
Eingespielt wurde "Senjutsu" bereits Anfang 2019. Es wurde während einer Pause innerhalb der Legacy-Tournee aufgenommen, um nach Angaben der Band möglichst viel touren zu können und trotzdem einen langen Vorlauf zum Release zu haben. Auf Feinheiten wie solides Artwork und ausgefeilte Videos sollte ebenfalls nicht verzichtet werden. Als Garanten für eine unverwechselbare Produktion zeichnen wiederum der langjährige Produzent Kevin Shirley und an seiner Seite Steve Harris verantwortlich. Die zehn Stücke bieten Kompositionen in bester Iron Maiden-Manier. Ein entscheidender Vorteil ist, dass die monumentalen Werke nahezu mit jedem Anhören neue Feinheiten offenbaren. Sänger Bruce Dickinson verleiht den Tracks das Unverkennbare. Beim gemeinsamen Songwriting trifft die Aussage analog "The Book Of Souls" zu.
Auf "Senjutsu" haben sich die experimentellen Briten von der Gestalt eines Samurai inspirieren lassen. In einem solchen Gewand erschien Monster Eddie bei der animierten Videopremiere. "Senjutsu" bedeutet frei übersetzt "Taktik und Strategie". Dafür hat sich die Band erneut die Dienste von Mark Wilkinson gesichert, um das spektakuläre Cover-Artwork mit Samurai-Thema auf Basis einer Idee von Steve Harris zu gestalten.
Die spannungsreichen Titel haben nach Art des Hauses Erzählcharakter, wenngleich es sich um kein Konzeptalbum handelt. Das sollte dem Fan egal sein, der auf zehn abgeschlossenen Tracks einen Facettenreichtum erlebt, wie er kaum noch zu toppen ist. Musikalisch erinnert das Gehörte in seiner Struktur stark an eine Rockoper. Die drei Gitarren dominieren das Geschehen, aber ihre Instrumente drängen sich mit Ausnahme der Soli nicht in den Vordergrund. Das kräftige Bassspiel ist somit stets gut zu hören, so dass sich alle Bestandteile harmonisch zum typischen Klang von Iron Maiden vereinen.
Es verbietet sich fast, einen einzelnen Titel herauszuheben. "The Parchment" allein enthält all die Maiden-Elemente bei einer Spiellänge von zwölf Minuten. Wie bereits erwähnt, machen diese Längen auf mehreren Liedern und die komplexe Struktur den Unterschied aus. Gleichzeitig liefert dieser Song einen Beleg für das agile und solide Spiel von Schlagzeuger Nicko McBrain, der seit 1982 Bestandteil der Band und live aktuell als Barfüßer am Start ist. Diese Nummer wäre mit den Tempowechseln ein geeigneter Anspieltipp, zumal Gitarre und Bass im weiteren Verlauf zu Hochform auflaufen, wären da nicht gleichberechtigt neun andere hörenswerte Tracks enthalten. Die zwölf Minuten klingen gefühlt noch länger. Genau das ist das Markenzeichen der Nummern. In "Death Of The Celts" stecken folkloristische Klänge im Metal verpackt. Ein genial komplexes Stück mit einem bestens aufgelegten Bassisten. Mit "Days Of Future Past" ist Platz für ein vier Minuten langes schnelles Stück im besten Maiden-Gewand, das sich unauffällig neben die vielen Langfassungen reiht.
Iron Maiden anno 2021 – das ist Überraschendes und Bewährtes zugleich, weil immer wieder zu hören ist, mit welch ungezähmter Spielfreude die Akteure dabei sind, während die Fans dabei ganz sicher zusätzlich die Livepräsenz vor Augen haben. "Senjutsu" steht für Maiden im XXL-Format und in einer glänzenden Verfassung. Die Protagonisten bewahren ihre Eigenständigkeit mit hohem Wiedererkennungswert. 46 Jahre nach Bandgründung klingt die Formation vitaler denn je. Abnutzungserscheinungen sind Fehlanzeige.
"Senjutsu" gibt es in verschiedenen Ausführungen als Doppel-CD und Dreifach-Vinyl-Album.
Line-up Iron Maiden:
Bruce Dickinson (vocals)
Dave Murray (guitars)
Adrian Smith (guitars)
Janick Gers (guitars)
Steve Harris (bass)
Nicko McBrain (drums)
Tracklist "Senjutsu":
CD 1:
- Senjutsu (8:20)
- Stratego (4:59)
- The Writing On The Wall (6:13)
- Lost In A Lost World (9:31)
- Days Of Future Past (4:03)
- The Time Machine (7:09)
CD 2:
- Darkest Hour (7:20)
- Death Of The Celts (10:20)
- The Parchment (12:39)
- Hell On Earth (11:19)
Gesamtspielzeit: 40:06 (CD 1), 41:19 (CD 2), Erscheinungsjahr: 2021
2 Kommentare
Achim
10. Oktober 2021 um 12:09 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Ich finde das Album genial, nach all den Jahren noch soviel Spielfreude zu offenbaren das dies regelrecht aus dem Album herausspringt, sucht seinesgleichen. Ich würde sagen es ist ein Zusammenschluss zwischen Brave News World und Book of Soul.
Danke für die Rezi, gut geschrieben.
Mario Keim
10. Oktober 2021 um 16:02 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Hallo Achim, ich danke Dir sehr für Dein Feedback und das Lob. Solche Zeilen sind immer eine subjektive Einschätzung. Du bestätigst mich aber in meinem Gesamteindruck. Ich sehe in erster Linie einen nahtlosen Übergang zu "The Book Of Souls". Wie geschrieben, ist letztlich die Spielfreude der Band das Maß der Dinge. Live und im Studio. Nachmals vielen Dank und Dir alles Gute. Bleibe uns gewogen:-).
Liebe Grüße Mario