Nicht, dass The Beach Boys ab 1967 irgendwas großartig anders gemacht hätten, dennoch konnte jedem auch noch so hartnäckigen Realitätsverweigerer spätestens zu diesem Zeitpunkt kaum noch verborgen geblieben sein, dass der bis dahin so hell leuchtende Stern der Band sich langsam aber sicher am Firmament neigte. Dabei hatte dies gar nicht mal mit der Qualität von Alben wie "Wild Honey" (1967), "Friends" (1968) oder "20/20" (1969), sondern vielmehr mit zwei anderen Tatsachen zu tun. Zum einen hatte sich der geniale Songwriter und Arrangeuer Brian Wilson (unter anderem durch einige ungesunde Substanzen) in eine Mischung aus Burn Out und ernsthafter psychischer Erkrankung bewegt, zum anderen passte das Surf- und Heile Welt-Image der Band in etwa so gut zur Hippie-Bewegung und den Anti-Vietnam-Zeitgeist der Endsechziger, wie ein Veganer in ein Steak House. Es schien fast so, als würde sich niemand mehr für die Band interessieren und auch die Plattenfirmen gingen auf Abstand. Für "Sunflower" wurden die eingereichten Songs mehrfach vom damaligen Label zurückgewiesen, bis die finale Version schließlich am 31. August 1970 erschien.
Dabei hatte sich die Band durchaus schon umgestellt, wie unter anderem die deutlich vom Soul ("Slip On Through") inspirierten Stücke oder auch das für Band-Verhältnisse sehr rockige "It’s About Time" verdeutlichen. Neben dem Opener hinterlässt Dennis Wilson mit seinen Lead Vocals für das Doo-Wop-artige "Got To Know The Woman" sowie der Ballade "Forever" (die zu einem seiner Meisterwerke gezählt wird) Eindruck. Der einzige Hit der Scheibe war (das enttäuschenderweise nur auf Platz 64 in den US Charts gelandete) "Add Some Music To Your Day", bis heute ein Highlight der Bandgeschichte. Am häufigsten an den Lead Vocals sind (vielleicht überraschend) Al Jardine und Bruce Johnson beteiligt. Bei dem abschließenden "Cool Cool Water" handelt es sich (hörbar) um eine überarbeitete Version einer Nummer des legendären (damals unveröffentlichten) Albums "Smile".
Insgesamt ist "Sunflower" ein sehr starkes Album, das nach seinem Erscheinen allerdings tatsächlich niemand interessierte und das für die erfolgsverwöhnten Beach Boys zum fianziellen Fiasko wurde. Es landete gerade mal auf Platz 151 der US Billboard Charts und war die am schlechtesten verkaufende Scheibe der Band zu diesem Zeitpunkt. Schade und ungerecht, in allererster Linie jedoch dem damaligen Zeitgeist und Image der Band geschuldet.
Es war klar, dass etwas passieren musste. Die Kalifornier beschlossen, sich mit ihrem Sound und ihren Lyrics näher dem angesagten Stil der Zeit zu nähern. Für die Arbeiten am nächsten Album "Surf’s Up" kam allerdings erschwerend hinzu, dass der Einfluss bzw. die Mitarbeit von Brian Wilson gesundheitsbedingt nur sehr dürftig ausfiel. Was auf der anderen Seite dazu beitrug, dass sich die anderen Bandmitglieder viel stärker einbringen konnten, was unter anderem zu dem sehr starken "Long Promised Road" von Carl Wilson führte. Ein weiterer (fast schon verzweifelt wirkender) Versuch war Mike Loves Überarbeitung des Leiber/Stoller-Songklassikers "Riot In Cell Block #9" und es als "Student Demonstration Time" zu verkaufen. Was ihm damals nicht abgenommen wurde. Vor allem der im Studio nur seltenen Anwesenheit Brian Wilsons ist geschuldet, dass die genialen Gesangsarrangements früherer Jahre auf "Surf’s Up" doch deutlich weniger in Erscheinung treten – was die Platte allerdings aus anderen herausstechen lässt und ihr nichts von ihrer hohen Qualität nimmt.
Einige Bandmitglieder beschäftigten sich zu jener Zeit intensiv mit Themen wie gesunder Ernährung ("Take A Load Off Your Feet") sowie dem Zustand der Umwelt ("Don’t Go Near The Water" oder "A Day In The Life Of A Tree"), inklusive bereits damals verkündeter Warnungen, besser auf seine Umgebung zu achten, da sie ansonsten vielleicht nicht mehr lange für uns da sein wird. Ebenfalls erwähnenswert, dass Dennis Wilson auf dieser Scheibe kein einziges Mal die Lead Vocals übernahm und unbedingt erwähnt werden muss auch noch Brian Wilsons zwar ziemlich morbides, aber dennoch wunderschönes "Till I Die".
Um noch tiefer in diese Phase der Band eintauchen zu können, sind hier weitere unglaubliche 34 Stücke aus den Sessions zu finden. Songs, die entweder von der Plattenfirma abgelehnt wurden, alternative Versionen und auch einige Live-Tracks sind enthalten. Darunter unter anderem eine Live-Version des Titelsongs "Surf’s Up", die erstaunlicherweise vom Tempo etwas runtergefahren wurde, in dieser Variante aber noch genauso glänzen kann. Und auch wenn die Beach Boys im Studio (von Carl Wilson mal abgesehen) kaum selbst die Instrumente eingespielt haben und für die beiden besprochenen Alben über 80 Session-Musiker verwendeten, gilt: Gerade auch hinsichtlich der ausgiebigen Bonus Tracks kommt man nicht daran vorbei, der Band (vor allem) hinsichtlich der Arrangements bezügich des und auf für den Gesang(s) an sich großen Respekt zu zollen.
Als Fazit kann nur festgehalten werden, dass es sich auch bei "Sunflower" und "Surf’s Up" um hervorragende Beach Boys-Alben handelt, die sich seinerzeit aus unterschiedlichen Gründen einfach nur sehr schlecht verkauften. Wobei "Surf’s Up" mit Platz 29 immerhin wieder den Sprung in die Top30 der US Album Charts schaffte. Aber die ganz großen Zeiten mit den ganz großen Hits der frühen Jahre (von denen jeder Musik-Lieber mindestens fünf bis zehn im Schlaf aufsagen kann) war vorbei und kam nie wieder zurück. Dennoch bzw. gerade deshalb ist "Feel Flows – The Sunflower & Surf’s Up Sessions 1969 – 1971" eine ganz starke Veröffentlichung, die uns allen die Möglichkeit eröffnet, diese beiden Perlen (und mehr) noch einmal neu zu entdecken.
Line-up The Beach Boys (lead vocals only listed for original albums):
Brian Wilson (piano, organ, Moog, harmony vocals, lead vocals – CD 1 – #3,12, CD 2 – #3,9,10)
Carl Wilson (acoustic-, 12-string- & electric guitars, bass, chamberlin, clavinet, electric sitar, percussion, harmony vocals, lead vocals – CD 1 – #2,3,6,10, CD 2 – #2,6,10)
Dennis Wilson (drums & percussion, piano, additonal guitar, harmony vocals, lead vocals – CD 1 – #1,4,9)
Mike Love (harmony vocals, lead vocals – CD 1 – #3,8,12, CD 2 – #1,5)
Al Jardine (guitars, harmony vocals, lead vocals – CD 1 – #3, CD 2 – #1,3,7,8)
Bruce Johnston (bass, piano, harmony vocals, lead vocals – CD 1 – #3,5,7,11 CD 2 – #4)
With more than 80 session musicians.
Tracklist "Feel Flows …":
- Slip On Through
- This Whole World
- Add Some Music To Your Day
- Got To Know The Woman
- Deirdre
- It’s About Time
- Tears In The Morning
- All I Wanna Do
- Forever
- Our Sweet Love
- At My Window
- Cool Cool Water
- Loop De Loop [Bonus Tracks]
- San Miguel
- Susie Cininnati
- Good Time
- I Just Got My Pay
- Two Can Play
- I’m Goin' Your Way (alternate mix)
- Where Is She
- Break Away (backing vocals excerpt)
- Our Sweet Love (string section)
- This Whole World (alternate ending)
- Soulful Old Man Sunshine
- All I Wanna Do (a-cappella)
- Back Home (alternate version)
- When Girls Get Together
- Cotton Fields (The Cotton Song)
- This Whole World (live 1988)
- Sunflower Promo 1
- Don’t Go Near The Water
- Long Promised Road
- Take A Load Off Your Feet
- Disney Girls (1957)
- Student Demonstration Time
- Feel Flows
- Lookin' At Tomorrow (A Welfare Song)
- A Day In The Life Of A Tree
- Till I Die
- Surf’s Up
- It’s A New Day
- Big Sur
- (Wouldn’t It Be Nice To) Live Again
- 4th Of July
- Lady (Fallin' In Love)
- Behold The Night
- All Of My Love/Ecology
- Sweet And Bitter
- My Solution
- Awake
- Disney Girls (live 1982)
- Surf’s Up (live 1973)
- You Need A Mess Of Help To Stand Alone
- Feel Flows (backing vocals excerpt)
- Disney Girls (backing vocals excerpt)
- Surf’s Up Promo
Gesamtspielzeit: 78:32 (CD 1), 78:59 (CD 2), Erscheinungsjahr: 2021 (1970, 1971)
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