
»Was wollen wir trinken, sieben Tage lang, was wollen wir trinken, so ein Durst.« so gröhlt es sich zu jeder passenden und vor allem unpassenden Gelegenheit ganz hervorragend. Dabei würde ich meinen Allerwertesten drauf verwetten, dass mindestens der Hälfte dieser Gröhler der Ton im Hals stecken bleiben würde, wenn sie sich mal ansatzweise damit beschäftigen würden, woher dieses beliebte 'Sauflied' eigentlich kommt. Nein, nicht von den Bots, auch wenn es hier in erster Linie um deren LP "Aufstehn" gehen soll. "Sieben Tage lang" war im Ursprung ein 1929 entstandenes, bretonisches Trinklied ("Son ar Chistr" bzw. "Ev Chistr 'ta Laou!", Lied vom Cidre), das unter anderem von den Bots interpretiert wurde, lang bevor es Einzug in Festzelte und Fußballstadien hielt. Erste Bekanntheit erlangte es durch Alan Stivell, eine der vermutlich bekanntesten Versionen dürfte die der Bots sein. Und ja, es gibt unzählige weitere Covers dieser Nummer, aber das würde ich jetzt gerne abhaken und zum eigentlich interessanten Part kommen, nämlich der Band und dem Rest der Platte.
Die Bots sind eine niederländische Formation, die sich 1974 rund um den Sänger und Gitarristen Hans Sanders (R.I.P.) formierte und ursprünglich nur in niederländischer Sprache aktiv war. 1977 spielten sie in der DDR, 1979 waren sie auf dem Rock gegen Rechts-Festival in Frankfurt am Main aufgetreten und dort so erfolgreich, dass sie das Angebot, ihre Texte einzudeutschen gerne annahmen. Mit Hilfe von Wolf Biermann, Günter Walraff, Henning Venske und Peter Tobiasch wurden die Texte ins Deutsche übertragen. "Aufstehn", das Ergebnis dieser Kooperation, erschien 1980 beim alternativen Label Musikant und wurde darüber in den Vertrieb von EMI-Electrola aufgenommen, was den Bots später Schelte aus der linken Szene und Häme im Tagesspiegel und der Zeit einbrachte, da EMI-Electrola mit dem Rüstungskonzern Thorn verbandelt war. Schwamm drüber, Platte hören.
Klischeekiste auf, Ironie on, Auftritt hat "Der Mann": Dass die Bots nicht das Bilderbuchexemplar verkörperten, das sie hier besangen, versteht sich wohl von selbst. »Ich bin ein Mann, ich muss mich schlagen […] Ich bin ein Mann – bin hart wie Kruppstahl«, das althergebrachte Rollenbild wird hier überspitzt. Wer so tief in Verantwortung und damit verbundenem Stress steckt, der muss dann irgendwann zum "Doktor". Die gleichnamige Ballade für hypochondrische Anwandlungen steckt nicht nur voller Spitzen gegen das Gesundheitssystem (»Wenn ich sie störe, Doktor, müssen Sie es sagen.«), sondern beschreibt genaugenommen das, was heute unter der Bezeichnung Burnout mit körperlichen Symptomen bekannt ist.
"Der Plan" besingt das Stadtviertel, das entmietet und plattgemacht werden soll, um einer U-Bahn, breiten Straßen und Hochhäusern zu weichen und ruft zum Widerstand dagegen auf. Waren es damals Projekte wie die Startbahn West, so grüßt heute Stuttgart 21, oder etwa nicht? Mein eigentliches Highlight dieser Platte ist aber die letzte Nummer der ersten Seite: "Nichtsnutz". In fast zehn Minuten wird hier variantenreich der Lebensweg vom ’nichtsnützigen' Kind zum 'Herrn Wichtig' inszeniert, der dann den eigenen Kindern wieder vorhält, was für ein kleiner, unbedeutender "Nichtsnutz" sie doch sind.
Nach "Sieben Tage lang" folgt auf der zweiten Seite mit "Krüppel" ein weiterer Song, der an Aktualität leider nicht viel eingebüßt hat. Arbeitslosigkeit und das damit verbundene Gefühl im Abseits zu stehen, ausgesperrt zu sein und zwischen Sozial- und Arbeitsamt mitsamt ihren Formularen hin- und hergeschubst zu werden, ist auch in Zeiten von Jobcenter und Hartz4 noch zutreffend. Und auch "Ali", Kümmeltürke hat nicht viel an Geltung verloren. Da wird erstmal dem 'Ali' der Buckel verscholten, bevor dann die Erkenntnis kommt, dass man ja gar nicht in so unterschiedlichen Booten sitzt, sondern »So beuten sie uns beide aus und schmeißen uns auch beide raus, weil unser Hals in gleicher Schlinge steckt« Hachja…
Das kurze und relativ einfach gehaltene "Geburt" begrüßt ein neues Menschlein auf dieser Welt in fröhlicher, fast schon mittelalterlicher Weise. Mit Flötentönen wird auch der Titelsong eingeleitet. Die Utopie davon, dass alle Menschen, die in irgendeiner Form eine bessere Welt wollen, hat viel 'Love & Peace'-Flair. 1990 zogen sich die Bots ins Privatleben zurück, 2001 spielten sie erstmals wieder auf dem Folkwood-Festival in Eindhoven. Auch nach dem Tod von Hans Sanders im Jahr 2007 gab und gibt es neue Bots-Alben und Auftritte. Inwiefern man das mag, als authentisch empfindet, muss jeder selbst entscheiden. Für mich steht fest, dass sie mit "Aufstehn" einen Klassiker geschaffen haben.
Line-up Bots:
Hans Sanders (Gesang, Gitarre)
Bonkie Bongaerts (Gesang, Piano, Gitarre)
Piet Engel (Saxofon, Flöte)
Peter de Vries (Bass)
Frans Meyer (Schlagzeug)
Tracklist "Aufstehn":
- Der Mann
- Doktor
- Der Plan
- Nichtsnutz
- Sieben Tage lang
- Krüppel
- Ali
- Geburt
- Aufstehn
Spielzeit: 22:13 (Seite 1), 22:10 (Seite 2), Erscheinungsjahr: 1980
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