Judas Priest haben es festlich angerichtet: Zum 50-jährigen Bandjubiläum erscheint eine 42 CDs umfassende Box, die es ausschließlich über den Fanclub gibt. Mit 13 Discs allein mit unveröffentlichtem Material erlaubt die Neuveröffentlichung einen beachtlichen Einblick in das Bandarchiv. Selbst in Anbetracht der fünf Jahrzehnte im musikalischen Geschäft ist eine solch umfangreiche Präsentation eine Seltenheit. Die Bandgründung geht schon auf das Jahr 1969 zurück. Doch wissen wir, dass durch die Corona-Pandemie Touraktivitäten und damit verbundene festliche Anlässe auf Eis gelegt werden mussten. Judas Priest genießen beim Publikum noch immer volle Aufmerksamkeit. Sie bespielten beispielsweise 2018 das Open Air in Wacken als Headliner und sind dort in gleicher Funktion für die geplante Neuauflage 2022 gebucht.
Aufgrund des feierlichen Anlasses und parallel zur CD-Box legte Sony Music das Album "Reflections – 50 Heavy Metal Years Of Music" nach. Allein betrachtet, so ist die Veröffentlichung hinsichtlich des Jubiläums durchaus angemessen. Dabei sollte beim Hören ruhig das Wort 'Reflections' verinnerlicht werden. 16 Stücke lenken den Blick auf einen Teil einer bemerkenswerten Band. Somit kann es nur eine Auswahl sein. Während die Box-Set nach uns vorliegenden Presseinformationen von der Band kuratiert worden ist, liegt im Fall der einzelnen CD die Vermutung nahe, dass auch hier die Songauswahl von den Musikern selbst getroffen wurde.
Der Opener "Let Us Prey / Call For The Priest", der von Judas Priest und dem Deep Purple-Bassisten Roger Glover produziert wurde, gibt schon ein paar Rätsel auf. Die Komposition gehört nicht zu den einschlägigen Werken und klingt mit einem fast volksliedhaften Anfang nach einfachem Hard Rock und damit eher untypisch für die Protagonisten. Der Titel aus dem Jahr 1977 von der B-Seite des Albums "Sin After Sin" wirkt zum Auftakt wie ein Kontrastprogramm, um uns zu zeigen, wie Judas Priest in den Anfangstagen klangen und was da kommen werde. Es ist gewissermaßen eine vorsichtige erste Bestandsaufnahme.
Das nachfolgende "You Don’t Have To Be Old To Be Wise" schaltet sofort auf 100 Prozent in den Judas Priest-Modus um. Gitarre, Bass, Schlagzeug und der markante Gesang bilden die gewohnte Einheit. Der Song aus dem Album "British Steel" (1980) vermittelt den Eindruck, als hätten die Briten binnen kürzester Zeit ihren Stil umgekrempelt. Tatsächlich klingt das Lied sehr modern und trägt den heutigen Hörgewohnheiten Rechnung. Aus dem über 40 Jahre alten Album stammen auch die hier nicht enthaltenen Klassiker "Breaking The Law" und "Living After Midnight", die heute noch zum Live-Repertoire gehören.
Mit "Fever" vom 1982er "Screaming For Vengeance" wird der Trend bei den Studioaufnahmen fortgesetzt. Zu hören sind zeitlose Stücke aus einer 50-jährigen Bandhistorie. Sie stehen allesamt für ein eindrucksvolles Kapitel Zeitgeschichte im Heavy Metal. Judas Priest – eine Erfolgsgeschichte, wie man sie heute beginnend ganz sicher nicht noch einmal schreiben könnte.
Bei "Eat Me Alive" aus "Defenders Of The Faith" (1984) ziehen Rob Halford und seine Mitstreiter geradezu blank und lassen beim Fan kein Auge trocken. Gemessen an der langen Geschichte der Formation handelt es sich hier ebenfalls um ein Frühwerk, das aber locker in den Gehörgängen sitzt. Aus dem legendären Werk "Painkiller" (1990) servieren uns die agilen Jubilare "All Guns Blazing" und haben dem Hörer bereits nach fünf Studioaufnahmen einen guten Beleg ihres Schaffen abgeliefert.
Dabei zieht es sich wie ein roter Faden durch alle Tracks, aus denen nur das anfängliche "Let Us Prey / Call For The Priest" ausschert. "Never The Heroes" ist eine typische Reminiszenz an "Firepower", das bisher letzte Studioalbum aus dem Jahr 2018. Kernstück der vorliegenden Platte zum 50. Geburtstag der Band sind jedoch die zehn Live-Aufnahmen. Dabei lässt uns die vorliegende Presseinformation im Dunkeln, welche einzelnen Lieder bisher unveröffentlicht waren. Auf alle Fälle gehören laut Sony Music "Victim Of Changes" von 1978 aus Cleveland, "The Green Manalishi (With The Two Pronged Crown)" von der "Worldwide Blitz"-Tour, Live in London (1981) und "Sinner" aus "New Heaven" von 1988 zu den jetzt erst geborgenen Schätzen. Einzig bei der Soundqualität muss man bei den Live-Auftritten einige Zugeständnisse machen. Die überzeugend und mit Hingabe gespielten Stücke machen einiges wett. Tontechnisch können sie dagegen oft nur eingeschränkt glänzen.
"Out In The Cold" vom 1986er "Turbo" hält die Qualität dagegen hoch und zeigt, dass es bei den älteren Live-Mitschnitten offenbar einige Defizite gibt. Riesengroß war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Aufschrei, als die Gruppe zum ersten Mal Gitarrensynthesizer einsetzte, um damit klanglich zu experimentieren. Wer hätte damals geglaubt, dass der Titelsong "Turbo" später einmal zu den besonders gefeierten Darbietungen bei einem Konzert von Judas Priest gehört?
Die rustikale Qualität müssen wir auch bei "Running Wild" vom 1978er "Killing Machine" in Kauf nehmen. Der für die Band enorm typische Sound entschädigt hier jedoch bei diesem kurzen Drei-Minuten-Stück. Dem schließt sich "Victim Of Changes" an. Die über sieben Minuten lange, markante Nummer ist für mich aufgrund ihrer komplexen Struktur so etwas wie das Stairway To Heaven von Judas Priest. Es darf auf keinem Konzert fehlen, wohlwissend, dass der Klang anno 2021 oder besser 2022 ein anderer ist als bei einem Konzert 1978 oder im Studio 1976, als "Victim Of Changes" auf "Sad Wings Of Destiny" Premiere feierte.
Nicht minder legendär ist "The Green Manalishi (With The Two Pronged Crown)" aus "Killing Machine" (1978). Es gehört zu den neun Songs aus dem Live-Album "Unleashed In The East", das 1979 erschienen ist. Darauf sind aus dem hier vorliegenden Jubiläumswerk "Reflections – 50 Heavy Metal Years Of Music" ferner "Running Wild", "Victim Of Changes" "The Ripper" (Album "Sad Wings Of Destiny", 1976), und "Sinner" ("Sin After Sin", 1977).
"The Hellion / Electric Eye", veröffentlicht 1982 auf dem Longplayer "Screaming For Vengeance", bleibt klanglich hinter den Erwartungen zurück, ist aber durchaus ein würdiger Vertreter auf diesem Album und darf als echter Gassenhauer betrachtet werden. Das gilt auch für das ewig junge "Sinner", das den Reigen schließt. So bleibt ein gutes Gefühl, eine gute Auswahl an Songs der Marke Judas Priest gehört zu haben.
Es handelt sich bei "Reflections – 50 Heavy Metal Years Of Music" um ein spezielles Best-Of-Album, das nicht die großen Klassiker beziehungsweise Evergreens beinhaltet, aber dennoch eine gut getroffene Auswahl an typischen Judas Priest-Nummerm vorweist.
Frei nach dem Motto: Das feine Tafelsilber haben die Akteure nicht ausgepackt, aber von guter Hausmannskost darf man getrost ausgehen.
Line-up Judas Priest:
Rob Halford (vocals)
Glenn Tipton (guitars)
Richie Faulkner (guitars, backing vocals)
Ian Hill (bass, backing vocals)
Scott Travis (drums)
Tracklist "Reflections – 50 Heavy Metal Years Of Music"
- Let Us Prey / Call For The Priest
- You Don’t Have To Be Old To Be Wise
- Fever
- Eat Me Alive
- All Guns Blazing
- Never The Heroes
- Dissident Aggressor (live)
- Out In Ihe Cold (live)
- Running Wild (live)
- Victim Of Changes (live)
- The Green Manalishi (With the Two Pronged Crown) (live)
- Bloodstone (live)
- The Ripper (live)
- Beyond The Realms Of Death (live)
- The Hellion / Electric Eye (live)
- Sinner (live)
Gesamtspielzeit: 79:32, Erscheinungsjahr: 2021
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