Zeit für Sentimentalitäten: Gregg Allman scheint tatsächlich Ernst machen zu wollen, und die ABB nach dem Ausstieg von Warren Haynes und Derek Trucks zum Jahresende aufzulösen. Eine meiner beiden Lieblingsbands... an diesen Gedanken kann ich mich nur schwer gewöhnen. Andererseits: Livehaftig wären sie garantiert nie wieder über den Atlantik gekommen und auf neue Tonkonserven hätte unsereins wohl ebenfalls vergeblich gewartet. Allman scheint die Zukunftschancen der Band mit der Auflösung also realistisch einzuschätzen und so bleiben einzig die Gelegenheiten, sich an historischem Material zu erfreuen.
Zeitsprung... und nun wird's persönlich: Zum ersten und leider einzigen Mal sah ich die Allman Brothers Band 1991 in Paris - anlässlich der Tour zum vielfach unterschätzten, aber nichtsdestotrotz hervorragenden Albums "Shades Of Two Worlds". Es zählt sogar zu meinen herausragenden Favoriten im Jam-Bereich und stellt somit für mich eine echte 'Inselplatte' dar. Unter dem Eindruck der Wende in Europa und des Endes des Kalten Krieges stehend, zeitigte diese Scheibe obendrein einen der für mich besten ABB-Songs ever: "End Of The Line".
Mit Dickey Betts, Warren Haynes und Allen Woody stand seinerzeit die wohl beste ABB-Version seit dem Tod von Duane Allman und Berry Oakley auf den Bühnen der Welt. Die hier vorliegende Show wurde am 6. September 1991 im Great Woods Center in Mansfield/Massachusetts, ursprünglich für das japanische Fernsehen, aufgezeichnet. Diese erstklassigen Aufnahmen kursierten lange Zeit - leicht gekürzt - in Fankreisen via VHS-Kassette. Nun sind sie endlich in voller Länge und hervorragender Bild- und Tonqualität auch einem größeren Publikum - zu einem überaus fanfreundlichen Preis - zugänglich. Und: Die knapp fünfzehn Mücken lohnen sich...
In den eineinhalb Stunden bekommt man alle Trademarks serviert, für die die Allman Brothers seit jeher bekannt sind: mal knurrige, mal flirrende Hammonds, perlende Double Leads, furiose Leads ( Dickey) und Slides ( Warren) sowie eine unglaublich luftige Rhythmik durch die drei Percussionisten. Ja, und natürlich das Urviech schlechthin: den ebenso bärbeißigen wie liebenswürdigen Woody...
Wenn man das berühmte Haar in der Suppe suchen möchte, dann wird man lediglich dahingehend fündig, dass zuwenig Titel vom damals aktuellen "Shades Of Two Worlds" gespielt werden. Namentlich seien hier die Jam-Orgie "Nobody Knows" und das jazzige Instrumental "Kind Of Bird" genannt. Einzig das bereits angesprochene "End Of The Line" und das nachdenklich-intensive "Get On With Your Life" werden von diesem Tonträger gebracht.
Dafür gibt's reichlich Klassiker, wie die unvermeidliche Eröffnung mit dem "Statesboro Blues" sowie die mindestens ebenso unabdingbaren "Jessica", den 'Marterpfahl' und die 'olle Lizzy', um die Ohren - allesamt in herrlich inspirierten, unglaublich spielfreudigen Interpretationen! Einen weiteren Glanz- und Höhepunkt stellt das uralte, live vergleichsweise eher nicht so häufig zu hörende "Revival" dar. Anders als bspw. bei Skynyrd kann man sich an diesen Meisterwerken garantiert nicht satthören... Sehr cool kommt auch der obligatorische Akustikblock mit "Midnight Rider" und dem Traditional "Going Down The Road" daher, bei dem auch 'unverstöpselt' die sprichwörtlichen Funken zu fliegen scheinen.
Vor allem Dickey Betts hinterlässt einen glänzenden Eindruck - was ist dieser Mann für ein Gitarrengott, wenn er gerade nicht einmal an der Flasche hängt oder sonstige Aussetzer hat! Warren Haynes entpuppt sich als dessen kongenialer Partner, weil er als Teamplayer die Eigenheiten des 'Egoshooters' abdeckt. Trotz gelegentlich freiwillig gezogener 'Handbremse' übertrifft er den Meister streckenweise - gerade im direkten Vergleich in den Jams zu "In Memory Of Elizabeth Reed". Sein persönliches Spotlight erhält Haynes mit einer ungewöhnlich rockigen Version des "Hoochie Coochie Man". Auch Gregg Allman wirkt ziemlich 'aufgeräumt', gut bei Stimme und vor allem frei von Stimulantien. 'Kommunikativ' geht natürlich völlig anders, aber 'maulfaul' waren unsere Helden schon immer...
Unterm Strich bleibt eine eindrucksvolle Demonstration der Ausnahmestellung einer virtuosen Band, im Zenit ihres kreativen Wirkens stehend... überaus sehenswert!
Bonusmaterial ist nicht, aber ich sage ja immer: Lieber keine Boni statt langweilige oder gar schlechte! Die Interviewpassagen zwischen den einzelnen Songs wurden glücklicherweise entfernt! Das Faltblättchen gibt ebenfalls nur das Allernötigste preis, dafür ist - wie schon gesagt - der Preis recht attraktiv (und das Amaray-Case hübsch).
Für ABB-Freaks ist "Live At Great Woods" natürlich ein Pflichtkauf, aber für Leute, die diese einzigartige Jamband kennenlernen möchten, ist dieses kompakte Set (vor allem wegen der hervorragend interpretierten Klassiker) sicherlich ebenfalls hochinteressant.
Line-up:
Gregg Allman (vocals, Hammond, keyboard, acoustic guitar)
Dickey Betts (vocals, electric and acoustic guitars)
Warren Haynes (vocals, electric and acousic guitars)
Allen Woody (electric and acoustic basses)
Butch Trucks (drums, tympani)
Jaimoe (drums)
Marc Quiñones (congas, percussion)
Tracklist |
01:Statesboro Blues
02:End Of The Line
03:Blue Sky
04:Midnight Rider
05:Going Down The Road
06:Hoochie Coochie Man
07:Get On With Your Life
08:In Memory Of Elizabeth Reed
09:Revival
10:Jessica
11:Whipping Post
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Externe Links:
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