Mein Pfingstkonzert-Wochenende geht heute in die zweite Runde. Zwischen den großen Open Air-Arenen Berlins verschlägt es mich nun in die größte Halle, der O2 World, zu Aerosmith. Das letzte Mal vor sieben Jahren in Köln gesehen, hat mir das Konzert dermaßen gut gefallen, dass ich die Band unbedingt noch einmal erleben muss. Da die Ticketpreise allerdings recht weit oben angesiedelt sind, zögere ich noch ein wenig, greife dann aber doch in der höchsten Kategorie zu und bekomme einen Sitzplatz auf dem Präsentierteller. Leider ist die Halle nicht komplett mit Zuschauern besetzt, da sich wahrscheinlich viele von den hohen Preisen abhalten lassen.
Endlich Abkühlung als ich die Arena betrete. Die Klimaanlage funktioniert schon mal, welch ein Segen für die Menschheit. Ich sitze auf Augenhöhe seitlich des Laufsteges, der weit in die Halle hineinragt. Hinten eine große Absperrung für das Mischpult sowie zwei TV-Kameras. Daraus ergibt sich, dass sich die Menschen im Innenraum quetschen müssen, um ihren Stars nahe sein zu können. Noch weiter hinten steht ein Podest für die Fotografen, zu denen ich heute nicht gehöre. Somit kann ich die ganze Aktion stressfrei genießen.
Erster Augen- und Ohrenschmaus ist die Vorband Walking Papers, deren Bassist kein Geringerer als der Ex-Saitenzupfer von Guns N' Roses, Duff McKagan. Der Mann macht auch hier eine außerordentlich gute Figur, wird aber bei Weitem noch von Sänger Jeff Angell getoppt. Nachdem sich die Band an einigen kräftigen Nummern ausgetobt hat, genießt Angell das Bad in der Menge. Während einer berauschenden Ballade taucht er von der Bühne ins Publikum ein, lässt sich feiern und singt dabei munter weiter. Eine, wie ich finde, besonders gelungene Einlage, die bei diesem Andrang eine gehörige Portion Mut erfordert.
Ich bin mir nicht sicher, ob man die Walking Papers immer noch als Geheimtipp einstufen muss. Wenn ja, dann sind sie es auf jeden Fall. Ihre Musik ist kräftig, druckvoll und der etwas härteren Art. Keyboarder Ben Anderson ergänzt hervorragend die Gitarrenarbeit des Sängers und setzt sehr schöne Nuancen. Die Songs sind ausgewogen und nicht eintönig. Mir haben sie durchweg gefallen und beschließe spontan, die angebotene CD für einen Zehner auf dem Heimweg am Merchandise-Stand zu kaufen. Ihre vierzig Minuten Spielzeit haben mich völlig überzeugt.
Aerosmith gönnen sich eine sehr lange Umbaupause, die in einem Pfeifkonzert endet. Zu früh gepfiffen, denke ich mir, denn was jetzt als Opener folgt, kennt man normalerweise nur von Boxveranstaltungen. So etwas habe ich bei einem Konzert auch noch nie gesehen. Der Saal ist bereits dunkel, als im Hintergrund eine riesige Leinwand aktiviert wird. Darauf gibt es, neben Kamerabildern aus dem Zuschauerraum, Aufnahmen einer tragbaren Live-Cam, die von Garderobe zu Garderobe wandert und somit Einblicke in die Heiligtümer der O2 World offenbart. Was dieser Steven Tyler an Klamotten in seinem riesigen Raum hat, hat so manche Frau nicht in der ganzen Wohnung. So oft kann niemand während einer Show seine Kleidung wechseln und auch er wird sich bestimmt öfter die Frage stellen, was er wohl anziehen soll, denn er habe ja 'keine' Auswahl. Mit dem Inhalt seiner Vielzahl von Schrankkoffern könnten ganze Geschäfte gefüllt werden. Zudem noch massenweise Dekoration, natürlich im Aerosmith-Style, an den Wänden - keine Türen, sondern nur bunte Vorhänge in den Räumen, jeder nach den Wünschen seines Bewohners eingerichtet. Superstar müsste man sein. Interessant ist diese Einlage allemal und als dann auch noch die Musiker durch die Katakomben bis zur Bühne begleitet werden, setzt das dem noch die Krone auf.
Besagte Kameras begleiten auch weiterhin die Show. Natürlich liefern sie perfekte Bilder in HD-Qualität und das aus nächster Nähe. Aber muss ich unbedingt die Nasenhaare von Joe Perry sehen? Ich finde, dass die Kameras sehr oft nerven und bekomme das Gefühl, die Show wird nur für die Kameraleute gemacht. Hauptsache, ich bin im Bild, wird es wohl öfter durch die Köpfe der Musiker gehen - allen voran Steven Tyler, der sich im völlig veränderten Look präsentiert. Lange dunkle, gewellte Haare zieren sein Haupt, dazu ein schmales Oberlippenbärtchen und im Kinnbereich so etwas, das nach Vollbart aussehen soll. Sein Lieblingsspielzeug, der Mikrofonständer, kommt dieses Mal in einer etwas abgespeckten Form daher. Für gewöhnlich mit Unmengen von Seidentüchern und sonstigem Gedöns behangen, begnügt er sich nun mit nur wenigen Dekorationsstücken. Dafür prangt auf der Unterseite der Schriftzug 'Fuck You' in Großbuchstaben, den er mit Wohlwollen ins Publikum zeigt.
Die Show ist, wie nicht anders zu erwarten, Superklasse. Kein Hit wird ausgelassen. Von "Love In An Elevator" über "Jaded", "Rag Doll" bis hin zum Schmachtfetzen "I Don't Want To Miss A Thing" ist alles dabei was sich in vierzig Jahren angehäuft hat. Auch die, im vergangenen Jahr erschienene CD "Music From Another Dimension" wird berücksichtigt. Aus ihr ist zwar noch kein bedeutendes Werk hervorgegangen, dennoch gibt sie Gitarrist Perry die Gelegenheit, seine Gesangsqualitäten zum Besten zu geben. Er performt "Freedom Fighter" und beweist, dass er auch am Mikrofon eine souveräne Leistung abliefern kann.
Der lange Laufsteg, der bis weit in die Halle ragt, tut ein Übriges, um den Stars ganz nahe zu sein. Er ist der Tummelplatz für Tyler und Perry, die ihn nur selten verlassen. Bassist Tom Hammilton und Gitarrist Brad Whitford nutzen ihn kaum und halten sich fast während der gesamten Show mehr im Hintergrund auf. Über allen thront Drummer Joey Kramer auf einem hohen Podest.
Besondere Effekte sind Fehlanzeige. Bis auf die überdimensionale Leinwand, etwas Nebel und einem Konfettiregen, gibt es nichts, das aus technischer Sicht erwähnenswert wäre. Musikalisch huldigt die Band kurz vor Schluss mit "Come Together" die Beatles. Eine sehr gelungene Coverversion des Klassikers, der zwar nicht unbedingt zu meinen Favoriten der 'Fab Four' zählt, hier aber von Aerosmith gut interpretiert wird.
Im Anschluss zwei weitere Meilensteine von Tyler und Co. Mit "Dude (Looks Like A Lady)" und "Walk This Way" wird das Hauptprogramm beendet. Während der kurzen Verschnaufpause bis es in den Zugabenblock geht, wird ein weißes Klavier auf den Steg geschoben. "Dream On" bietet Steven Tyler und Joe Perry noch einmal die Gelegenheit, sich emotional und optisch für die Ewigkeit in das Gedächtnis der Fans einzugraben. Tyler an den Tasten und Perry beim Solo im Spotlight auf dem Klavier - perfekter kann diese Hymne nicht dargeboten werden.
"Sweet Emotion", die nun jeder Anwesende haben sollte, ist der 'Rausschmeißer' im Konfettihagel. Noch einmal wird alles auf den Steg gebracht, was laufen kann und ein Instrument spielt. Aerosmith lässt sich zu Recht für einen grandiosen Abend feiern und mit "I'm A Man" von Bo Diddley wird die Band per Kamera wieder in ihre Garderobenräume begleitet. Große Klasse, großes Kino.
Line-up Walking Papers:
Jeff Angell (vocals, guitar)
Duff McKagan (bass)
Barrett Martin (drums)
Ben Anderson (keyboards)
Line-up Aerosmith:
Steven Tyler (vocals)
Joe Perry (guitar)
Brad Whitford (guitar)
Tom Hammilton (bass)
Joey Kramer (drums)
Setlist Aerosmith:
01:Train Kept A-Rollin'
02:Eat The Rich
03:Love In An Elevator
04:Cryin'
05:Oh Yeah
06:Jaded
07:Livin' On The Edge
08:Last Child
09:Rag Doll
10:Freedom Fighter
11:Same Old Song And Dance
12:Toys In The Attic
13:Janie's Got A Gun
14:I Don't Want To Miss A Thing
15:No More No More
16:Come Together
17:Big Ten Inch Record
18:Dude (Looks Like A Lady)
19:Walk This Way
Encores:
20:Dream On
21:Sweet Emotion
Externe Links:
|