The Afghan Whigs / Do To The Beast
Do To The Beast Spielzeit: 40:46
Medium: CD
Label: Sub Pop, 2014
Stil: Alternative Rock

Review vom 02.05.2014


René Francke
Als Grunge vor gut 20 Jahren die Welt eroberte, gab es eine junge Band, deren Musik ähnlich wie die vieler Grunge-Kapellen der desillusionierten Generation X eine Stimme verlieh, aber doch anders, neu war. Und aufgrund ihrer erfrischend ungewöhnlichen Mischung aus Alternative Rock und Soul Rock wurden The Afghan Whigs damals als »nächstes großes Ding« gehandelt, das sie, im Gegensatz zu Bands wie Nirvana, am Ende jedoch nie wurden.
1986 in Cincinnati, Ohio, gegründet, brachten The Afghan Whigs, bestehend aus Frontmann und Ausnahmesänger Greg Dulli, Gitarrist Rick McCollum, Bassist John Curley und Schlagzeuger Steve Earle, zwei Jahre später ihr Debütalbum "Big Top Halloween" beim Label Ultrasuede heraus. Die Alben Nummer drei, "Congregation" (1992), und vier, "Gentlemen" (1993), zogen die Aufmerksamkeit einer breiteren Öffentlichkeit auf sich und wurden in höchsten Tönen gelobt. Doch zum großen Durchbruch der Band, geschweige denn zu bedeutenden Chartplatzierungen kam es nie. Und drei Jahre nach Erscheinen ihrer sechsten LP "1965" (1998) trennten sich die Wege der Afghan Whigs: Räumliche Distanz sowie familiäre Verpflichtungen der einzelnen Mitglieder gaben den Ausschlag.
Und nun, 16 Jahre später, kehren die Mannen um Sänger Greg Dulli (seit 1997 auch bei den Twilight Singers und von 2003 bis 2011 zusammen mit Kumpel Mark Lanegan als The Gutter Twins unterwegs) mit einem satt produzierten Donnerschlag namens "Do To The Beast" zurück - und wie!
Auf dem siebten Silberling ist neben Allround-Talent Dulli (Musik, Texte, Produktion) noch John Curley als Gründungsmitglied vertreten. Nach dem Ausscheiden von Gitarrist Rick McCollum sind an seiner Stelle von nun an Dave Rosser und Jon Skibic mit an Bord. Außerdem haben sich viele enge Freunde und Künstler an der neuen Scheibe beteiligt, wie zum Beispiel Alain Johannes (Queens Of The Stone Age, Arctic Monkeys), Clay Tarver (Bullet LaVolta, Chavez), Dave Catching (Queens Of The Stone Age, Eagles Of Death Metal), Patrick Keeler (The Raconteurs, Greenhornes), Ben Daughtrey (Squirrel Bait), der Soul-Musiker Van Hunt sowie Mark McGuire vom Electro-Trio Emeralds und Johnny 'Natural' Najera, der musikalische Leiter von Usher.
Das Ergebnis ist eine phänomenale Rockplatte, die nahtlos an die bisherigen wunderbaren Werke dieser Truppe anknüpft, aber auch neue musikalische Schritte in unsere Zeit wagt, ohne sich dabei selbst zu belügen. "Do To The Beast" ist für mich bereits jetzt eine DER Platten des Jahres 2014.
Gleich der wuchtbrummige wie lärmend polternde Eröffnungstrack "Parked Outside" reißt den Zuhörer hinab in den tiefen düsteren Schlund der komplexen menschlichen (Rock-)Seele. Die Folgenummer "Matamoros" beginnt mit discolastigem Gitarrenriff, zu dem sich ein bei den Afghan Whigs nie gehörter Bass-Wumms hinzugesellt. Der Refrain durchleuchtet selbst die entlegensten Winkel der Gehörgänge. Überhaupt: Dieser Track vereinnahmt den Hörer gänzlich. Zwischendurch frohlocken noch orientalisch-kratzige Violinenklänge und ehe man sich versieht, wird man in den opulenten Seelenstriptease "It Kills" hineingespült.
Die ersten Takte des halbakustischen Wüstensongs "Algiers" (mit Kastagnetten, chica!) erinnern an den Ronettes-Hit "Be My Baby". Was sich hieraus anschließend entfaltet, ist eine weitere traumhaft melancholische Popnummer mit einem Hauch von Country Folk. "Lost In The Woods" ist das Zentralgestirn dieser Platte, weil es das Spannungsfeld des Lebens fulminant in Töne setzt: Während die Strophen, in denen sich Dulli an sein eigenes Sterbebett projiziert, in einer trauermarschartigen Pianotonfolge verpackt sind, die entfernt an den Track "Pimpf" von Depeche Mode erinnert, schnellt ein an seinen Obertönen berauschter Pop-Refrain gen Himmelszelt - eindrucksvoller kann man Klänge kaum kontrastieren.
Das Stück "The Lottery" klingt bedrängend und anziehend zugleich. Der Anfang von "Can Rova" könnte auch von den Mumford & Sons stammen, während der digitale Dance-Beat am Ende des Songs überrascht. Aus dem königlich rockigen "Royal Cream" bricht noch einmal die brachiale Rohheit des Grunge hervor, eingekleidet in einem zeitgemäßen Klanggewand. Und durch den direkten Übergang wirkt das nachfolgende "I Am Fire" wie die versinnbildlichte Coda des Grunge - der musikgeschichtliche Zusammenhang lässt sich nicht nur im Titel erahnen. Den Abschluss bildet das grandiose wie infernale "These Sticks", das mit seiner endzeitlichen Stimmung alle Hoffnungen in Staub verwandelt und dennoch den Hörer mit einem seligen Gefühl zurücklässt.
Dulli schafft es in seinen Texten ein ums andere Mal sowohl die finsteren Fantasien seiner, als auch die Seele aller Menschen freizulegen, indem er sich mit seiner geschickt getarnten souligen Stimme Zutritt ins Herz des Zuhörers verschafft, um dann dort die besagten Leichen im Keller eines jeden in aller Ruhe zu sezieren. So heißt es beispielweise in "Matamoros", in dem er rachedürstend seiner zerstörten Liebe hinterhersingt: »Every conversation, every little crime you hide I will find if you ever change your mind«.
Ein rundum sagenhaftes Album, das die Ambivalenz des Lebens in Tönen malt: "Do To The Beast" steckt voller hypnotischer Sinnlichkeit und Härte, bedrückender Melodien und versöhnlicher Harmonien. Dazu die entblößenden Texte, die hin und wieder mit sarkastisch schwarzem Humor gespickt und von Melancholie durchzogen sind. The Afghan Whigs verschmelzen Alternative Rock und Soul Rock zu einem bezaubernden, klanglichen Yin und Yang.
Line-up:
Greg Dulli (vocals, rhythm guitar)
John Curley (bass)
Cully Symington (guitars)
Rick Nelson
Dave Rosser
Jon Skibic
Mark McGuire

Additional musicians:
Van Hunt
Steve Myers
Johnny 'Natural' Najera
Joseph Arthur
Patrick Keeler
David Catching
Clay Tarver
Ben Daughtrey
Alain Johannes
Petra Haden
Ben Jaffe
Jon Ramm
John Culbreth
Nick Ellman
Charles Kahn


Tracklist
01:Parked Outside
02:Matamoros
03:It Kills
04:Algiers
05:Lost In The Woods
06:The Lottery
07:Can Rova
08:Royal Cream
09:I Am Fire
10:These Sticks
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