Shoegaze - 'Schuhguggermugge' - der Begriff soll daher kommen, dass die Musiker auf der Bühne damit beschäftigt sind, auf die Effektgeräte zu ihren Füßen zu schauen, weil sie die so oft benutzen. Man unterscheidet bei der in den 80ern in Großbritannien entstandenen Stilrichtung zwischen dem ruhigen Dream Pop/Ethereal und dem Noise Pop. Shoegaze gilt als Vorreiter für Brit Pop und Post Rock. Zudem gab es in den letzten Jahren Black Metal-Bands, die sich in diese Richtung entwickelten. Das hat dann für mich etwas von Dantes "Göttlicher Komödie": Der Weg führt durch die Hölle und das Fegefeuer in den Himmel.
Stéphane 'Neige' Paut, der Mastermind von Alcest, nennt das Ziel seiner Suche 'Fairy Land', eine Fantasiewelt aus seiner Kindheit, in der es weder Schmerz noch Leid gibt, dafür himmlisches Licht und Musik.
Trotzdem wandte er sich erst einmal der Dunkelheit zu: 2001 nahm er ein schwarzmetallisch klingendes Demo auf. Doch schon auf der ersten EP "Le Secret" hatte sich sein Projekt gewandelt. Die 2007 erschienene Debütscheibe "Souvenirs d'un autre monde" kombinierte schon Postrock/Shoegaze mit Black Metal (deswegen auch als Blackgaze bezeichnet). Die Entwicklung weg vom Schwarzmetall ging weiter auf "Écailles de Lune" (2010) und "Les Voyages de l'Âme" (2012).
2014 scheint der Multiinstrumentalist (musikalisch) dort angekommen zu sein, wo er hinwollte. Mit "Shelter" scheint er seine Zuflucht erreicht zu haben, einen Platz der Geborgenheit und Entspannung. Er fand heraus, dass dieser Ort nicht nur in seiner Vorstellung existiert, sondern auch real: Für ihn ist es das Meer. Dort in der Sonne sitzen bzw. die wärmenden Strahlen durch die Hände fallen lassen… so wie auf dem Cover von "Shelter"…
Passend dazu erwarten uns lichtdurchflutet wirkende, sanfte Sounds. Wie der klanggewordene Begriff 'Etherial', also ätherisch, himmlisch - gleichzeitig in physikalischer und metaphysischer Sichtweise.
Das ist natürlich recht wenig rockig oder gar metallisch, sondern eher wie ein Soundtrack des Unwirklichen. Dennoch sind neben Keyboardteppichen auch Gitarre, Bass und Schlagzeug (mittlerweile ist ein fester Drummer im Line-up) vorhanden, auch wenn teilweise recht dezent, eher im Hintergrund.
Als Gastmusiker holte Neige (im Song "Away") Neil Halstead von Slowdive und Billie Lindahl von der schwedischen Gruppe Promise And The Monster sorgt für eine bezaubernde Frauenstimme. Außerdem mit dabei: die Streicher von Amiina, die schon mit Sigur Rós zusammengearbeitet haben. Da wundert es wenig, dass "Shelter" mit deren Produzenten in Island aufgenommen wurde, was die sowieso schon vorhandene Atmosphäre verstärkte.
Irgendwie passend - ein Land, in dem es 'Elfenbeauftragte' gibt - da mag man sich beim Hören der Musik vorstellen, dass Elfen auf einer grünen Lichtung tanzen. Oder am Strand, um wieder auf Neiges Vorstellung zurückzukommen.
Egal welche Bilder man bevorzugt, zu "Shelter" kann man herrlich in den eigenen Träumen versinken. Die Töne erschaffen eine Art überirdische Traumwelt, zum Entspannen, zum Abtauchen oder einfach nur zum Genießen. Man kann sie als angenehme Hintergrundberieselung hören oder aufmerksam den Feinheiten folgen, den Schwingungen und wie sie sich verändern.
Höhepunkt ist für mich das (absichtlich an den Schluss gestellte?) zehnminütige "Délivrance" (= Befreiung), das mich aufgrund seiner Intensität fasziniert. Auch nach mehrmaligem Hören bekomme ich immer noch eine Gänsehaut. Beeindruckend. Wobei der Rest dem nur wenig nachsteht und ebenfalls einige großartige Momente bietet.
Welche davon man am ansprechendsten findet und welche Eindrücke man damit verbindet, mag subjektiv sein, ebenso ob man Neige auf seiner spirituellen Reise folgen kann oder will (manche alten Fans werden vielleicht enttäuscht sein). Alcest ist sicher nicht die einzige Band, die eine starke Wandlung durchgemacht hat, so etwas kann man als gelungen empfinden oder nicht. "Shelter" überzeugt (mich) durch seine emotionale Ausdruckskraft.
Den schönen Inhalt gibt es in verschiedenen ansprechenden Varianten zu kaufen: von der Digi-CD über Vinyl bis zur aufwändigen Box.
Line-up:
Stéphane 'Neige' Paut (Gesang, Gitarre, Bass, Keyboards)
Jean 'Winterhalter' Deflandre (Schlagzeug)
Gastmusiker:
Neil Halstead (Gesang auf #7)
Billie Lindahl (Frauengesang)
Amiina (Streicher)
Tracklist |
01:Wings (1:32)
02:Opale (4:56)
03:La Nuit Marche Avec Moi (4:58)
04:Voix Sereines (6:44)
05:L'Eveil Des Muses (6:49)
06:Shelter (5:29)
07:Away (5:02)
08:Délivrance (10:06) |
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