Alltagsdasein / Trashgourmet
Trashgourmet Spielzeit: 31:03
Medium: CD
Label: Setalight, 2011
Stil: Deutsch-Punk

Review vom 21.11.2011


Holger Ott
"Trashgourmet" könnte auch auf mich zutreffen. Nicht dass ich unbedingt davon lebe, was andere in die Mülltonne werfen, aber ich höre mir gerne Musik an, die andere als 'Müll' bezeichnen würden. Dabei habe ich schon so manches Filetstück aus der Tonne gezogen. So auch in diesem Fall mit der Debüt-CD "Trashgourmet" der Berliner Band Alltagsdasein. Vier Jungs erheben den Punk in neue Dimensionen und nehmen sich Themen an, die nicht zwangsläufig eine neue Anarchie hervorrufen sollen. Ihre Texte umschreiben Alltagsprobleme wie Liebe, Sehnsucht und den täglichen Stress mit den neuzeitlichen Medien. Wer ist nicht schon oft daran gescheitert, in seinem sozialen PC-Netzwerk Texte oder Fotos hochzuladen, oder mit immer komplizierter werdenden Handys eine simple SMS abzusetzen. Alltagsdasein beleuchten diese Probleme auf ihre Weise, kleiden alles in deutsche Texte, geben ein paar fette Riffs dazu, und fertig ist ein geschmackvolles Album, das sich hinter den Werken von alteingesessenen Punk-Bands nicht verstecken braucht. Was gibt es denn heute noch in diesem Genre an kritischen Äußerungen? Die Toten Hosen oder Die Ärzte sind schon vor über zwanzig Jahren dem Kommerz verfallen und denken auch nur noch an Umsatz mit ihrer Musik. Es wird endlich wieder Zeit, dass es eine Band auf den Punkt bringt, und dafür sind die Berliner Alltagsdasein prädestiniert.
Wie ein Warnsignal erscheint die senfgelbe Farbe der CD in meinen Händen, auf der Herz und Anarcho-A eine interessante Symbiose eingehen. Was erwartet mich denn nun? Heftige Haudrauf-Punk-Musik der 70er Jahre oder Schnulzenmusik mit Gröhl-Gesang von Musikern, die ihren Weg noch nicht gefunden haben? Zu meiner Überraschung weder das eine noch das andere. Schon beim Opener "Hallo, Herr Psychiater" paaren sich schöne, mitreißende Grooves mit klarem Gesang und alles in einem zügigen Tempo. Ein guter Einstieg und mit nahtlosem Übergang werden im Track "Ist das jetzt was Festes?" die ersten Beziehungsprobleme beleuchtet. In mir keimt beim Gesang eine Verbindung zu Nina Hagen auf, die vor dreißig Jahren mit ihrer Band auf die gleiche Weise auf sich aufmerksam machte. Sprechgesang ohne dabei ein Blatt vor den Mund zu nehmen, den Hörer mit der Nase in den Dreck stoßend und somit wachzurütteln, dass wir nicht alle Egoisten sein sollten. Der Einstieg in "Trashgourmet" ist somit schon einmal sehr gelungen und es darf so weiter gehen. "Kitschig" wird allerdings etwas melodiöser und ruhiger. Zeit zum Nachdenken, um das Vorangegangene zu verdauen. Wie im Punk so üblich, wird auch auf dieser CD das Klischee bedient, dass die Songs kurz aber intensiv sein sollten. Alltagsdasein machen da keine Ausnahme, sind ihre Werke alle im Bereich zwischen zwei bis drei Minuten. Aber ausreichend genug, um auf den Punkt zu kommen und ihren musikalischen Abwechslungsreichtum zu zeigen. Machen wir mal einen Sprung zu Track Nummer fünf. "Berlin - Ich 3:0" hört sich so an als wenn die Band die ewigen Loser in der Berliner Gesellschaft sind. Permanent fährt einem der Bus vor der Nase weg, eine Minute nach Ladenschluss vor verschlossenen Türen zu stehen, oder immer der Letzte in der Schlange auf einem der unzähligen Ämter der Stadt, bevor der Beamtenbüttel das Schild 'Geschlossen' auf den Tresen stellt. "Berlin - Ich 3:0" erscheint am 18.11.2011, zeitgleich zum Veröffentlichungstermin der CD "Trashgourmet" als Video-Auskoppelung in den allseits bekannten Medien. Für meine Begriffe nicht unbedingt der beste Titel der CD, aber lassen wir uns mal überraschen, wie die Fans reagieren.
Beim Betrachten der Trackliste springt sofort Song Nummer sechs ins Auge. Steht doch dort tatsächlich ein Wort, das an die weniger glorreiche Zeit Deutschlands erinnert. Also hören wir mal gespannt hinein. Ein klarer Anti-Song, gegen Kirche, gegen Politik und gegen die Beeinflussung der Menschen durch Machthaber. Schlimme Befürchtungen sind unbegründet. Musikalisch einer der schnelleren Titel, aber da zum Glück ein Booklet dabei ist, in dem mitgelesen werden kann, sollte auch jeder Unwissende den Text dazu begreifen.
Entgegen dem Klischee, dass Punk immer schnell und brutal rüberkommen muss, servieren uns Alltagsdasein im gleichnamigen Song ein für eine Punk-Band ungewöhnliches Instrumentalstück. Warum auch nicht, denn somit kann sich jeder auf die Qualität der Musiker konzentrieren, die ihr Handwerk wirklich gut verstehen.
Im weiteren Teil der CD ist die Songauswahl durchweg gut. Highlights gibt es weniger, aber dennoch komme ich noch auf Track zehn zu sprechen, mit dem verheißungsvollen Titel "Freunde". Werden genau in diesem Song die Probleme der sozialen Netzwerke angesprochen und auf die zunehmende Vereinsamung der Bevölkerung hingewiesen, die inzwischen internetsüchtig, kaum noch von der Kiste wegzubekommen ist. In einigen Jahrzehnten werden die Häuser nur noch aus Ein-Zimmer Waben bestehen, ein Wohnklo mit Webverbindung, ohne jede Beziehung zu anderen Menschen, treffend von Alltagsdasein dargestellt.
Mein Fazit zu dieser Band ist, dass wir hoffentlich in vielen Jahren noch von ihnen hören werden. Viel zu sagen werden sie uns noch haben und musikalisch blasen sie uns einen frischen Wind um die Ohren. Weiter so meine Herren.
Tracklist
01:Hallo, Herr Psychiater (2:33)
02:Ist das jetzt was Festes? (2:37)
03:Kitschig (2:15)
04:Atemlosigkeit Is Calling (2:26)
05:Berlin - Ich 3:0 (2:14)
06:Führer, Kirche, Staat (2:32)
07:Lass mal los (2:45)
08:Klischee (3:45)
09:Tägliche Tage (2:35)
10:Freunde (2:35)
11:Hey Du (2:23)
12:Du bist Deutschland (2:23)
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