In der ehemaligen DDR war der Kinostreifen "flüstern & SCHREIEN - Ein Rockreport" Kult, bot der Dokumentarfilm doch seltene Einblicke in die Underground-Musikszene mit vier ungewöhnlichen Bands. Der Film stellte ein Novum dar, da er die widersprüchlichen Lebenswelten der Vorwendezeit realistisch schilderte.
Mit dabei war auch die 1983 gegründete Formation Feeling B, deren Keyboarder mir ungewöhnlich schräg, aber auch sehr authentisch vorkam. Noch heute erinnere ich mich daran.
Seinen Spitznamen, 'Flake', erhielt Christian Lorenz aus der Trickfilmserie "Wickie und die starken Männer". Damit war schon einiges über den Punkmusiker gesagt, der später 1994 bei der Band Rammstein aufschlagen sollte - dem bis heute erfolgreichsten Rockexport Deutschlands.
Doch für Rammstein blieb in der 392 Seiten umfassenden Autobiographie des Künstlers selbst kaum Platz, heißt es doch auf der letzten Druckseite: »Jetzt fällt mir doch auf, dass ich eigentlich gar nichts über Rammstein erzählt habe. Da will ich lieber vorher die Bandkollegen fragen, ob die nicht etwas dazu sagen wollen, denn da ist ja auch so viel passiert, dass es alleine schon ein Buch füllen würde.«
Wer den, bei Konzerten im Bühnenkostüm tanzenden Keyboarder vor sich sieht und dazu noch den Streifen "flüstern & SCHREIEN", der nimmt 'Flake' diese Sätze widerspruchlos ab. Und freut sich auf den möglichen Nachschlag in gedruckter Form!
Apropos Keyboarder: Der ostdeutsche Szenebegriff für Tastenmusiker brachte ihm den Beinamen 'Tastenficker' ein. Ein Wort, mit dem sich Lorenz offenbar gut identifizieren konnte.
Die Musik ging ihm offenbar über alles. Mit 13 hatte er die ersten Auftritte mit einer christlichen Band, wenngleich der Knabe selbst kein Christ war. Drei Jahre später gehörte er zu den Gründungsmitgliedern von Feeling B, wo auch sein späterer Rammstein-Kollege, der Gitarrist Paul Landers, mitspielte. Nur kurze Zeit trommelte Christoph 'Doom' Schneider, ebenfalls Rammstein, bei der Berliner Punkband. Rammstein nennt 'Flake' in seiner unterhaltsamen Autobiographie immer nur »die Band« und schildert zumindest auszugsweise einige Anekdoten aus dem Musikeralltag dieser Epoche.
Vieles dreht sich um seine wohlbehütete Kindheit, um Urlaubsaufenthalte in Thüringen mit dem FDGB (Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund war der Dachverband der etwa 15 Einzelgewerkschaften in der DDR). Lorenz schildert die Verhältnisse in der DDR in der gebotenen Kritik, aber ohne Übertreibungen, was ihn beim Lesen sympathisch macht, wie er überhaupt als bodenständiger Zeitgenosse auf Augenhöhe daherkommt.
Er gibt sich als Autofan zu erkennen, betrieb später sogar eine eigene Firma mit Oldtimerverleih, die aber keinen Erfolg einbrachte.
Und der 48-jährige Familienvater geht kritisch mit dem Ende der DDR um, hätte sich lieber ein erneuertes Land und kein »zusammengeschweißtes Land« mit Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl gewünscht.
Musikalisch bevorzugte der Blues-Fan so alles, was man sich denken kann. Eine besondere Vorliebe galt den Rolling Stones, bis zu dem Zeitpunkt, als seine Mutter sich ebenfalls als Fan der Band zu erkennen gab ( »Als ich die Rolling Stones für mich entdeckte, kam meine Mutter ins Zimmer getanzt und war ganz begeistert von ihrer Musik. Sie erklärte mir freudig, dass mein Mick Jagger genau so alt sei wie sie. Das wollte ich gar nicht hören. Denn nun würde ich immer an meine Eltern denken müssen, wenn ich die Stones hörte. Tatsächlich gefielen mir die Stones danach nur noch halb so gut.«)
Den australischen Künstler Nick Cave findet 'Flake' heute deshalb besonders gut, weil er aus seiner Abneigung gegen die Musik von Rammstein kein Geheimnis machte und daher als ein ehrlicher Mensch durchgehe.
Und eine Frage umtrieb 'Flake' als jungen musikbegeisterten Menschen: Warum sei Jesus auferstanden? »Und warum nicht Johann Sebastian Bach oder Jimi Hendrix mit seinem göttlichen Gitarrenspiel?« Wäre er doch mal lieber in die Kirche gegangen!
So kennen und so lieben ihn seine Fans - ehrlich mit einer kleinen Portion Naivität. Und kein Geheimnis macht der bekennende Helge Schneider-Fan aus seinen Ängsten, wonach er sich selbst gern als Hypochonder bezeichnet. So lernen wir den Menschen und den Musiker Christian Lorenz alias 'Flake' von vielen Seiten kennen.
"Der Tastenficker" ist ein humorvoll geschriebenes Buch von einem schrägen Musikertypen, der glaubhaft und ohne Umschweife von allen Höhen und Tiefen berichtet. Verfasst von einem Musiker, der offenbar großen Spaß am Schreiben hat - und dies in einer längeren Kreativpause von Rammstein.
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