Metal als Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung kommt anscheinend immer häufiger vor. Die Tatsache, dass es möglich ist, an einer Universität zu lehren und gleichzeitig aus voller Überzeugung in einer Metal-Band Musik zu machen widerspricht manchen gerade früher arrogant herabschauenden 'Intellektuellen' mit der Meinung » diese Musik hören nur Hauptschulabgänger und Versager, die bestenfalls noch auf dem Bau einen Job finden«. Es geht dabei nicht darum, Metal zu verklären, sondern in seinem Facettenreichtum zu erkennen und darzustellen. Genau dies ist auch das Ansinnen von Roman Bartosch in dem von ihm herausgegebenen "Heavy Metal Studies". Verschiedene Aspekte dieser vielseitigen und 'bunten' Welt zu beleuchten, ohne dabei zu trocken und fachlich zu schreiben. Daher stammt nur ein Artikel von ihm, die anderen acht von weiteren Autoren.
Als erstes beleuchtet Sarah Chaker die Textinhalte von Death Metal Bands. Diese drehen sich bekanntlich meistens um verschiedene (mehr oder weniger freundliche) Arten zu Tode zukommen. Wobei die konkreten Inhalte für die meisten Fans nicht so wichtig sind (im Gegensatz zu den Black Metallern), sondern eher nach dem Motto 'brutale Texte passen zu brutaler Musik'. Der Vergleich zu Horror- und Splatterfilmen fehlt natürlich nicht und wie auch dort handelt es sich um ein Genremerkmal, dient zum Schocken oder zum Unterhalten, ohne dass sich Rückschlüsse auf etwaiges gestörtes Sozialverhalten der Anhänger ergeben. Diese wollen eine gute gemeinsame Zeit auf Konzerten (bzw. im Kino) haben und würden die dargestellten Handlungen in der Realität nicht begehen.
Göran Nieragden ist erfreut darüber, dass wissenschaftliche Abhandlungen, die 'Cultural Studies' sich mittlerweile nicht nur mit der 'urbanen und bürgerlichen Hochkultur', sondern auch mit 'Unterschichtenkultur' (Fußball, Rock, Kneipe, Actionfilme) beschäftigen. Die Unterscheidung hat mich schon in den 80ern geärgert, bedeutet dies doch, dass u.a. dem Metal der künstlerische Wert und Vielfalt, die Kreativität und Tiefe der Ideen abgestritten wird. Gerne wurde/wird dabei eine Kluft zwischen der anspruchsvollen Musik der Klassik und nur wenigen 'populären Künstlern' und dem Rest, der 'billigen Unterhaltung' aufgerissen. Es ist erstrebenswert, wenn diese überbrückt wird und aktuelle Kultur nicht mehr als Kontrast zu Wagner etc. gesehen wird, sondern erkannt wird, dass z.B. Motive aus Weltliteratur längst im Metal verarbeitet wurden.
Danach beschäftigt sich das einzige Dreier-Team im Buch mit der Frage, ob Metal politisch ist. Nicht in dem Sinne einer Zuordnung einer bestimmten Richtung, dazu ist die Szene zu heterogen, jedoch ist Freiheit ein Kernthema des Metal. Gemeint ist damit vor allem die Freiheit der Meinung und der Kunst (im Sinne von Wort-, Bild- und Tonschöpfungen). Auch wenn heute in den westlichen Ländern oftmals Diskussionen über (kommerziellen) Erfolg und Stilrichtungen in den Vordergrund gerückt sind, bleibt dies doch ein wichtiger Inhaltspunkt. Auch hierzulande haben Metal-Fans (vor allem in den 80ern) mit Vorurteilen und Ratschlägen zur Anpassung in die Gesellschaft zu kämpfen (gehabt), ob von Eltern, Lehrern oder Vorgesetzten. Manche Gegner haben sich gar Umerziehungsmaßnahmen gewünscht. Diese verbietet hier zum Glück das Grundgesetz, in anderen Teilen der Welt sieht das leider nicht so aus: Inhaftierungen, Folter, Zwangsrasur, Auftrittsverbot und 'Glaubensschulungen' müssen Metaller (oder Anhänger ähnlicher Subkulturen) fürchten. Letztens erst war ein solcher Fall in Indonesien, bei dem Punks betroffen waren. Dennoch gibt es in vielen solcher Länder viele Bands, die trotz schwieriger Umstände nicht aufgeben. Ein paar davon (z. B. Inner Guilt, Massive Scar Era, Mithaq) wurden für diesen Artikel befragt, wobei schon auffällt, dass die Antworten (wohl mit Grund) recht zurückhaltend sind.
Kam das nur mir so vor? In (Schul-) Geschichtsbüchern wurden manche Hochkulturen nur am Rande erwähnt oder ganz weggelassen. Darunter auch die im Zweistromland, was ja nicht exotisch weit entfernt ist, sondern die Grundlage des Orients bildete und Einfluss auf Europa hatte. Anna-Katharina Höpflinger liefert nicht nur historische Einblicke über die dortige Entwicklung, sondern auch eine Erklärung für die Lücke: Der alte Orient wurde erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum Thema /Betrachtungsobjekt, dies vor allem in okkulten Kreisen. Aber auch der Horrorautor H. P. Lovecraft benutzte Elemente daraus bei der Erschaffung seines Mythos um Cthulhu und die Großen Alten. Dort spielte wiederum das (fiktive) Buch "Necronomicon" eine Rolle. In den 80ern entdeckte ich bei einem Rock/Metal-Mailorder neben H. P. Lovecrafts Werken auch eine Ausgabe jenes Buches, nämlich die des Berliner Schikowski-Verlages. Dieses enthielt neben einer Rahmenhandlung Fragmente mesopotamischer Mythologie, die sich in Ergänzung zum Gilgamesh-Epos lesen lässt. So ging es wohl nicht nur mir, sondern einigen Bands (darunter Celtic Frost, Morbid Angel und Tiamat - bei letzter sogar am Namen erkennbar), die auf diesem Umweg dazu kamen sich für die Kulturen am Euphrat und Tigris zu interessieren. Die Autorin vergleicht dann Lyrics von Bands mit den Vorlagen, wobei sich an der Schreibweise erkennen lässt, ob die Quelle das "Necronomicon" oder wirklich 'uralte' (gelungener Wortwitz) Schriften sind. Eine Besonderheit gegenüber den genannten (westlichen) Bands stellen die ursprünglich aus Israel stammenden Melechesh dar, die mit ihrem Oriental Metal geographisch und musikalisch näher an den babylonischen Zikkurats sind.
Nochmal erlaube ich mir einen persönlichen Rückblick: Mitte der 80er las ich in einem der "Hexer"-Romanheftchen (damals wusste ich noch nicht, dass diese von Wolfgang Hohlbein geschrieben waren) etwas von den Magiern von Manowar. Was? Nee, da stand eigentlich Maronar. Der Verleser setzte sich bei mir fest bis ich 2003 die Weltbild-Sammler-Edition kaufte, die neben allen Geschichten auch Interviews enthielt, in denen der Autor erklärte, er hätte damals oft laut Heavy Metal gehört. Ich hatte eine bestimmte Bandvermutung… und war daher nicht verwundert, als Manowar 2009 ein gemeinsames Projekt mit ihm ankündigten: "Die Asgard-Saga". Mit dieser Kombination aus Buch- und CD-Veröffentlichungen befasst sich Florian Heesch eingehend. Er vergleicht die Inhalte zwischen Roman, Erklärungen im CD-Booklet und den eigentlichen Songlyrics, zeigt Parallelen, aber auch Unterschiede auf. Gemeinsam ist beiden: Die mythologische Gestalt von Thor wird für die eigenen Zwecke etwas umgestaltet, es besteht kein Interesse an historischer Korrektheit oder religiösen Sinnfragen, es steckt keine paganistische Überzeugung dahinter. Bei Manowar passt er zu ihrem Klischeebild des martialischen (sehr männlichen) Kriegers, bei Wolfgang Hohlbein als Person, die mit übernatürlichen Kräften konfrontiert wird und sich klar über die eigene Rolle und Identität werden muss. Wobei manche sicher auf das jeweilige Genre zurückzuführen sind, andere auf den typischen Stil des Verfassers.
Ebenfalls einen Vergleich zwischen Literatur und Musik zieht Sascha Pöhlmann. Bei ihm allerdings geht es um Parallelen zwischen der Romantik und Black Metal, die er sowohl bei europäischen (skandinavischen) als auch bei den weniger bekannten US-amerikanischen sieht. Als Beispiel wählt er Wolves In The Throne Room, die sich von der auf europäische Wurzeln wie Wikinger und Heiden zurückblickende Tradition der (schwarz-) metallischen Szene lösen und mehr in der Gegenwart leben, dabei versuchen, die Welt ganzheitlich zu betrachten. Da sich sie in ihren Texten und auch im realen Leben (Nathan und sein Bruder Aaron Weaver zogen sich auf eine marode Mühle zurück) mit Ökologie beschäftigenl, werden sie auch mal gerne als » the tree-hugging hippies of black metal« bezeichnet. Dabei sind sie letztendlich mehr als nur Blumenkinder, sondern verbinden Altes mit Neuem und transportieren damit die (Natur-) Romantik ins 21. Jahrhundert. Eine Analyse ihrer Lyrics zeigt, dass diese positivere Schlüsse zieht als die Lyriker des 19. Jahrhunderts, beispielsweise Walt Whitman.
Thematisch in die gleiche Ecke geht Imke van Heldens Betrachtung der norwegischen Szene und ihrem Verhältnis zur Natur. Sie wählt als Beispiel drei Bands aus: Satyricon, Immortal und Glitttertind, eine Folk/Punk-Metal Band mit Texten in ihrer Muttersprache. Während Immortals Blashykrh mit seiner Kälte und Finsternis eher lebensfeindlich ist, erzählen Glittertind von einer freundlichen und friedlichen Welt, welche zu durchstreifen ein vergnügliches Abenteuer ist. Satyricon personifizieren "Mother North" als holde blonde Naturgöttin des Nordens.
Das vorletzte Kapitel stammt vom Herausgeber Roman Bartosch selbst, der neben seinen beruflichen Forschungen im Bereich Anglistik an der Universität Köln auch Musiker ist, nämlich bei Path Of Golconda. Er greift die bisher schon angeklungene Frage auf, gegen was Metal rebelliert. Wenn darauf u.a. geantwortet wird: Eltern, Gesellschaft, Spießer und Christentum, ist darin nicht auch die Infrage-Stellung der traditionellen Rollenverteilung von Mann und Frau enthalten? (Als Metal-Fan weiblichen Geschlechts rufe ich hier einfach mal rein: ja!). Auch in diesem Punkt ist die Metal-Szene nichts Einheitliches. Während einerseits auf 'hart' gemacht wird und 'weiches' ('untrues') als 'weibisch' oder 'schwuchtelig' abgetan wird, existiert andererseits androgyne Optik (lange Haare, Schminke). Neben Texten mit Frauen als Sexual-Objekten gibt es Musikerinnen, die ihren 'Mann' stehen. Das oben erwähnte alte Bild von männlicher Unterschicht-Musik bricht immer mehr auf, sowohl durch das Erkennen von anspruchsvollen Inhalten als auch bei den Rollenbildern, die wie der Autor (richtigerweise) erklärt, sowieso zu hinterfragen sind. Schließlich wendet er sich der Band Cradle Of Filth zu und analysiert die Darstellung des Weiblichen auf deren Covern und ihren Texten.
Zum Abschluss des Buches untersucht David Bielmann den bereits angeklungenen Einfluss von Literatur auf Metal-Bands, hier explizit deutsche Dichter betreffend. Am verbreitetsten ist sicherlich Goethes "Faust", kein Wunder, ist und war es doch immer wieder im Rock und Metal beliebt, über den Teufel, der hier in Gestalt von Mephisto kommt, zu schreiben. Dies gilt natürlich insbesondere für Gruppen mit deutschen Texten, egal ob Neue Deutsche Härte oder Mittelalterrock. Wobei auch andere Dichter, z. B. Kafka, Schiller oder auch Patrick Süskinds "Das Parfüm" zitiert werden und der Einfluss deutscher Literatur ebenfalls im Ausland zu spüren ist, wenngleich er geringer ist als der von englischsprachigen Autoren.
Fazit: Obwohl Metal in erster Linie ein Musikstil ist (und immer bleiben wird/soll), lohnt sich doch in vielen Fällen ein Blick in die Hintergründe und Inhalte. So gesehen lässt sich in den "Heavy Metal Studies" viel entdecken: Inspiration, sich mit einem Thema (je nach persönlichem Geschmack) eingehender zu beschäftigen. Zusätzlich Bestätigung, dass immer wieder die gleichen Motive vorkommen, die einem selbst schon aufgefallen waren, die durchaus in der Szene auch diskutiert werden (neben den ganzen Stil- und Begriffsdefinitionen…).
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Einleitung:
Roman Bartosch: Subversiv/Plakativ: (Inter-)Textuelle Dimensionen des Heavy Metal
1.Perspektiven
Sarah Chaker: Götter des Gemetzels: Mediale Inszenierung von Tod und Gewalt im Death Metal
Göran Nieragden: Zwischen Bayreuth und Wacken: Von Roben und Kutten in Cultural Studies
André Repp, Moritz Masurek & Julius Othmer: "We don't like to talk about political issues": Metal-Lyrics als (sub-)kultureller Ausdruck in autoritären Systemen
2. Mythen, Motive und literarische Bezüge:
Anna-Katharina Höpflinger: "Towards Babylon": Mesopotamische Mythen im Metal
Florian Heesch: Thor im Metal und im Fantasy-Roman: Zur Asgard-Saga von Manowar und Wolfgang Hohlbein
Sascha Pöhlmann: Die transzendentalistische Konstante. Von Walt Whitman zu Wolves In The Throne Room
Imke van Helden: The Forest Is My Throne. Zur Darstellung und Funktion von Natur in den Lyrics norwegischer Metal-Bands
Roman Bartosch: Kanon-Subversion und Geschlechts(de)konstruktion in den Lyrics von Cradle Of Filth
David Bielmann: Sympathie für den Teufel: Deutsche Literatur als Vorlage für Heavy Metal-Lyrics |
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Externe Links:
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