Charles R. Cross
Jimi Hendrix - Hinter den Spiegeln
Hinter den Spiegeln
Der amerikanische Rock-Journalist Charles R. Cross hat schon eine ganze Reihe von Büchern über bekannte Stars veröffentlicht, unter anderem die Biografie von Kurt Cobain, die auch im gleichen Verlag in Deutschland erschienen ist. Weiterhin beschäftigte er sich ausführlich mit Santana, Led Zeppelin und Bruce Springsteen, er schreibt auch regelmäßig für mehrere Magazine. Zuhause ist er in der Nähe von Seattle, also der Heimat von Jimi Hendrix.
Die eigentlichen Recherchen für das Buch dauerten vier Jahre, der Autor hat nach eigenen Angaben über 325 Zeitzeugen aus der nächsten jeweiligen Umgebung des Rockstars interviewt, darunter wohl alle relevanten, soweit sie noch lebten (jeweils belegt zu den einzelnen Kapiteln im Anhang). Aus diesem Puzzle, verbunden mit dem Vorteil seiner lokalen Kenntnisse, ist ein beeindruckendes Bild über den Mann entstanden, der das Sinnbild der Rockmusik schlechthin und dessen Einfluss bis heute, 36 Jahre nach seinem Tod, unverkennbar ist. Ein begnadeter Künstler, ein charismatischer Showstar, ein innovativer Gitarrist, ein Magier vor allem auf der Bühne und ein schwer zu begreifender Mensch.
Cross muss selber so ein Besessener sein, wie der, den er porträtiert hat. Ein fast schon minutiöser, detailverliebter Lebenslauf, von der schwierigen Kindheit mit vielen sozialen Problemen, seinem ersten Kontakt mit der Musik und später dann zu den bekannten Musikern, der wenig erfolgreiche Beginn seiner eigenen Laufbahn, bis zu ersten Verpflichtungen im New Yorker Künstlerviertel Greenwich Village, die kaum zum Überleben reichten.
Die ihm aber den Kontakt zu Linda Keith, der damaligen Freundin von Keith Richards brachte. Die schleppte den Manager Chas Chandler in das später berühmte Café Wha? und von da ab nahm die Karriere von Jimi Hendrix einen tatsächlich nur raketenhaft zu nennenden Verlauf. Die Startrampe war London mit der Experience, nach nur wenigen Proben ging die neue Band auf Tour und bald darauf ins Studio.
Jimi Hendrix, Noel Redding und Mitch Mitchell waren ständig zu Gigs unterwegs und traten oft zweimal pro Tag auf.. Meist anschließend dann nachts Aufnahmen, weil da die Studiogebühren etwas günstiger waren.
Die absolute Ochsentour, die nur mit entsprechenden Psychopharmaka und anderen Drogen durchzuhalten war. Überhaupt entsprach das Bandleben jedem wohl nur denkbaren Klischee von Sex & Drugs & Rock 'n' Roll. Vor allem Hendrix war ein Maniac, der nichts ausließ. Bereits damals verlief sein Leben als ein einziges Chaos, geprägt von finanziellen, rechtlichen und Drogenabhängigkeiten. Er und seine Mitmusiker schufteten rund um die Uhr, praktisch ohne jemals eine Pause zu bekommen. Für heutige Stars und selbst für jeden Normalsterblichen absolut unvorstellbar. Verblüffend, aber wohl auch kennzeichnend für Hendrix, dass er trotzdem jede Gelegenheit suchte, irgendwo noch in kleinen Clubs zu jammen, oft auch mit anderen Künstlern, die grad vor Ort waren.
Nach dem Triumph in England und dem restlichen Europa kam die Rückkehr in die Heimat, wo Hendrix allerdings immer noch unbekannt war. Eine erneute strapaziöse Tingeltour nach der anderen, meist mit dem Auto, seltener mit dem Flugzeug, quer durch die Staaten, folgte. Aber auch das schwer einzuschätzende Wiedersehen mit der Familie und alten Freunden. Bald hatte die Band jedoch auch hier Superstarstatus, vor allem nach den Festivals von Monterey und Woodstock, die im Übrigen noch chaotischer abliefen, als allgemein bekannt ist. Doch auch dann wurde Hendrix mit seinen wechselnden Musikpartnern vom Management immer weiter getrieben, nicht zuletzt, weil er noch mehr ausgab, als seine Riesengagen einbrachten.
Die Möglichkeiten für ihn, sich daraus wenigstens vorübergehend auszuklinken und etwas Ruhe zu finden, waren gering. Erst 1970, bei den Dreharbeiten zu "Rainbow Bridge" auf Hawaii, gönnte er sich etwas Urlaub. Doch das reichte nicht, den ausgelaugten und zunehmend frustrierteren Star zu stabilisieren. Das Ende kam bekanntlich dann auf einer erneuten Europatour am 18.9.1970, nach dem letzten Open Air-Auftritt in Fehmarn, als er in London unter nicht mehr genau nachvollziehbaren Umständen starb.
Das ist jedoch nicht das letzte Kapitel, weder in der tatsächlichen Hendrix-Geschichte, noch im Buch. Die Streitigkeiten um sein Erbe beschäftigte die große Verwandtschaft, samt den eigenen Nachkommen und ein Heer von Anwälten, jahrzehntelang.
Auch das belegt der Autor akribisch. Der darf sich auch und das wird der Biografie vorangestellt, den Verdienst zuschreiben, das verschollene Armengrab von Hendrix´ Mutter im Zuge seiner Nachforschungen wiederentdeckt zu haben.
Das Buch ist beeindruckend mit all den Fakten, die Cross zusammengetragen, ausgewertet und zu einem äußerst informativen Lebensbild von Hendrix zusammengefügt hat. Nichts bleibt spekulativ, nichts wird kolportiert, der Autor hat ein Werk über die Gitarrenlegende erarbeitet, das wohl noch genauer kaum sein kann. Das Buch ist auch gut lesbar, wenngleich z.B. vor allem die vielfältigen und komplizierten Verwandtschaftsverhältnisse zu Beginn doch einige Geduld verlangen. Neben der Vita von Hendrix beleuchtet es aber auch die Rockszene jener Jahre in den USA und in England mit ihren Beziehungen und Ausschweifungen, was es schon fast zu einem Standardwerk macht. Einige Nachlässigkeiten des jeweiligen Lektorats fallen nicht ins Gewicht.
Obwohl sich das Buch um den Musiker und das Gitarren-Genie Jimi Hendrix dreht, spielt die Musik jedoch nur eine Nebenrolle. Es gibt zwar immer wieder Hinweise auf bestimmte Songs und deren Bedeutung (z.B. zum Titelstück "Room Full Of Mirrors"), das schöpferische Vermächtnis und dessen Entstehung bleibt wohl anderen Veröffentlichungen überlassen, die zahlreich auf dem Markt sind. So findet sich auch keine Diskografie, was für dieses umfangreiche Werk doch etwas seltsam ist.
Die Cross-Biografie ist nicht nur für den Hendrix-Fan eine hundertprozentige Empfehlung, der Fakten neben der Heldenverehrung (nicht in diesem Buch!) sucht, sondern für Jeden, der bestens recherchierte Einblicke in das wohl entscheidenste Kapitel der Rockmusik gewinnen möchte.


Charles R. Cross / Jimi Hendrix - Hinter den Spiegeln (2006)
325 Seiten, Fototeil, 24,90 Euro
Koch International GmbH/Hannibal, A-6600 Höfen ISBN 3-85445-264-0
Coverfoto: Monitor Picture Library/Retna Picture Library
Originalausgabe: Room Full Of Mirrors - A Biography of Jimi Hendrix (2005)
Norbert Neugebauer, 01.08.2006