Der Laurel Canyon ist Teil der Hollywood Hills in Los Angeles und liegt direkt nördlich des Sunset Boulevard mit seinen Kult-Musiktempeln Rainbow Bar And Grill, The Roxy, The Whiskey A Go-Go und The Continental Hyatt House (das wurde dann, nachdem Led Zeppelin immer dort mit ihren Irrsinns-Partys abstiegen, als The Continental Riot House verspottet...)
Dieses Fleckchen Erde im Laurel Canyon hat Ende der 60er Jahre eine Gemeinschaft von Musikern angezogen, die dort quasi über Nacht von (mehr oder weniger bekannten) Pop- oder Folkinterpreten zu Super-Rockstars mutierten. Und genau um diese Geschichte geht es in Michael Walkers Buch. Er geht allerdings auch darüber hinaus, dazu weiter unten mehr.
Bei den Namen der damals jungen Musiker fällt einem fast die Kinnlade auf die Brust: Joni Mitchell, Graham Nash, David Crosby, Stephen Stills, John und Michelle Phillips ( The Mamas And The Papas), Carole King, John Mayall, Jackson Browne, Roger McGuinn und Chris Hillman von den Byrds, John Densmore und Robby Krieger von den Doors, John Kay von Steppenwolf, Mickey Dolenz von den Monkees, Mark Volman von den Turtles, Frank Zappa und vor allem 'Mama' Cass Elliott. Nach ersten Erfolgen in den 'early Seventies' auch noch Don Henley und Glenn Frey von den Eagles.
Walker erzählt uns, wie Ende der Sixties all diese Leute und die unvermeidliche Schar von 'Hangarounds' eine offene Gesellschaftsordnung schufen, bei der jeder bei jedem jederzeit durch die offene Tür gehen konnte, man sich gemeinsam die reichlich vorhandenen Joints reinzog und das sogar ohne Rivalitätsgedanken. Das moderne Paradies, das amerikanische 'La Dolce Vita'.
Man liest, dass alle arrivierten und oft auch blasierten Engländer (die Beatles, die Stones, Eric Burdon (der als Brite näher dran war, er lebte nach der Trennung von den Animals schon in San Francisco), Led Zeppelin und alle anderen Heroes of Pop/Rock von Her Majesty's Insel bei jeweiliger Anwesenheit in L.A. auch immer im Laurel Canyon zu Besuch waren und die verfügbaren Gräser namens 'Mother Nature' - besser bekannt als Marijuana - immer gerne inhaliert haben. Das Lebensgefühl dort erreichte schnell Kult-Status.
Walkers Buch ist in zwei Teile (prä- und post 1970) mit insgesamt 11 Abschnitten unterteilt. Der Beste davon ist "Nicht verzagen, Mama fragen" - eine ehrliche, ungeschminkte Beschreibung der 1974 verstorbenen 'Mama' Cass Elliott. Eine Frau, die wegen ihrer relativen Fettleibigkeit (und trotz Zugehörigkeit zu The Mamas And The Papas und entsprechendem Reichtum) nie ein von den anderen Musikern auch nur denkbar gewünschter Sexualpartner war, und wohl gerade deswegen in ihrer Übermutter-Mentalität den gesamten Wahnsinn der Bewohner des Canyon kanalisieren konnte. Hier heulte sich jeder aus, oft gleichzeitig sitzen die (kommenden) Stars an ihrem Tisch, teilen Essen und Drogen. Für beides hatten viele nicht das Geld und konnten nur mühsam die Miete aufbringen, ein, zwei Jahre bevor sich der große Erfolg einstellte.
Ebenso fazinierend zu erfahren, was in Frank Zappas Blockhaus so abging, inklusive der Gründung der GTOs (Girls Together Outrageously) - eine Band von Groupies mit der bekanntesten von allen: Pamela Des Barres - von Zappa produziert. Der Hype rund um die Uhr, eine nicht endende Dauerparty forderte ihren Tribut: Nach vier Monaten zog der gestresste, entnervte Frank wieder weg in ruhigere Gefilde... das anfangs von ihm gerne als gesellschaftliches Experiment Gesehene ließ ihn doch recht schnell das Handtuch werfen. Das Interview mit seiner Frau Gail spricht Bände...
Viele bekannte Songs wurden im Laurel Canyon erdacht, etwa Joni Mitchells Album "Ladies Of The Canyon" oder "Our House" ihres Geliebten Graham Nash (erschienen auf der CSN&Y-Platte Déjà Vu). John Mayall widmete 1968 dem Tal mit "Blues From Laurel Canyon" eine ganze LP (mit dem Song "2401" - das war die Hausnummer von Frank Zappas Residenz am Laurel Canyon Boulevard). Es gibt noch viele andere Beispiele aus dieser fruchtbaren Zeit in der selbsterschaffenen Groß-Kommune, die zutiefst friedlich war. Cass Elliott war es, die Crosby, Stills und Nash in ihrem Haus zusammenbrachte, um mal einfach so zu jammen. Der Rest ist Geschichte!
Nachdem im August 1969 im nahen Benedict Canyon die 27-jährige, hochschwangere Schaupielerin Sharon Tate (die Ehefrau des Regisseurs Roman Polanski) in ihrem Haus zusammen mit mehreren Freunden von Sektenmitgliedern des durchgeknallten Möchtegern-Musikers Charles Manson regelrecht abgeschlachtet wurde, zog (sicher berechtigte) Paranoia im Laurel Canyon ein. »Die Morde zwangen Los Angeles' Gegenkultur, der Möglichkeit ins Auge zu sehen, dass nicht jeder mit langen Haaren unter dreißig ein Bruder war.« schreibt Walker. Die Häuser wurden nun verriegelt und gesichert.
Am Horizont wetterleuchtete zudem die Modedroge Kokain, die Paranoia nur noch steigernd. In wenigen Jahren wandelten sich die 'Vibes' von friedfertigem - mit fast kindlicher Begeisterung gelebtem - Miteinander in mehr oder weniger geldgierige Rivalität, befruchtet von einigem Misstrauen und heuchlerischem Zynismus. Adam und Eva hatten in den Apfel gebissen...
Als Quellen zu seinem Buch dienen Walker neben einschlägiger Literatur auch intensive Interviews mit Musikern, Ehepartnern bzw. Geliebten, Groupies, Clubbesitzern, Band-Managern, Gründern von Plattenlabels und auch anderen, unbekannteren Typen, die eben zur rechten Zeit DORT waren. Inwieweit in der Retrospektive Dinge geschönt wurden, lässt sich natürlich nur schwer nachvollziehen. Einige der Anekdoten schwanken zwischen Glaubwürdigkeit und Aufschneiderei. Was davon zutrifft wissen sicher nur die Protagonisten selbst.
Als einzigen Schwachpunkt sehe ich Walkers Drang, vom eigentlichen Thema abzuschweifen und das auch noch in ellenlangen Beschreibungen. So z.B. über das Desaster beim Rolling Stones Free-Concert im Dezember 1969 auf der mehr als 150 km entfernten Altamont Speedway oder auch ein Drittel eines Kapitel über Kokain inkl. pseudowissentschaftlichen Aussagen und historischer Abhandlung. Auch die deutlich zu lang geratene Vorstellung des neben Des Barres anderen Super-Groupies Morgana Welch wirkt etwas ermüdend und gerade um das Fitzelchen zu weit vom Epizentrum entfernt, auf das es ankommt. Der Sunset Strip ist zwar nur einen Kilometer entfernt und doch ist er eben nicht der Laurel Canyon mit seinem eigenen Curriculum vitae.
Die zweite Hälfte des Werkes vergeht sich in teilweiser zielloser Aufzählung kaum relevanter Fakten, hier hätte Michael Walker die Thematik verdichten sollen, wie ihm das im ersten Teil des Buches so hervorragend gelungen ist. Wenn man selbst recherchiert, begreift man schnell, dass das Mysterium Laurel Canyon eigentlich nur von 1966 bis zum abscheulichen Tate-Mord im Herbst 1969 wirklich existierte. Die Seventies boten nicht mehr diesen Zauber, aber Walker möchte Seiten füllen. Manchmal ist weniger durchaus mehr, auch in diesem Fall trifft das zu.
Leider gibt es nur dreizehn, dafür bisher kaum gesehene Bilder, die der legendäre Rock-Fotograf Henry Diltz festhielt, hier hätte man sich ein paar mehr gewünscht. Trotzdem ist das Buch eine Empfehlung wert, zumindest für alle Rock-Aficionados. Egal, wie man den Wahrheitsgehalt einschätzt (und das meiste ist sicherlich wahr), bleiben vor allem die Geschichten und Anekdoten aus den Sixties regelrechte 'Pageturner'. Spannende Rockliteratur allemal, in der man gerne öfter mal wieder liest und sei es nur, um sich in Staunen zu versetzen.
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