Sobald es die beruflichen Verpflichtungen auf der Frankfurter Buchmesse erlauben, führt mich jedes Jahr mein erster Weg zu den Kollegen von Palmyra und anderen Verlagen, die hier dem Publikum ihr musikalisches Programm und speziell die Novitäten präsentieren. Schon länger hatte ich erwartungsfroh dem Werk von Michael Rieth zum Leben und Schaffen Horst Lippmanns entgegengefiebert und der Transfer von Druckwerk gegen Bares war nur eine kleine Formsache. Auch die Gespräche mit Palmyra-Verleger Georg Stein über alte und neue Projekte sind immer eine Freude, aber kommen wir zum eigentlichen Anlass dieser Zeilen:
Lippmann ist sicherlich die Figur in Deutschlands Konzertszene (und nicht nur hier), die maßgeblich daran beteiligt war, dass wir überhaupt diesen Status erreichen konnten. Natürlich darf in dem Zusammenhang sein alter Freund und beruflicher Wegbegleiter Fritz Rau nicht fehlen, aber hier geht es jetzt erst mal um Horst Lippmann.
Aus einer gastronomisch vorbelasteten Frankfurter Familie stammend, war er schon früh an das Miteinander von Ausschank und musikalischer Hintergrundbeschallung gewöhnt und entdeckte ebenfalls früh in seinem Leben die Jazz-Leidenschaft für sich. Als Jugendlicher trommelte er mit den Jazzbesen auf die väterlichen Barhocker und verschaffte sich durch ständiges Hören der »entarteten Negermusik« ein fundiertes Wissen, galt in der Szene bald als Autorität. Wohlgemerkt, wir reden von den letzten Kriegsjahren. Einer Zeit also, in der man quasi alles, was nicht deutsch-national war, verboten und selbst das bloße Abspielen von so genannter Urwaldmusik unter Strafe gestellt hatte. Lippmann scherte sich einen Dreck um des Führers Edikte und gab sogar in den ersten Jahren seines Schaffens bereits eine bescheidene Postille zum Thema Jazz heraus. Diese "Mitteilungen für »Freunde moderner Tanzmusik« waren eigenhändig getippt und über dunkle Kanäle verteilt. Zwar genoss er vielleicht in alltäglichen Dingen einen kleinen Bonus als Vaters Sohn in der Mainmetropole Frankfurt, jedoch bewahrte auch ihn das nicht vor Verhaftung durch die Braunhemden. Nach einigen Wochen wurde er dann allerdings wieder entlassen und entkam somit dem Schicksal vieler Leidensgenossen, denen ein solches Glück nicht beschert war.
Auch nach dem Krieg ging es für Lippmann ohne Unterbrechung weiter im Auftrag des Jazz. Er schrieb, er lud ein, er erwarb eine Ruine als Location für Auftritte, später kamen noch weitere hinzu (u. a. betrieb er das Frankfurter Storyville, in dessen Räumen mittlerweile der äußerst bekannte Sinkkasten zuhause ist). In diesen Zeiten des Mangels gelang es ihm - mit guten Kontakten zum amerikanischen Besatzer - eine unglaubliche Logistik aufzubauen, die einzig dazu diente, seine wahre Leidenschaft und die seiner Gesinnungsgenossen zu befriedigen. Es ging nicht um das Stillen leiblichen Hungers in Form von Wurst, Kartoffeln oder Schokolade sondern um seinen Hunger auf Blues und Jazz. Und er ließ von Anfang an andere Menschen teilhaben. Seine philosophischen Auseinandersetzungen mit dem Thema, sowohl in seinem - heute würde man sagen - Newsletter als auch bei den beliebten Vorträgen anlässlich seiner Schallplattennachmittage oder später den Radiosendungen sind wahrlich hörens- oder lesenswert gewesen.
Als die Deutsche Jazz Föderation zu Beginn der 50-er Jahre gegründet wurde, ernannte man Lippmann ob seiner Fähigkeiten und Erfahrungen zum ersten Konzertreferenten. Was sich daraus quasi als Selbstläufer entwickelte ist längst Geschichte geworden - die größte und erfolgreichste Konzertagentur Deutschlands. Glaubt man den Ausführungen des Autors der vorliegenden Biografie, Michael Rieth, so ging es Lippmann nie um den Kommerz. Er wollte lediglich das tun, was ihm am musikalischen Herzen lag - sein späterer Geschäftspartner und Freund Fritz Rau war dann für die Ausführung, die Finanzen und die unglaubliche Expansion zuständig. Die Vermutung liegt nahe, dass Lippmann - Zeit seines Lebens gesundheitlich immer angeschlagen - die enorme Doppelbelastung wohl nicht so lange ausgehalten hätte. Ohnehin stirbt er schon mit 70 Jahren, der Wegbereiter populärer Musik muss seinem aufwendigen Wirken den zu frühen Tribut zollen.
Gut 13 Jahre nach Lippmanns Tod ist nun eine Biografie erhältlich, die weit über das reine Aufzählen von Fakten und Lebenseckdaten hinausgeht. Rieth, studierter Philosoph und Musikjournalist, hat neben vielen anderen Wirkungskreisen 25 Jahre für die Frankfurter Rundschau geschrieben und dabei ungezählte Kritiken zu allen Themenbereichen der Musik verfasst. Er hat es geschafft, einen Bogen über diese vorgenannten Fakten zu spannen hin zu dem phänomenalen Multitalent Lippmann. Das Buch ist nicht nur für Zeitgenossen aus Horst Lippmanns 'Gründerjahren' geeignet - wie meine Eltern, die in den 50-er und frühen 60-er Jahren zu allem gereist sind, was musikalisch in erster Linie von Horst Lippmann auf deutsche Bühnen geholt wurde und die mit dem Bild- und Filmmaterial ganze Archive füllen könnten. Auch jüngere Leser werden fasziniert mit verfolgen können, was einen außergewöhnlichen Menschen dazu trieb, sein Leben derart zu gestalten, dass es unbeabsichtigt einen immensen Einfluss auf ungezählte Bands und Musiker hatte und nebenbei auch noch Millionen von Konzertbesuchern mit Freude und Glück bedenken konnte. Und um einen pathetischen Kreis zu meiner eingangs getätigten Aussage zu formen: Ohne Horst Lippmann wäre die deutsche Konzertkultur wahrlich nicht das, was sie heute ist.
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