Uff, da hab ich ja noch mal Schwein gehabt! Nein, ich bin NICHT plattensüchtig!! Ein Umstand, der meine Muddi beruhigen wird, und den ich seit der unterhaltsamen Lektüre von Jürgen Schmichs "Plattensüchtig" mit Gewissheit unterfüttern kann. Denn: Ich habe meine Platten - und da sind einige echte Raritäten darunter - immer wegen der Musik gekauft, wenn man mal von den Picture-Vinyls aus den Siebzigern absieht. Ein Plattensüchtiger muss, so argumentiert Jürgen Schmich unter anderem, das Objekt seiner Begierde nicht zwangsläufig auch hören wollen. Es reicht völlig aus, dass er es könnte, wenn er es denn wollte... Und OVP ist die erlesene Rarität noch ungleich wertvoller!!
Ich dagegen könnte nachts nicht mehr beruhigt schlafen, wenn die heißbegehrten Debütscheiben der J.J. Mugglers oder von Rebel Storm noch originalverpackt in meinem Plattenregal stehen würden. Nein, es würde mir sogar körperliche Qualen bereiten!!
Messerscharf analysiert Jürgen Schmich im einleitenden Teil von "Plattensüchtig" den 'Homo Plattensius'. Unmittelbar Betroffene könnten ob der schonungslosen, geradezu klinischen Sektion schamhaft erröten. Mittelbar Tangierte (besorgte Lebenspartner/Familienangehörige/Freunde etc.) erhalten vielleicht sogar erstmals einen kompetenten Einblick in die Seelenwelt des Unglückseligen, was das Verständnis für dessen Zwänge beträchtlich zu erhöhen vermag.
Da diese Sucht aber nicht nur völlig legal, sondern zudem die schönste Nebensache der Welt - die Musik - zum Objekt hat, gibt es sicherlich Schlimmeres, als dem Schellack, dem Vinyl oder in Dreiteufelsnamen auch der CD verfallen zu sein. Wer seine Sammelleidenschaft also zu strukturieren gedenkt, wird während der Lektüre von Jürgen Schmichs "Plattensüchtig" überaus hilfreiche Tipps und Anregungen erhalten. Was will ich eigentlich sammeln? Schellack, Vinyl, Singles, Covermotive, Erst-, Muster- oder Exportpressungen - darüber muss man sich erstmal klar werden. Wo werde ich fündig? Worauf muss ich achten, um möglichst wenig teures Lehrgeld zu opfern? Auf all diese Fragen wird der potentiell Infizierte umfassende Antworten in diesem 168-seitigen Schmöker finden. Sie werden ihm sicherlich helfen, seine Suche [Sucht/Suche - man beachte den ethymologischen Zusammenhang!!] in zielorientiertere Bahnen zu lenken. Denn, sind wir ehrlich, welcher 'Süchtige' teilt schon gerne seine Informationen, wie er an seinen 'besten Stoff' kommt, mit anderen!? Deshalb sind Schmichs Hinweise - im wahren Wortsinn - bares Geld wert.
Das Kernstück von "Plattensüchtig" bildet der Interviewblock mit sieben hochgradig Betroffenen. Hier zeigt sich, wie viele Gemeinsamkeiten - bei aller Unterschiedlichkeit der Sammelgebiete - diese Sammelwütigen verbindet. Mit welchem fieberhaften Jagdinstinkt sie hinter dem Objekt ihrer Begierde her sind. Welchen Aufwand, welche Mühen und Kosten sie auf sich nehmen, mit welcher Akribie sie ihre Sammlung vervollständigen. Aber es offenbart sich auch schonungslos, welche Sisyphusarbeit diese Sammelleidenschaft letztendlich darstellt. Nie erreicht man sein Ziel wirklich, denn immer eröffnen sich neue Verästelungen, die in einem wahren Labyrinth enden können. Wenn man sich da nicht hoffnungslos verirren will, braucht man Ratgeber. Sollten hier keine realen Personen zur Verfügung stehen, kann sich "Plattensüchtig" als probates Handbuch herausstellen.
Interessant ist, dass der Autor selbst - nach eigenen Angaben - über eine eher überschaubare Plattensammlung verfügt. Als 'Kunstgeschichtler' und ehemaliger Schlagzeuger weiß Jürgen Schmich, der seine Brötchen im Journalismus verdient, allerdings ziemlich genau, wovon er spricht.
"Plattensüchtig" hat sich als ebenso spannende wie unterhaltsame Reise in die bizarren Welten von Sammlern entpuppt. Was man dann letztlich sammelt ist ziemlich egal. Platten, Bierflaschen, Oldtimer, Rolexuhren oder (besonders beim weiblichen Geschlecht beliebt) Schuhe - das Prinzip ist wohl immer gleich.
Möglicherweise wird sich so mancher unserer Leser (vielleicht auch der Redakteure) verschämt schmunzelnd ertappt fühlen. Und sicherlich ist es alles andere als verkehrt, wenn man sich manchmal auf humorvolle Weise sein Spiegelbild vor Augen führt...
Kapitel |
01:Intro
02:Expeditionen in eine andere Welt
03:Andreas Schmauder - Europäischer Jazz der Schellackzeit
04:Peter Bastine - Picture Discs
05:Heinz-Günther Hartig - Rock'n'Roll
06:Edmund Thielow - Beatles
07:Felix Aeppli - Rolling Stones
08:Hans-Jürgen Finger - Schlager
09:Chris Wallner - Soul, Funk, House, Techno
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Externe Links:
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