Christopher Dawes / Rat Scabies und der heilige Gral
Rat Scabies und der heilige Gral 304 Seiten, broschiert
Medium: Buch
Erschienen im Seeling Verlag, 2008,
1. Auflage
ISBN-13: 978-3938973059, EUR 14,80

Review vom 06.11.2008


Tom Machoy
Ein Buch über Musik mit Rat Scabies (»…, der häufig als einer der besten Rock-Drummer der Welt bezeichnet wird…«), der alten Sackratte, als Hauptfigur? Punk und Hintergründe aus dem
The Damned-Nähkästchen?? Exzesse jeglicher Art im Detail beschrieben??? Was soll ich dazu sagen: Nichts dergleichen! Oder fast nichts. Denn eine Hauptfigur ist Rat Scabies. Und sonst hat das Buch mit Musik (auch wenn noch einige Gruppen namentlich erwähnt werden) und dem Drumherum so viel zu tun wie z.B. AC/DC mit bretonischer Volksmusik (beide mögen mir den Vergleich nicht übel nehmen).
Der Erzähler, der jahrelang als Musikjournalist tätig war, stellt nach seinem Umzug in einen Londoner Vorort fest, dass sein Jugendidol, der Schlagzeuger der Punkband The Damned ihm gegenüber wohnt. Ratty ist ein Mensch wie alle anderen, zumindest fast, denn wie die meisten anderen auch hat er jede Menge kleine Macken, die in seinem Fall aber eher sympathisch als unangenehm sind; ein wenig schwierig ist er vielleicht, denn er hat ein großes Überzeugungstalent und verschließbare Ohren. Einmal festgelegt, hört er einfach nicht mehr zu. Kurz - er ist ein sehr überzeugender Quatscher.
Bald schon sprechen sie in Brendfort beim Rauchen verschiedenster Kräuter und Gräser und beim Tee-/Biertrinken nicht mehr nur über Musik. Sie sprechen über Rennes-le-Chateau in Frankreich, über Saunière, den Priester, über sein Umfeld, über Tempelritter, über den angeblich versteckten Schatz - über den Heiligen Gral (»Es hatte die Musik als Hauptgesprächsthema verdrängt.«). Es entspinnen sich aus anfänglichen losen Plänen (»Dinge, die zu tun sind um den Heiligen Gral zu finden«), wilden und witzigen Theorien tatsächliche Reisen zu historischen Stätten. Über die größte Strecke des Buches ergießen sich nun eine Art Reiseberichte (von Frankreich-Paris in die Französischen Pyrenäen bis Schottland), die weder langweilig, noch an den Haaren herbeigezogen sind. Berichte, die gründlich in ihren Details recherchiert wurden. Beeindruckend, wie fundiert die geschichtlichen Zusammenhänge eingearbeitet sind, kamen doch vor einigen Wochen wieder einige Fernsehsendungen und Filme über das Geheimnis des Grals. Diese waren keinesfalls besser aber auffrischend und hatten diesen AHA-Effekt! Ob es um die Geheimbünde geht, deren Hüter, da Vinci, Newton, Debussy, Cocteau, …, Katharer, Templer, den Gral-Kult im Dritten Reich mit Otto Rahn an der Spitze des Suchtrupps, ganz egal, es gibt unverfälschte Geschichte.
Neben all den Reiseberichten, den Geschichtsgeschichten in purer Realität brilliert Dawes ebenso mit seinen schrägen, witzigen, verschrobenen, chaotischen, exzentrischen, esoterischen, kompliziert-unkomplizierten, ehrlichen, edlen, … Figuren, die er beschreibt und die in seiner Danksagung am Buchende alle wiederzufinden sind. Alles Gestalten, die ich während des Lesens kennenlernte, die ich lieb gewinnen konnte. Ob sie sich gewählt und fein aussprachen oder ob es schon mal zu einem »DUBLÖDESARSCHLOCH Rat!« kommt. Das hat und findet alles seinen Sinn. Und dieser Sinn ist nicht unbedingt das Finden des Grals, des Schatzes, eines materiellen Vermögens. Dieser Sinn stellt sich anders dar - ein jeder findet seinen Heiligen Gral.
Das ist kein Buch für 'vernünftige Leute', es ist ein Buch für Träumer, die auf der Suche sind. »Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich - genau wie Scabies - mit einer vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Geschichte aufgewachsen bin. Ich denke, dies trifft auf die eine oder andere Weise vielleicht auf jeden zu. Und die meisten vergessen diese Geschichten nie. Also träumen sie weiter davon, Gold zu finden. Glücklich zu werden. Glücklich bis an ihr Ende zu leben. Den Heiligen Gral zu finden. Sie träumen weiter von Träumen, … Sie suchen weiter. Glauben weiter. Bewahren den Glauben.«
Es ist ein Buch über Freundschaft, fest, ehrlich und ohne Verlogenheit! Es ist ein philosophisches Buch und dennoch mit viel, viel Witz.
So macht Lesen Spaß!
»Jenni hat irgendetwas darüber gesagt, die Straße, die zum Dorf hinaufführt, hätte eine unglaubliche magische Kraft. Und plötzlich habe ich gemerkt, wie normal ich bin. Ich bin mit dem Fahrrad der Sonnenfinsternis nachgejagt, ich trage eine Tasche mit frisch gebügelten Zwanzigpfundnoten, ich habe eine Menge Sex, Drogen und Rock´n´Roll gehabt - die meisten Drogen und Rock´n´Roll zusammen mit dir - , aber eigentlich bin ich sehr normal. Ich bin vollkommen langweilig normal. Und jeder, den ich in Rennes getroffen habe, war langweilig anormal. Vielleicht geht es darum, oder? Vielleicht müssen wir alle diese Wahl treffen: langweilig normal oder langweilig anormal? Was möchtest du sein?«

Das findet raus, beim Lesen.
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