Die Geschichte der Rockmusik im Spiegel von Konzertkarten
Gilt es als Qualitätsmerkmal, wenn Fritz Rau, DER Fritz Rau, ein Vorwort zu einem Buch über 40 Jahre Rockgeschichte verfasst? Wenn der Godfather der deutschen Konzertlandschaft wohlwollende Worte zu einem Werk verfasst, das im Grunde nur ihm selber oder Horst Lippmann und vielleicht auch noch Marcel Avram zusteht, könnte man ketzerisch fragen? Jawohl, es ist ein Gütesiegel!
Aber auch ohne dieses Vorwort hat der Verfasser Frank M. Bierl ein Buch zusammengestellt, das in keinem Haushalt fehlen sollte, denn es sind 40 Jahre Rockgeschichte anhand von 40 Jahren Konzertkarten akribisch dokumentiert und sehr ansprechend aufgearbeitet. Bierl gilt als einer der Sammler von Tickets in Deutschland, der mit einem der wohl umfangreichsten Konglomerate aufwarten kann - es geht in die Tausende, was er im Laufe der Jahre angehäuft hat. So lag es nahe, die Öffentlichkeit irgendwann einmal an dieser Leidenschaft teilhaben zu lassen und mit einem großformatigen und großartigen coffee table book zu erfreuen.
Nach dem Vorwort und einer kurzen Einleitung kommt Bierl direkt zur Sache und präsentiert uns die Dekaden deutscher Konzertgeschichte von den Anfängen der Bravo- Beatles-Blitztournee und legendären Auftritten in der Berliner Waldbühne bis hin zu den jüngsten Gigs aus dem 21. Jahrhundert, alles reich bebildert mit den Relikten teilweise längst vergangener Zeiten. Zu Beginn eher schlicht gehalten und an billige Rollenmarken eines Verzehrbons dörflicher Kirmesveranstaltungen erinnernd, erfahren die Tickets im Laufe der Jahre mit dem zunehmenden Stellenwert als individuelle Erinnerung auch einen Wandel in ihrer Aufmachung. Die künstlerische Freiheit beginnt in den späten siebziger- und gipfelt in den achtziger Jahren, bevor sie dann Mitte der Neunziger kläglich an den Errungenschaften moderner IT-Technologie und der Schaffung flächendeckender Netzwerke mit der Einführung wenig ansehnlicher Computer-Printouts zu Grunde geht.
Der Autor schildert zu jedem Ticket, jedem Interpreten oder der jeweiligen Tournee kleine Anekdoten, liefert Feinheiten zu so manch einer längst verschwundenen Kultstätte deutscher Konzertgeschichte, streift schon mal die ehemalige DDR und hebt aber auch auf die aktuellen Clubs ab, die es sich (noch) leisten wollen, individuell gestaltete Tickets zu produzieren. Schön und interessant sind die kleinen 'Nebensächlichkeiten' wie z. B. ein nach heutigen Gesichtspunkten recht krude gemachter Flyer, der zum Boykottieren der angeblich überzogenen Eintrittspreise von Lippmann & Rau im Falle der Deep Purple-'In Rock'-Tour bzw. zum Stürmen der Festhalle aufruft - regulärer Eintrittspreis 10,- Deutsche Mark!
Ein kleines Special über die Historie der Tourneen und somit auch die der dazugehörenden Konzerttickets der Rolling Stones bietet eine eindrückliche Übersicht im Wandel der Zeit am Beispiel ein und derselben Interpreten. Abgerundet wird das Buch durch die persönlichen 'Top 10' des Autoren, gefolgt von einigen Seiten mit Kuriositäten: Fehldrucke, Schreibfehler und weitere Raritäten.
Dieses Buch lädt nicht nur die Älteren unter uns auf eine Zeitreise ein, eine Zeitreise in Dekaden, in denen man seine Tickets außer von eventim noch von anderen Ausgabestellen bekam und wo die Erinnerung an einige schöne Stunden oder Tage mit schön und aufwändig gestalteten Eintrittskarten zusätzlich erhalten blieb. Nicht nur einmal habe ich schon mit alten Freunden über dem Buch gesessen und wir haben abgehakt: »Auf der Tour war ich auch«, »Das Ticket hab' ich« und so weiter, und so weiter.
Kürzlich sprach ich mit Georg Stein, Chef des herausgebenden Palmyra Verlags und er sagte, ein alter Bekannter habe ihn kurz nach Veröffentlichung des Buches angesprochen und sich darüber beklagt, Stein sei seinem Plan zuvorgekommen, auch so ein Buch zu machen. Haben wir also die Chance auf ein anderes Werk oder eine Fortsetzung des ersten Bandes? Platz wäre auf dem Markt allemal für noch ein Buch und die Fülle der Veranstaltungen böte noch Material ohne Ende. Wir dürfen also hoffen.
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