Wenn
Steve Morse ein neues Album herausbringt oder zumindest an demselben mitgewirkt hat, muss ich nahezu reflexartig 'HIER' schreien. Seit 1976 beobachte ich den musikalischen Werdegang des blonden, langmähnigen Gitarrenvirtuosen. Seit diesen Zeiten haben sich die
Dixie Dregs,
Morse' erste Band aus College-Tagen, zu einer meiner persönlichen 'Top Three-Bands' gemausert. Hei, was lieferten die für einen irrwitzigen Mix aus Bluegrass, Jazz, Hard Rock und klassischer Barockmusik ab! Als diese Formation an der Ignoranz amerikanischer Plattenfirmen zerbrach, hieb
Steve mit seiner
Steve Morse Band in genau die gleiche Kerbe. Nun ganz auf sein exzellentes 'single-tone-picking' zugeschnitten, fehlten mir persönlich die formidablen Violinenhexereien eines
Allen Sloan und
T Lavitz' jazzig-komplexen Keyboards doch ein bisschen. Ersterer ist nun ein gefragter Medizinprofessor, letzterer ein nicht minder erfolgreicher Komponist von Filmmusiken. Damit haben sich die
Dixie Dregs wohl erledigt - eine Tatsache, bei der es schwer fällt, diese zu akzeptieren.
Kansas und
Deep Purple hießen die nächsten Stationen des Helden, der uns nun mit
Angelfire sein neuestes Projekt vorstellt.
Kansas - das schien stimmig, bei
Deep Purple (trotz all meiner Wertschätzung für diese britische Rockikone) kam und kommt mir
Steve Morse etwas unterfordert vor. Aber das ist eine ganz andere Geschichte und ich verkneife mir gehässige Kommentare.
Nun hat sich der offenbar für ewig Jungbleibende mit einer blutjungen, amerikanischen Sängerin, Sarah Spencer, zusammengetan und dabei sind überaus ungewöhnliche Töne entstanden. Musik und Texte haben die Beiden gemeinsam erarbeitet, was auf eine gute 'Chemie' zwischen Jung und Alt hindeuten mag. Unterstützung hat man sich von zwei alten Kämpen aus der Steve Morse Band, Dave LaRue (Bass) und Van Romaine (Drums), geholt. Die agieren allerdings eher im Hintergrund - Angelfire ist definitiv auf Stimme und Gitarre zugeschnitten. Zeitweise ist das Album rein akustisch arrangiert worden. Spencers wunderschön klarer Gesang wurde von Morse mit reichlichen Overdubs zu sehr ansprechenden, mehrstimmigen Parts produziert.
Überhaupt sind die elf Songs nicht ohne Überraschungspotenzial. Hier ist nichts vom Hard Rock-Flair zu spüren, das den sonnig-sympathischen Gitarristen aus Florida magisch umgibt.
Blackmore's Night kommt einem da eher in den Sinn, wenn man die von Folk Rock inspirierten Arrangements auf sich wirken lässt. Auch wenn man das 'easy-listening' von lupenreinem Pop
Angelfire nun wirklich
nicht zuschustern kann, so ist doch so mancher Song in seiner eingängigen Struktur diesem Genre zuordenbar.
Morse' Vorliebe für klassische Barockmusik schimmert ein ums andere Mal durch und sein charakteristisches Gitarrenspiel macht aus
Angelfire ein klar identifizierbares
Morse-Baby.
An Anspieltipps fehlt es nun wirklich nicht! Bei "Everything To Live For" wird man an
Clannads allerbeste Zeiten erinnert. Sphärisch-verträumt kommt "What Made You Think?" daher, gefolgt von der 'härtesten' Nummer, "Get Away", die auch durchaus auf einem der frühen Meisterwerke
Jethro Tulls vorstellbar gewesen wäre. Auch das einen Kirchenchoral intonierende "Omnis Morse Aequat" hat einen zauberhaften Charme, dem man sich nur ganz schwer entziehen kann. "Take It Or Leave It" - fast als
ABBA-esk zu bezeichnen - ist die natürliche Single des Albums, gesichertes Airplay scheint garantiert. Mit melancholischen, irischen Folk-Klängen blendet "Urban Decay" stimmungsvoll aus.