Aristocrats / Culture Clash
Culture Clash Spielzeit: 57:09
Medium: CD
Label: Boing! Music, 2013
Stil: Fusion


Review vom 21.10.2013


Steve Braun
'The Aristocrats' nennt sich ein sehr beliebter Running Gag unter Stand-up Comedians. Eine schemenhaft vorgegebene Handlung (über Aristokraten) wird mit Hilfe völlig freier Improvisation in skurril-bizarre Dimensionen übersteigert, um den ultimativ-schmutzigsten Witz zu generieren.
The Aristocrats nennt sich auch eine kunterbunte Multikulti-Truppe, die den Jazz unter Zuhilfenahme völlig freier Improvisation in skurril-bizarre Dimensionen übersteigert, um die größtmögliche 'Geschmacklosigkeit' zu erzielen. Jedenfalls lassen sie jeden Respekt gegenüber der uralten Tante 'Jazz' vermissen.
Das Triumvirat - bestehend aus je einem Briten, Ami und Deutschen - ist musikalisch breitestmöglich aufgestellt: Die Palette reicht vom Progressive Rock bis zum Melodic Death Metal. Eine gewisse Prominenz ist dem Dreier nicht abzusprechen. Hierzulande dürfte Marco Minnemann als (Kurzzeit-) Tourdrummer von Kreator und heißer Kandidat für den Schlagzeugschemel bei Dream Theater noch am bekanntesten sein. Der brillante Guthrie Govan war von 2006 bis 2009 Gitarrist bei Asia. Hochinteressant ist das bassistische Urviech Bryan Beller. Der ist nämlich neben den Aristocrats noch bei den Death-Metallern von Dethklok aktiv, begleitet aber gleichzeitig so ausgefuchste Fusion-Recken wie Dweezil Zappa oder des Teufels Leib-und-Magen-Gitarristen Steve Vai. Wenn das keine illustre Truppe ist...
Wahlweise schneiden die Aristocrats dem Jazz-Adel die Schlipse ab oder pinkeln ihm ebenso frech ans Bein. Kein Jazzstandard ist diesen Jazz-Anarchisten sakrosankt genug, um ihn nicht - wie bspw. im "Louisville Stomp" - gehörig auf den Arm zu nehmen. Dieser 'Kampf der Kulturen' drückt sich zudem gleichermaßen im Titel ("Culture Clash") wie dem irrwitzigen Cover aus. Die drei überaus haarigen Freaks stehen mit ihren Arbeitsgeräten todes- und wagemutig einem Kampfhahn in Schlips'n'Kragen und dem 'Mann im Mond' gegenüber. Auch sehr schön dargestellt: Der aktentaschenbewaffnete Businesskasper mit Schweinsköpfchen - selten so feist gegrinst!!
Um den zelebrierten Stil zu beschreiben, könnte ich jetzt eine ganze Armada von Musiklegenden bemühen - vom Mr. Spock of Rock bis hin zu Uncle Satch. Mir kommen bei der überaus progressiven Fusion-Mixtur zwei Formationen in den Sinn, die Pate gestanden haben könnten: die Werke aus den ganz frühen Achtigern von den ausgeflippten Berliner Jazzrockern RoZZ und den Erneuerern des Rock der Steve Morse Band.
Selbstredend kommt dieses skurrile Konglomerat verschiedenster Stile völlig ohne Gesang aus. Die Melodieführungen übernehmen die drei Instrumente. Jawohl, auch mit einem Schlagzeug kann man das, wenn man ein Klassedrummer ist und Minnemann heißt. Wesentlich häufiger hört man dies bei Bassisten, aber selten derart umhauend wie bei Bryan Beller. Wie der mit synkopierten Rhythmen, sich überschlagenden Slaps und gedroschenen Akkorden seine Akzente setzt, ist nicht mehr von dieser Welt. Und so steht, anders als in anderen Trioformationen, bei den Aristocrats nicht nur der Gitarrist - hier der vor Genialität förmlich überschäumende Guthrie Govan - im Mittelpunkt, sondern jeder einzelne der drei Musiker. Und weil die Jungs absolut gleichberechtigt auf ein und demselben Level agieren, hat auch jeder seine drei Titel zu "Culture Clash" beigesteuert.
Natürlich bringt es herzlich wenig, neun derart abgedreht arrangierte Stücke - ein jedes ein Mikrokosmos für sich - jetzt an dieser Stelle sezieren zu wollen. Man sollte eine Affinität zur Instrumentalmusik und möglichst auch zum Jazz Rock mitbringen, dann wird "Culture Clash" garantiert zünden!
Obwohl hier kein einziger Abstrich zu machen ist, stechen die Minnemann-Kompositionen besonders hervor. Beim überaus rhythmusbetonten "Dance Of The Aristocrats" verfängt sofort ein blubbernder Bass, mit dem offensichtlich ein Synthesizer angesteuert wurde. Bei "Ohhhh Noooo" sind es vor allem die vielfältigen Dialoge zwischen Gitarre und Drums, die immer wieder aufhorchen lassen. Klassenprimus ist ganz klar "Desert Tornado": Gitarre und Bass sorgen für glutvolle Hitze und endlose Weite, während Minnemann einen alles aufwirbelnden, mächtigen Sturm entfacht... wie geil ist das denn???
Man kommt an dieser Stelle kaum umhin, das zweite Album der Aristocrats mit einem Tipp in den Adelsstand zu erheben. "Culture Clash" ist genau die Mucke für libertäre Freigeister, Zappa-eske Freaks und angeRoZZte Wahnsinnige. Sensationell!!
Line-up:
Guthrie Govan (guitars)
Bryan Beller (bass)
Marco Minnemann (drums)
Tracklist
01:Dance Of The Aristocrats [Minnemann] (5:50)
02:Culture Clash [Govan] (7:00)
03:Louisville Stomp [Beller] (4:40)
04:Ohhhh Noooo [Minnemann] (6:47)
05:Gaping Head Wound [Govan) (6:34)
06:Desert Tornado (Minnemann] (5:35)
07:Cocktail Umbrellas [Beller] (7:21)
08:Living The Dream [Beller] (7:10)
09:And Finally (Govan) (6:12)
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