Nein, Gregg Allman ist weder ein Engel noch ein Kind von Traurigkeit. Aber die achtziger Jahre waren keine guten für ihn. Beziehungskrisen, Depressionen und Selbstzweifel stürzten den Mastermind der ABB (erneut) in den Sumpf aus Alkohol und Drogen. Nach fünfjährigem Herumdümpeln fasste sich Gregg Allman 1987 ein Herz und brachte mit "I'm No Angel" ein Album heraus - das erste Soloalbum seit zehn Jahren. [Anmerk. am Rande: Wer erinnert sich noch an diese erbarmungswürdige Scheibe mit seiner Kurzzeit-Else Cher??] Und begab sich mit eigener Band wieder auf Tour. Aus dieser Zeit stammen die hier zu besprechenden Aufnahmen. Allerdings ist der Titel eher als persönliches Statement des Protagonisten anzusehen, denn aus dem überaus schwachen "I'm No Angel"-Album stammt - dem Gott des Southern Rock sei Dank - nur der scheele Titeltrack. Dagegen ist das wenig später folgende, sehr viel überzeugendere "Just Before The Bullets Fly" mit sage und schreibe vier Titeln vertreten, die zudem zu den Glanzpunkten des Abends zählen.
Wenn man also die beiden letzten ABB-Scheiben vor dem zweiten Split - "Reach For The Sky" und "Brothers Of The Road" - hinzuzählt, waren die Achtziger Gregg Allmans persönlicher und musikalischer Tiefpunkt. Da tröstet es überhaupt nicht, dass Intimfeind Dickey Betts noch sehr viel weniger auf die Rille bekam. Trotzdem ist die vorliegende DVD (die es schon mal als VHS-Tape gab) für einen Fan der Allman Brothers ein überaus wichtiges historisches Dokument. So enttäuschend "I'm No Angel" anno 1987 war, so ist es doch ein Teil der Biografie Gregg Allmans.
Im November 1988, wenige Wochen bevor dann 'die Kugeln flogen', gastierte Allman samt Band im Cannery von Nashville/Tennessee. Wenn man den einleitenden Jingle und die Laufzeit richtig interpretiert, handelt es sich wohl um eine TV-Aufzeichnung für das 60-Minuten-Format, abzüglich der Werbeblöcke.
Gregg Allman sieht - das muss man unumwunden sagen - Scheiße aus! Man kann ihm förmlich ansehen, dass er knietief in derselben steckte! Die Süchte haben ihre bekannten Spuren im Gesicht des Protagonisten gezeichnet. Allerdings merkt man ihm an, dass der Vollblutmusiker den Kampf aufgenommen hat. Er wirkt engagiert und entschlossen, kaum einmal ein Lächeln, das seine Mundwinkel ansatzweise umspielt. Stimmlich ist Allman durchaus auf Ballhöhe - an der Hammond sowieso! Musikalisch gibt es fast ausnahmslos Blues Rock - für den Southern Rock war in der ABB ausschließlich Dickey Betts kompositorisch zuständig. Ansonsten gibt er sich gewohnt 'zugeknöpft'. Keine einzige Ansage ist zu hören, aber die Musik spricht schließlich für sich.
Wow, was für ein Wiedersehen mit den beiden armen Toler-Brüdern. 'Frankie' starb bereits am 4. Juni 2011 nach einer Lebertransplantation. 'Dangerous' leidet ganz fürchterlich unter einer unheilbaren Krankheit - der Tod dürfte ihm derzeit bereits ein barmherziger Freund sein. Wie schön, die beiden noch einmal in ihrer unbändigen Spielfreude erleben zu dürfen!! Bassist und Perkussionist agieren unauffällig und unspektakulär, aber bei dem Keyboarder muss man ganz genau aufpassen. Nicht nur optisch - da musste ich mir schon die Augen reiben... Nein, es ist nicht Chuck Leavell. Aber wenn Tim Heding, wie beim obligatorischen "Statesboro Blues", in die Tasten seines Pianos hämmert, muss man bei geschlossenen Augen unwillkürlich an 'Chuckie' denken.
Musikalisch präsentieren sich Allman und seine Mannen teils routiniert ("Don't Want You No More", "It's Not My Cross To Bear") - teils plätschert's dahin ("Slip Away", "I'm No Angel"). Mitunter packt dich die Band aber gewaltig an den Eiern, wie bei "Sweet Feelin'" vom vergleichsweise durchwachsenen Album "Playin' Up A Storm" - vor allem, wenn Tim Heding hier in die Tasten greift. Oder auch bei den autobiografischen Stücken "Fear Of Falling" und "Demons", beide von der "...Bullets Fly". Zur Krönung der Positivseite wird mit "One Way Out" noch einmal ganz tief in die Trickkiste des Jam Rock gegriffen.
Fazit: Als historisches Dokument ist "I'm No Angel - Live On Stage" selbstredend für den Southern Rock-Fan unverzichtbar, nicht nur wegen des Wiederhörens und -sehens mit den Toler Brothers. Musikalisch ist es dagegen unspektakulär, aber nichtsdestotrotz sehr ordentlich und streckenweise durchaus mit Genussfaktor!
Die Laufzeit, ohne Extras und Boni garniert, ist natürlich schlapp, aber der Silberling wird dafür überall zu einem vernünftigen Preis angeboten. Verkehrt kann man hier nichts machen!
Line-up:
Gregg Allman (vocals, Hammond)
Dan 'Dangerous' Toler (guitar)
David 'Frankie' Toler (drums)
Tim Heding (piano, keyboards)
Bruce Waibel (bass)
Chaz Trippy (percussion)
Tracklist |
01:Don't Want You No More
02:It's Not My Cross To Bear
03:Sweet Feeling
04:Just Before The Bullets Fly
05:Fear Of Falling
06:Demons
07:I'm No Angel
08:Statesboro Blues
09:Slip Away
10:One Way Out
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