Ian Anderson / Thick As A Brick 2
Thick As A Brick 2 Spielzeit: 53:45
Medium: CD
Label: EMI, 2012
Stil: Progressive Rock

Review vom 03.04.2012


Holger Ott
Ian Anderson, seit mittlerweile über vierzig Jahren Denker und Lenker von Jethro Tull, macht nach außen hin stets einen netten und freundlichen Eindruck. Seine Stimme ist außergewöhnlich markant, und selbst Fans, die des Englischen nicht ganz mächtig sind, verstehen, was er in den Songpausen erzählt. Dass er aber ein recht schwieriger Mensch ist, dringt meistens nicht nach außen, aber die eingefleischten Liebhaber seiner Projekte erkennen es daran, dass inzwischen fast zwei komplette Fußballteams durch die Ex-Members von Jethro Tull und Andersons Nebenprojekten gebildet werden können. Deshalb wundert es auch niemanden mehr, dass der neue Ableger in CD-Form auch nicht unter dem Bandnamen firmiert.
Nun sind in den letzten vierzehn Tagen in fast jeder Musik-Illustrierten, und sogar in allen großen Boulevardblättern seitenlange Interviews mit Ian Anderson veröffentlicht worden, und stets geht es um das gleiche Thema: Warum läuft die CD "Thick As A Brick 2" nicht unter Jethro Tull, und warum spielt Martin Barre, langjähriger Busenkumpel und Gitarrist, nicht mit? Die Antwort darauf ist so einfach wie logisch; Anderson ist der totale Egoist, und wer nicht nach seiner Flöte tanzt, der fliegt raus.
Nun ist es natürlich extrem schwer, einen Mitstreiter, der ebenfalls über vierzig Jahre in der Band die Saiten zupft, so ohne weiteres herauszukomplimentieren, deshalb hat sich der Meister der Querflöte dazu entschlossen, das Ding alleine durchzuziehen, bzw. mit seinen neuen treuen Untergebenen. Blickt man allerdings aus Neugier auf die Webseite von Tull, so kann man feststellen, dass die Band im Moment nur auf Eis gelegt ist. Anderson argumentiert mit der Aussage, dass er es leid ist, dass die Fans vor der Bühne bei ruhigen Stücken nicht die Klappe halten können, und mit ihrem Rumgetanze und Gejohle seine musikalische Kunst stören. Ach so, aber dass diese Proleten ihm das Geld bringen, vergisst er anscheinend in diesem Moment. Dabei kann ich mich noch sehr gut an den letzten Gig von Jethro Tull in Berlin erinnern, der doch eher bescheiden war, denn auf Grund der überaus langweiligen Show, konnte überhaupt kein Tanzen oder Johlen entstehen. Womit können wir denn als Fans sonst noch dienen Mr. Anderson?
Aber ich will mich lieber auf die neue CD konzentrieren, und allen Makel an der Person für einen Augenblick vergessen, denn die CD ist einfach der Hammer. Endlich hat es im Kopf von Anderson klick gemacht, und er besinnt sich darauf was er am besten kann, nämlich Progressive Rock zu spielen. "TAAB2" ist musikalisch genau das, worauf jeder Tull-Fan seit Jahren wartet. Ein Schritt in die richtige Richtung, in die Jahre der besten Zeit dieser Band. Als ich damals jung war und das Album "Thick As A Brick" mein Eigen nennen durfte, habe ich von dessen Sinn überhaupt nichts verstanden, weder dass es ein Konzeptalbum war, noch worum oder um wen es sich dabei handelte. Mir hatte einfach nur die Musik gefallen, und das war´s.
Bei den Konzerten wurde das Thema immer wieder für ein paar Minuten angespielt, und damit kurz und bündig abgehandelt. Nun aber, vierzig Jahre später, rollt Anderson die Geschichte wieder auf, und stellt sich dabei vor, was aus seinem Hauptprotagonisten Gerald Bostock geworden wäre, wenn diese oder jene Umstände eingetreten wären. So wird auf der CD "TAAB2" in verschiedenen Versionen der mögliche Werdegang erzählt und vertont. Musikalisch kann man aber absolut keine Parallelen zu seinem Vorgänger ziehen, denn selbst das Thema taucht nur für Bruchteile von Sekunden, gegen Mitte der CD auf. Der Hörer kann sich also gepflegt in den Sessel fallen lassen, dabei bloß kein Geräusch verursachen, damit sich Meister Anderson nicht gestört fühlt, und das Ganze am besten per Kopfhörer genießen.
Begonnen wird das fast fünfundfünfzig Minuten lange Spektakel mit einer ruhigen Einleitung aus Hintergrundgeräuschen, gepaart mit Musik von Phil Collins. Die CD "TAAB2" ist in neun Blöcke unterteilt, mit recht kurzen musikalischen Passagen, die aus insgesamt siebzehn Einzelstücken bestehen. Wer also ein durchgehendes Monumentalwerk wie vor vierzig Jahren erwartet, wartet vergeblich. Zwischendurch kommt Anderson immer wieder als Erzähler ins Wohnzimmer, und berichtet, was passiert ist, oder passieren wird. Mit kleineren, aber unbedeutenden Ausnahmen, in denen die Stücke etwas ruhiger sind, haut die Band so richtig in die Vollen. Hammondorgel und Flöte sind die tragenden Instrumente, und des Öfteren wird ein perfekt gespieltes Gitarrensolo eingebracht. Wie zufällig klingt dabei die Gitarre original wie die von Martin Barre, was man wohl als kleinen Seitenhieb gegen ihn erklären kann, denn in letzter Zeit sollen sich die Busenfreunde nicht mehr so gut vertragen haben.
Aus den Tracks die Filets herauszupicken ist recht schwer. Meine besonderen Favoriten sind "Pebbles Instrumental" sowie "Banker Bets, Banker Wins" und "Old School Song", in dem das alte Thema wieder kurz auflebt. Direkt im Anschluss gibt es mit "Wootton Bassett Town" noch eins oben drauf, und in diesem Moment kann ich mir eine Steigerung auf der CD nicht mehr vorstellen. Dabei ist alles bisherige nur die Einleitung zu weiteren Höhepunkten, und ich frage mich in diesem Moment, welche Drogen Mr. Anderson wohl genommen haben muss, um solche Inspirationen zu bekommen.
Der weitere Ablauf ist einfach genial und ich behalte mir jeden Kommentar vor, denn mir fehlen einfach die Worte, wenn ich diese CD mit denen der letzten Jahre vergleiche, geschweige denn mit den langweiligen Shows von Jethro Tull. Wie nicht anders zu erwarten, geht Anderson mit der Nummer auf Tour, und hält sich dabei das Hintertürchen offen, dass er alles unter dem Namen Jethro Tull's Ian Anderson ankündigt. Hat er Angst, dass ihn sonst niemand erkennt? Ebenso steht es auf der CD geschrieben, und nun kann sich der Fan selbst aussuchen, worunter er es in seinem CD-Regal einsortiert. Da er es bereits angekündigt hat, dass auf der Tour ausschließlich beide "Thick As A Brick"-Alben gespielt werden, steigert sich meine Vorfreude jäh ins Unermessliche, und ich kann es kaum erwarten, bis das Konzert am 20.05. in Berlin steigt. Für alle die Jethro Tull in ihrer Bestform hören möchten, sei die CD "TAAB2" unbedingt ans Herz gelegt. Dass dabei Martin Barre und Duane Perry fehlen, fällt gar nicht so auf. Der Meister hat wieder einmal Oberwasser und ihm gebühren auch die letzten Worte auf der CD "To Be Thick As A Brick - Two".
Line-up:
Ian Anderson (vocals, flute, acoustic guitar)
John O´Hara (Hammond organ, piano, keyboards)
David Goodier (bass, glockenspiel)
Florian Opahle (guitar)
Scott Hammond (drums)
Tracklist
01:Pebbles Thrown
 a:From A Pebbles Thrown
 b:Pebbles Instrumental
 c:Might-Have-Beens
02:Gerald The Banker
 a:Upper Sixth Loan Shark
 b:Banker Bets, Banker Wins
03:Gerald Goes Homeless
 a:Swing It Far
 b:Adrift And Dumfounded
04:Gerald The Military Man
 a:Old School Song
 b:Wootton Bassett Town
05:Gerald The Chorister
 a:Power And Spirit
 b:Give Till It Hurts
06:Gerald: A Most Ordinary Man
 a:Cosy Corner
 b:Shunt And Shuffle
07:A Change Of Horses
 a:A Change Of Horses
08:22 Mulberry Walk
 a:Confessional
 b:Kismet In Suburbia
09:What-Ifs, Maybes, Might-Have-Beens
 a:What-Ifs, Maybes, Might-Have-Beens
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