Tori Amos / Fade To Red-Video Collection
Fade To Red-Video Collection
Hervorgegangen aus dem Arbeiten in den 70ern und 80ern Jahren, haben sich die Videoclips zu einer eigenen Form entwickelt, auch wenn diese, ähnlich wie die Werbung häufig Anleihen bei bekannten Kinofilmen machen.
Natürlich ist deren Erfolgsgeschichte ganz eng an TV-Medien wie 'MTV' gekoppelt. Über die Jahre entstanden dabei immer aufwendigere und recht experimentelle Videoclips, einige davon sind sogar im höchsten Maße artifiziell.
Insbesondere die Vermischung von Realem und Visionen bzw. der wachsende Mut zum Künstlerischen führten zur Blüte einer eigenen Video-Kultur.
Rhythmus und Melodie der Musik erlauben dabei bereits eine starke Emotionalisierung, welche durch die geeignete visuelle Sprache noch deutlich gesteigert werden kann.
Die ausgewogene Fusion von medialer Inszenierung und klarer Visualisierung der Thematik kann von den Künstlern in ihren kleinen Filmen umgesetzt werden.
Eine, die eben diese Kunst für sich entdeckt hat bzw. selbiges mit einer starken Symbolsprache versieht, um damit ein Lebensgefühl zu vermitteln, ist die exzentrische Singer/Songwriterin Tori Amos. Die 1963 als Myra Ellen Amos in Newton, North Carolina, geborene Tochter eines Methodisten-Predigers und einer Cherokee-Indianerin durchlebte in ihrer Kindheit das Trauma von auferlegten Tabus. Sie saß schon mit zweieinhalb auf dem Klavierstuhl und bezeugte sehr früh Anzeichen einer musikalischen Hochbegabung.
Im Internat des renommierten 'Peabody -Konservatoriums', Baltimore, sollte und wollte sie Konzertpianistin werden, absorbierte aber auch jede Menge rebellische Musik von Fats Waller, George Gershwin den Doors bis zu Jimi Hendrix.
Sie begann neben sturem Üben zunehmend zu improvisieren, um die Seele der Musik für sich zu erschließen. Sie flog aus dem Internat und ihr Vater vermittelte die Dreizehnjährige als Pianistin in eine Schwulenbar in Washington.
Sie durchlebte die Martyrien der Nachtclubs, sexuelle Übergriffe, litt ständig unter Schuldkomplexen und ließ diese Lebensphasen in ihre Kompositionen einfließen.
Nach einigen erfolglosen Versuchen mit ihrer Musik Fuß zu fassen, siedelte sie 1985 nach Los Angeles um und nannte sich fortan Tori.
Ohne offenkundige musikalische Perspektive fand sie jetzt den Mut, introspektive Lieder zu schreiben und besorgte sich wieder ein Klavier.
Tori nahm zwei Jahre später für 'Atlantic Records' ihr erstes Album auf, welches aber völlig unbeachtet blieb.
Sie arbeitete als Background-Sängerin und wurde schließlich von der Partnerfirma 'East West' nach London abgeschoben, mit der berechtigten Hoffnung, eine derart exzentrische Singer/Songwriterin werde sich auf einem für Avantgardeklänge aufgeschlossenen englischen Markt leichter durchsetzen können.
Das Kalkül ging auf. Ihre erste EP wurde enthusiastisch von der Kritik aufgenommen, so dass gleich noch eine Langrille, "Little Earthquakes",1992, hinterhergeschoben wurde, die es bis auf Platz 14 in den britischen Charts schaffte.
Ihr Werdegang bis heute war ab diesen Zeitpunkt kometenhaft, der trotz einiger persönlicher Schicksalsschläge mit einer übermenschlichen Willensstärke bestehen konnte.
Tori wurde in den Neunzigern zu einer Ikone der musikalischen Frauenbewegung ernannt. Ihre Musik steht hierbei für sich selber und benötigt keinen Hype oder gar solchen Stempel.
Keine andere Sängerin vermag es, ihr Innenleben, ihre Gefühle in zerklüftete Melodien, ungezähmte Stimmausbrüche sowie eine ungezügelte Körpersprache umzusetzen.
Wenn die rothaarige Elfe Arpeggios und Cluster im Stile von Keith Jarrett aus den Tasten drosch, wenn sie ihre Stimme wie Laura Nyro oder Kate Bush vom Croonen und Grummeln bis in klirrende Koloraturhöhen trieb, fühlten sich Kritiker an einen Exorzismus (Daily News) oder an eine Psychoanalyse erinnert (New York Post), und es sind ganz schmutzige Ecken und ganz dunkle Winkel, in die Tori Amos mit dem Licht ihrer therapeutisch-verzweifelten Ehrlichkeit hineinleuchtet ('Stereoplay'). (Rock-Lexikon: Graves, Schmidt-Joos, Halbscheffel; 2003)
Sie hat sich mittlerweile eine treue Fangemeinde aufgebaut , über 15 Millionen Tonträger weltweit verkauft und unzählige grandiose Tourneen absolviert.
In ihren prosaischen Songtexten, die sie wie Poesie interpretiert, schildert die Künstlerin ein Fegefeuer voller mythischer Gestalten, Zitate aus der Popkultur, religiöse Verirrungen, Mord und Totschlag und immer wieder Sexualität.
Stilistisch ist sie quasi der weibliche Leonard Cohen obwohl diese sich mehr einem Robert Plant verbunden fühlt, dem sie sogar schon als zarte Zehnjährige ihre Jungfräulichkeit schenken wollte.
Mit ihrer Musik hat diese faszinierende Frau auch gleichzeitig kleine Kunstwerke erschaffen.
Diesen Ansatz hat sie auch bei den entsprechenden Videos zu ihren Songs konzeptionell weiterverfolgt und es anhand von fesselnden Bildern bzw. einer großartigen Film-Ästhetik eingefangen.
Nun gibt es endlich mit "Fade To Red" eine umfassende Video Zusammenstellung, auf der ein tadelloser Überblick ihres Schaffens von 1992 bis 2005 in einzelnen Clips dokumentiert ist. Auf zwei DVDs gibt es hier alles, was das Fanherz schneller schlagen lassen dürfte. Das Erfreuliche dabei ist, dass ein Teil der Videos nicht einfach nur von den VHS-Masterbändern überspielt, sondern sämtliche Filmsequenzen neu abgemischt wurden bzw. der Ton nun auch keine Wünsche mehr offen lässt und wahlweise in DTS oder L-PCM Stereo genossen werden kann.
So erwartet den Betrachter allesamt einzigartige Juwelen, die jedes für sich einen eigenen Kurzfilm darstellen, und ihren Wert erst beim mehrmaligen Konsumieren entfalten.
Toris versponnener Musikkosmos versprüht eindringlich eine so unorthodoxe wie beeindruckende Kombination aus Pop, Rock und Folk, dient dabei aber nicht nur als Vehikel für ihre philosophischen, ungeschminkten Texte, die sich irgendwo im Spannungsfeld zwischen Spiritualität, Erotik und Sensibilät bewegen.
Neben den gewohnt zarten-poetischen Piano-Stücken sind auch die recht experimentierfreudigen Stile bzw. Soundideen vertreten. Eine über die Jahre gereifte bzw. über den Dingen stehende Künstlerin blickt in ihren verschlungenen musikalischen Kleinoden auf Momente ihres Lebens zurück und verführt den Konsumenten zum Voyeurismus in ihr intimstes Innenleben.
Mit ihrem sicheren Gespür für bezaubernde Melodien bzw. ihrem Spiel, versteht sie es wie keine Andere, das Publikum auch auf dem Bildschirm in ihren Bann zu ziehen und für gehörige Hitzewallungen zu sorgen.
Beeindruckend sind Videoclips wie das kryptische "Spark" ("From The Choirgirl Hotel",1998), das in ein symbolträchtiges Flammenmeer getauchte "Hey Jupiter" ("Boys- For Pele", 1996) oder das subtile "God" ("Under The Pink",1994) und insbesondere die in spärlicher Instrumentierung gehüllten Bilder bei "China" ("Little Earthquakes", 1992) oder "Pretty Good Year" ("Under The Pink",1994).
Einige der Clips sind dafür Beweis genug, dass es auch ohne die gewaltigen Spezialeffekte möglich ist, ihrer unverkopften Musik durch relativ schlichte, puristische Bilder visuell noch den letzten Kick zu geben.
Herausheben möchte ich nur den Clip zu "A Sorta Fairytale" ("Scarlets Walk", 2002), der sich mit seiner innovativen Regiearbeit bzw. computervisuellen Umsetzung mühelos in den Stammbaum der wegweisenden Videokünste einreihen dürfte und als eine Ode an die wahrhaftige Liebe zu betrachten ist.
Dabei zeichnet Sie die vielfältigen Lebenserfahrungen mit ihrem scharfen Auge für die Details und gänzlich ohne zuviel rüschigem Bombast nach.
Auch bei vollständiger Betrachtung des Videomaterials langweilen die neunzehn Clips in keiner Sekunde, im Gegenteil man ist vom Anfang bis Ende davon gebannt und gefesselt. Auch das Bonusmaterial kann sich locker sehen lassen, sonst lieblos zusammengestellt wurde hier sorgsam gearbeitet.
Neben den Videos ihres 94er Erfolgshits "Cornflake Girl" in der UK Version und "Professional Widow" ("Boys For Pele", 1994) als untypischer Armand Van Helden-Dance-Mix, gibt es auch einen Blick hinter die Kulissen, wodurch man in etwa zwanzig Minuten tiefe Einblicke in die Entstehung des "A Sorta Fairytale"-Videos erhält.
Des Weiteren sind die persönlichen Kommentare von Tori zu jedem Song eine wirkliche Offenbarung.
Bei kaum einer anderen Künstlerin dürfte sich der Erwerb einer Videoclip-Sammlung als derart lohnenswert erweisen, wie im Falle von Tori Amos' "Fade To Red".
Das DVD-Highlight des Monats ist jedem anspruchsvollen Musikliebhaber wärmstens ans Herz zu legen!
Technik
2 DVD-Set: NTSC 4:3
Regional-Codes: 2,3,4,5
DTS 5.1 Surround Sound L-PCM Stereo Dolby Digital 2.0
Untertitel: deutsch, englisch, französich


Spielzeit: 103 Min, Medium: DVD, Rhino Home Video, 2006
DVD1: 1:Past The Mission 2:Crucify 3:Jackies Strength 4:A Sorta Fairytale 5:Winter 6:Spark 7:Sleeps With Butterflies 8:Cornflake Girl (US Version) 9:Hey Jupiter(Dakota Version) 10:Silent All These Years

DVD2: 1:Caught A Lite Sneeze 2:1000 Oceans 3:God 4:Bliss 5:China 6:Rasberry Swirl 7:Talula (The Tornado Mix) 8:Sweet The Sting 9:Pretty Good Year
Bonus Videos: 10:Professional Widow (Remix) 11:Cornflake Girl (UK Version)
Ingolf Schmock, 21.03.2006