Tja nun, aufmerksame Leser meiner Reviews werden wissen, dass ich eigentlich aus einer völlig anderen Sparte komme, nämlich Kritiken über die Ergüsse aus der Heavy Metal- oder Bluesrockszene verbreche.
Aber man (bzw. Frau) ist doch offen für jede Art von Musik - nur gut muss sie sein. Und für Gitarrenschlachten jeglicher Art hab ich ja schon immer ein offenes Ohr. Deshalb bietet es sich für mich geradezu an, das neue Album der deutschen Krautrocklegende Birth Control, "Alsatian", "in die Mangel" zu nehmen, zumal ich erst vor ein paar Tagen deren Konzert im Ducsaal in Freudenburg live erleben konnte und total begeistert war. Dabei haben mich die Gitarrenkünste des Peter Engelhardt wirklich überzeugt und über einen Bernd "Nossi" Noske brauche ich wohl kaum noch viel Worte zu verlieren.
Birth Control stellten an diesem Abend einige Songs ihres neuen Silberlings vor, wovon mich zwei ganz besonders vom Hocker gehauen haben, nämlich "Raindrops" und der Titelsong "Alsatian".
Sofort stand fest, dass wir diese CD kaufen müssen. Aber denkste, wir bekamen sie von der Band geschenkt. Herzlichen Dank deshalb nochmals an Eckhard Gallus sowie Birth Control.
Aber nun wenden wir uns endlich dem eigentlichen Grund dieses Reviews zu:
Die Band hat mit "Alsatian" ein Album rausgehauen, welches im Gegensatz zu den Vorgängern wesentlich straighter, krachiger, ich würde fast sagen härter, ja geradezu modern ist, ohne dabei aber ihre eigentlichen Wurzeln jemals zu verleugnen. Frage an die Jungs: welch frischer Wind wehte Euch beim Eintüten dieser CD um die Nasen?
Aber besagter Wind ist nicht "von schlechten Eltern". Jeder Song ist eine Perle, hat einen hohen Wiedererkennungswert und geht sofort ins Ohr.
Das Fundament dafür legt die Rhythmussektion mit "Nossi" Noske, dem "Tier" an den Drums und Cyborg Haines am Bass. Darüber breitet Sascha Kühn einen wunderschönen Klangteppich aus Keyboardtönen. Peter Engelhardt besticht mit seinem Gitarrenspiel, mal zart akustisch, dann wieder schnelle aber präzise Soli und über allem thront die Reibeisenstimme des Drummers Bernd Noske.
Als Opener haben Birth Control den Song "Jump (For Your Live)" gewählt, der bereits zeigt, wohin sich das Album bewegt: Hart, dynamisch und immer ordentlich auf die Glocke.
"Rock The Road" legt sogar noch einen ganzen Zahn zu und geht voll ab. Astreine Hochgeschwindigkeits-Gitarrenparts, dazu das typische und dermaßen treibende Keyboard-Solo sowie feine Klangeffekte gegen Songende geben diesen den letzten Kick.
Hey, und was dann kommt, ist einer der beiden bereits erwähnten Tracks, nämlich "Raindrops": Langsam mit einem Gitarrensolo beginnend, erfährt das Stück sofort eine Steigerung um dann gleich wieder einen Gang zurückzuschalten.
Der Abschluss ist wieder ein tolles Gitarrensolo. Bass, Drum und Keyboard liefern sich ein Duell und man tobt sich volle viereinhalb Minuten lang ordentlich aus. Peter Engelhardt beweist auch hier wieder seine Qualitäten an der Gitarre.
Man fühlt sich glattweg in die guten alten 70er zurückversetzt und stelle sich folgendes vor: Die Band jammt, du stehst vor der Bühne, schlürfst genüsslich dein Bierchen, in der Hand ein Tütchen und breit grinsend lässt Du Deine bereits ergraute Haartracht kreisen - einfach nur göttlich. Das Leben kann doch so schön sein.
Auch "In The City", "Julie's Dream" und "Get You Down" hauen in die gleiche Kerbe, mal schnell und rockig, dann wieder Halb-Ballade. Es wird nie langweilig.
Aber was nun folgt, ist ohne Übertreibung der Hammer des Jahres schlechthin: "Alsatian"! Ich schätze mal, dass dieser Titel die neue Bandhymne werden könnte.
Feine Keybordklänge eröffnen und Nossi beginnt mit verhaltenem Gesang:
"Sitting here unable
just to move a single limb.
Sitting deaf and dazedly
in my think"
Die Gitarre untermalt seinen Gesang. Wuchtig greifen Bass und Drums dann ins Geschehen ein, der Sound wird rau, aggressiv, ja fast brutal.
Dann wieder die für Birth Control so typischen Duelle zwischen Keyboard und Leadgitarre. Es muss auch zu Gute gehalten werden, dass man sich nie in nervige Frickeleien verliert, sondern die Soli werden, gerade bei diesem Stück, sehr sparsam eingestreut. Kein Wunder, dass man ins Schwärmen gerät. Ein Midtempokracher allererster Sahne, ich bin hellauf begeistert.
Auf die akustischen Spielereien bei "The Reverend's Holy Sermon" hätte man getrost verzichten können, aber das ist, wie vieles im Leben, natürlich reine Geschmacksache. Hier kommt ganz klar der Metalfrickelfan in mir wieder durch ;-)
Mit "Like Nothing Ever Changed" hat die Band ein weiteres Sahnehäubchen kreiert. Sagt mal Jungs, wer hat Euch nur das Händchen für diesen Song geführt?
Langsam frage ich mich: Was hat Birth Control da nur für eine Sternstunde gehabt? Ebenfalls ein Midtempokracher vom Feinsten, der von Anfang an treibend nach vorn geht. Beim Gitarrensolo beweist Peter Engelhardt wiederum seine Fingerfertigkeiten, nicht nervig - nein wohl dosiert und songdienlich eingestreut.
Und wieder bin ich von den songwriterischen Fähigkeiten der Band begeistert. Dies ist nun schon der dritte Übersong auf diesem Album.
Als Rausschmeißer wurde das langsame "A Night Of It" gewählt. Zurückhaltend beginnend mit Klavier und Gesang geht es anschließend ins "Elektrische" über. Hey Nossi, was war denn los? Hast Du den Ton nicht mehr getroffen, oder warum lachst Du denn so herrlich dreckig??
Ich habe drei Tracks des Albums ganz besonders hervorgehoben, da sie vom Feinsten sind und zu meinen absoluten Faves gehören. Das soll aber alle anderen Stücke mitnichten abwerten.
Alles in allem haben Birth Control mit "Alsatian" ein feines Teil eingetütet, welches wirklich abwechslungsreich und rundum gelungen ist. Es geht die Post ab - hier wird gerockt und gejammt, bis der Arzt kommt - ohne 10 € Praxisgebühr bezahlen zu müssen.
Meine Empfehlung: KAUFEN! Es lohnt sich auf jeden Fall.
Apropos kaufen: Wieso die CD momentan nur per Eigenvertrieb zu erwerben ist, ist mir ein Rätsel.
Der Sound ist vom Feinsten und im Booklet sind alle Songtexte enthalten.
Spielzeit: 67:30, Medium: CD, ABC-Roxxon/Eigenvertrieb. 2003
Ilka Czernohorsky, 25.10.2003
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