Tausche Fender Stratocaster gegen Drehleier!
Dieses Angebot würde jeder Deep Purple-Fan mit Kusshand annehmen, wenn es sich dabei um eine vom Meister selbst bespielte und signierte Strat aus DP-Zeiten handelt. Da sich Ritchie Blackmore vor fünfzehn Jahren offiziell vom Hardrock abgewandt hat, dürften Originale aus seiner Hand bereits preislich in schwindelnde Höhen gestiegen sein.
Über den Menschen Ritchie Blackmore zu schreiben, würde hier und jetzt viele Seiten füllen, so facettenreich ist er, so undurchsichtig ist er, und ebenso genial ist er. So sehe ich in ihm immer noch den Gitarrengott der 70er und 80er Jahre und könnte stundenlang darüber philosophieren, weshalb er sich solch einer Wandlung unterzogen hat. Viele Musiker auf der Welt machen kleine Sidesteps, um sich mal etwas Anderem zu widmen, eben einfach neue Dinge auszuprobieren oder aus Spaß am Musizieren das Genre für kurze Ausflüge zu wechseln. Seit Blackmore mit Ehefrau Nummer vier, Candice Night, liiert ist, ist seine Musik in eine Richtung abgedriftet, die bei vielen alten Hard Rock-Fans nur Kopfschütteln hervorruft. Trotzdem ist er unbestritten sehr beliebt, wie die Anzahl der unter Blackmore's Night veröffentlichten CDs belegt. In ebenso regelmäßigen und kurzen Abständen tourt die Band durch die Lande und bevorzugt dabei die gediegenen Etablissements der einstigen Wahlheimat Deutschland.
Heute ist er zu Gast im ehrwürdigen Admiralspalast an der Friedrichstraße, der teuersten Einkaufsmeile in Berlin. Neben edlen Boutiquen, Fünf-Sterne-Hotels und Büropalästen, befindet sich, von außen sehr unscheinbar auf einem Hinterhof, der Palast. Bis vor einigen Jahren hat er noch ein Nischendasein gefristet, aber nach einer Frischzellenkur, sprich Restaurierung, erfreut er sich wieder so großer Beliebtheit wie in den goldenen Zwanzigern.
Mittlerweile treten dort namhafte Bands am laufenden Meter auf und deshalb wundert es auch nicht, dass Meister Blackmore mit seiner Combo von der traditionellen Zitadelle im Bezirk Spandau nun nach Mitte gewechselt ist.
Bis auf ein paar einzelne Sitzplätze ist der Palast ausverkauft. Die vordersten Reihen sind von vielen Mitgliedern des Fanclubs besetzt, von denen mich, zu meiner Überraschung, einige erkennen. Da ich niemanden die Sicht verdecken möchte, fotografiere ich nur von der Seite. Deshalb bitte ich, die etwas schlechtere Qualität der Bilder zu entschuldigen.
Anders als erwartet und angekündigt, findet in Berlin doch ein Vorprogramm statt. Die beiden weiblichen Vertreter des Mittelalter-Trios Brigandu, Miriam Bohse und Miriam Carl, spielen dreißig Minuten Werke auf der Harfe, dem Dudelsack, der Flöte und der Laute, die zum Teil Kirchenchorälen des Mittelalters entnommen sind. Ihr leiser Gesang verleitet den Besuchern zu andächtiger Stille, begeistert aber dennoch so sehr, dass in den Songpausen tosender Applaus die verdiente Belohnung ist. Ich gebe zu, die Musik trifft nicht ganz meinen Geschmack und ich beschließe, mich außerhalb des Saales aufzuhalten. Draußen sind die Klänge noch sehr gut zu vernehmen, und ich kann mir in Ruhe ein Urteil darüber bilden. Dabei habe ich eine sehr schöne Begegnung mit der Familie von Candice Night.
Die einzige Sitzgelegenheit im Flur besteht aus einer Dreierbank, auf der bereits ein älteres Paar sitzt. Höflich frage ich, ob ich mich zu ihnen gesellen kann, und bekomme eine Antwort in englischer Sprache. Mir ist das Paar bereits im Vorraum aufgefallen, da sie zu einer Gruppe weiterer Personen gehören, die ein sehr kleines Mädchen dabei haben, die in einem rosa Kleid bekleidet ist. Ohne mir erst einmal darüber bewusst zu sein, wer die Kleine sein könnte, habe ich mich nur gewundert, was ein Kind in diesem Alter und zu so einer Zeit, in einer Konzerthalle zu suchen hat. Wer sie ist, sollte sich Minuten später herausstellen, nachdem mich das ältere Paar in ein Gespräch verwickelt hat. Es handelt sich um Onkel und Tante Night, die Nichte Autumn dabei haben. Es dauert auch nicht lange, bis der kleine blonde Lockenkopf mit ihrer Nanny erscheint, und erst einmal von ihren Verwandten mit einem Geschenk bedacht wird. Inhalt: Eine Blockflöte, mit der sie schon mal für ihre musikalische Zukunft üben kann. Den Rest, der notwendig ist, um das Publikum zu unterhalten, beherrscht sie bereits, wie sich noch zu späterer Stunde zeigen wird.
Mit mehreren Gongschlägen werden alle Besucher wieder in den Saal gerufen, um ihre Sitzplätze einzunehmen.
Während eines langen Intros, bei dem die Bühnenbeleuchtung gemächlich hochgefahren wird, erscheinen Candice und Ritchie in Begleitung ihrer Musiker. Nach einer kurzen Einführungsrede versetzt die Band mittels einer musikalischen Zeitreise die Besucher in eine längst vergessene Epoche der Geschichte, in der Minnesänger und Troubadoure dazu dienten, dem Hochadel mit ihren Künsten die Zeit zu vertreiben und diese zu unterhalten. Bei Gefallen gab es entweder eine Entlohnung oder - im günstigsten Fall - eine Verbannung, sofern die Darbietung nicht zur Belustigung gereicht hat. Heute Abend ist es von vorneherein klar, dass der Unterhaltungsfaktor sehr hoch sein wird. Candice Night erzählt in den Songpausen immer wieder kleine Geschichten, mal aus ihrem Leben, mal um den Ursprung des Songs zu erklären. Ihre Stimme hat dabei einen wohltuenden, sehr warmen Klang und es ist nicht nur beim Singen eine Freude, ihr zu lauschen. Ritchie Blackmore hingegen hat beim Spielen seine gewohnte Haltung eingenommen. Die Augen geschlossen, den Kopf nach unten gesenkt, ist er voll konzentriert in die Musik vertieft und lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen. So ist er normalerweise seit Jahrzehnten bekannt: Alleine für sich und mit sich selbst auf der Bühne. Ab und zu signalisiert er seinen Musikern durch kurze Handzeichen, dass sich der Song dem Ende nähert, und sie sich darauf vorbereiten sollen. Er redet für gewöhnlich nie und ein Lächeln von ihm in Richtung Publikum, ist wie ein Sechser im Lotto. An diesem Abend in Berlin sollte für mich, der Ritchie seit fast vierzig Jahren bewundert, alles anders werden. Heute lerne ich ihn zum ersten Mal von einer Seite kennen, die mir und vermutlich vielen anderen Menschen, bisher verborgen geblieben ist.
Bis etwa zur Hälfte der Show, bei der ein Klassiker nach dem anderen gespielt wird, läuft das Programm nach der vorgegebenen Linie ab. Selbst der Bühnenaufbau ist seit vielen Jahren unverändert und seit meinem letzten Besuch bei Blackmore's Night, vor langer Zeit in der Zitadelle Spandau, gibt es außer einigen anderen Songs und Musikern nichts umwerfend Neues. Erst als Candice beschließt, die Set-Liste außer Acht zu lassen, kommt Bewegung in den Ablauf. Von nun an wird jeder Song mit der Band abgestimmt, und dabei kommt es schon mal zu Ungereimtheiten. Ritchie taut dabei auch langsam auf und man hört ihn auch ohne Mikrofon. Er redet, und das wie ein Wasserfall. Das ist Überraschung Nummer eins an diesem Abend, und die Zweite lässt nicht lange auf sich warten. Tochter Autumn sitzt mit ihrer Begleitung links vor der Bühne und natürlich macht sie sich in einer ruhigen Songpause bemerkbar. Wenige Minuten später wird sie von Mutter Candice auf den Arm ans Mikro getragen und darf ihre Stimme unterstützen. Abgesetzt auf der Bühne, weiß die Kleine schon sehr genau, wie sie das Publikum für sich gewinnen kann. Knicks und Handküsschen, winke-winke, und selbst der harte Papa wird butterweich. Als wenn er sich am heimischen Herd unbeobachtet fühlt, tanzt er mit seinem Töchterchen über die Bühne und verliert dabei völlig seine sonst so versteinerte Mine. Das Publikum ist entzückt und als der Gitarrengott später des Öfteren am Bühnenrand mit den Besuchern spricht, ja sie sogar auf seinen Gitarren spielen lässt, erkenne ich ihn nicht mehr wieder.
Und siehe da, neben der Drehleier, der Mandoline und den verschiedenen akustischen Gitarren, holt er an diesem Abend sogar die geliebte Stratocaster hervor, und spielt einen alten Song von Deep Purple, aus der Ära mit David Coverdale. Der unnahbare, immer in Schwarz gekleidete Mann an der Gitarre offenbart den Menschen seine Seele.
Betrachtet man die Musik von Blackmore's Night, so hat man als Nichteingeweihter das Gefühl, dass es sich einfach nur um schöne, sehr melodiöse Songs handelt, die mit einer fantastischen Bühnengestaltung dem Publikum präsentiert werden. Abgesehen von der Kleidung der Akteure, erinnert wenig an die Zeit von vor mehreren hundert Jahren. Die Musik klingt sehr modern, da sie überwiegend mit modernen Instrumenten gespielt wird. Keyboarder Bart David Of Larchmont erhält während der Show ausreichend Gelegenheit sich ins Rampenlicht zu stellen, da er auch einige Textpassagen singt und ein hervorragendes Solo zum Besten gibt. Auch die anderen Mitglieder bekommen ihre Freiräume, bis hin zur Parodie auf die britische Queen, in Perfektion vorgetragen von Lady Kelly DeWinter. Hauptaugenmerk allerdings liegt auf der bezaubernden Candice Night und als sie den Joan Baez-Klassiker "Diamonds And Rust" singt, rollen bestimmt nicht nur mir einige Tränen aus den Augen. Für mich der mit Abstand schönste Song des Abends und mit solch einer Hingabe und Stimme gesungen, dass es jeden im Saal zutiefst berührt. Am Ende herrscht sekundenlanges Schweigen, bevor tosender Applaus einsetzt.
Die Band spielt an diesem Abend sehr lange, fast drei Stunden. Als aus dem Konzert ein Familienfest geworden ist, macht es auch nichts, wenn aus zwei plötzlich vier Zugaben werden. Wieder holt Ritchie die Stratocaster heraus und auf Drängen von seiner Frau spielt er ihn. Ja, er spielt "Smoke On The Water". Ich habe mit allem gerechnet, zum Beispiel mit "Child In Time", so wie man den Song auf der Band-Webseite hören und sehen kann, aber damit hat wohl niemand gerechnet. Er beginnt ihn ruhig, in der typischen Art, wie man es von der Band erwarten würde, bis er seinen Musikern eines seiner Zeichen gibt. Der Troubardor Of Aberdeen an seinem, hinter Holzfässern und Brettern versteckten Drum-Set macht den Druck von hinten und alle ziehen mit. "Smoke On The Water" klingt wie aus dem Nichts heraus wie zu besten Deep Purple Zeiten, und Blackmore greift ordentlich in die Saiten. Selbst die Stimme seiner Frau kommt nur noch schwer gegen den Sound an, aber sie packt den Song sehr ordentlich. Ein Fest für alle Sinne geht allerdings mit diesem Highlight zu Ende. Nach drei Stunden Blackmore's Night mit vielen schönen Begebenheiten und traumhafter Musik verabschieden Candice und Ritchie ihre Fans in die Nacht.
Aller Unkenrufen zum Trotz finde ich, dass der Mann in Schwarz endlich am Ziel angekommen ist. Auch die letzten Zweifler, zu denen ich mich auch bis jetzt gezählt habe, die es immer noch nicht verstehen können, weshalb er den Hard Rock an den Nagel gehängt hat, wären eines Besseren belehrt, würden sie sich einmal eine Show von ihrem Idol in der heutigen Zeit ansehen. Völlig ohne Erfolgsdruck kann er sich dem widmen, was er immer nur wollte, ein Gitarrist zu sein, und seine Gefühle über die Tonleiter auszudrücken. Er ist wieder Mensch geworden, und hat keine Scheu mehr, sich den anderen Menschen gegenüber zu öffnen.
Line-up:
Ritchie Blackmore (guitar, mandoline)
Candice Night (vocals, flute)
Earl Gray Of Chimay (bass, mandolin)
Scarlet Fiddler (violin)
Troubardor Of Aberdeen (drums, percussion)
Lady Kelly DeWinter (french Harp, backing vocals)
Bard David Of Larchmont (keyboards, piano, pipe organ, accordion)
|