Blind Faith / London Hyde Park 1969
London Hyde Park 1969
Blind Faith = Blindes Vertrauen, wohl eines der größeren Missverständnisse in der rockmusikalischen Historie. Eine Formation, die lediglich von Februar 1969 bis Oktober 1969 existierte und sowohl zwischen den Protagonisten, als auch im Verhältnis zu ihrem Publikum keinerlei blindes Vertrauen zeitigte.
Es gab zunächst erste Jam-Sessions mit Steve Winwood (hatte gerade Traffic auf Eis gelegt) und Eric Clapton (hatte seinerseits gerade den ganzen Cream-Trubel hinter sich), der sich bald Ginger Baker (ebenfalls Ex-Cream) anschloss. Dieser drängte auch auf die Forcierung eines neuen 'Supergruppenprojekts', welches am 06. Mai 1969 die offizielle Namensgebung erfuhr. Drei Tage vorher war erst das vierte Bandmitglied dazu gestoßen, nämlich der Bassist Ric Grech, der mitten in einer US-Tour von Family (u.a. Roger Chapman) selbige verließ, um sich diesem Himmelfahrtskommando anzuschließen.
Aber wieso Himmelfahrtskommando?
Nun ja, immerhin waren mit Clapton und Baker 2/3 Original-Cream an Bord, die ein paar Monate zuvor auf dem Höhepunkt ihrer Popularität wegen interner Querelen das Handtuch geschmissen hatten. Ergo kann es nicht verwundern, dass die Presse damals, und damit logischerweise auch das geneigte Publikum, bei diesem neuen Projekt eine Art Fortführung in der Tradition von Cream erwartete. Aber es sollte sich alsbald herausstellen, dass Steve Winwood die musikalischen Fäden in den Händen hielt. Darüber hinaus wurde der neuen Formation nicht die Zeit gegeben, sich zu entwickeln und eine entsprechende Fülle an Songmaterial zu kreieren.
Der Druck seitens der Presse und der Plattenindustrie war zu groß. Es wurde schlicht Überirdisches in Aussicht gestellt. Noch bevor Blind Faith ihr unter diesen widrigen Umständen entstandenes und mit viel Vorschusslorbeeren bedachtes Debütalbum am 22. Juni 1969 auf den Markt brachten, traten sie am 07. Juni im Londoner 'Hyde Park' vor geschätzten 100.000 bis 150.000 erwartungsfrohen Rockfans auf, die keinen Eintritt bezahlen mussten, den damals aufstrebenden neuen Stern am Rockfirmament namens Free als Einheizer erleben durften und ansonsten nicht weniger als Cream II erwarteten. Dieses musikhistorisch durchaus relevante Ereignis wurde gefilmt, aber erstaunlicherweise in voller Gänze bis heute nicht veröffentlicht.
Bis heute, denn im Zuge des aktuellen DVD-Hypes wurde sich endlich dazu durchgerungen, eine entsprechende Veröffentlichung den interessierten Zeitzeugen und Nachgeborenen zur Verfügung zu stellen. In Anbetracht der Tatsache, mit welchen Nichtigkeiten wir Woche für Woche bei den Neu- und Wiederveröffentlichungen zugemüllt werden, ist es schon äußerst verwunderlich, dieses Happening der ausgehenden 60er Jahre des letzten Jahrhunderts erst jetzt richtig publik zu machen.
Als erstes stellt sich für mich die Frage, wieso der Support von Free nicht auch enthalten ist? Liefen damals etwa die Kameras noch nicht mit? Kann ich mir nicht vorstellen, denn es gibt definitiv Filmaufnahmen von diesem Auftritt.
Ansonsten bekommt der/die geneigte BetrachterIn zunächst eine kurze Einführung in die Befindlichkeiten und den Zeitgeist jener ereignisreichen Jahre, um das Event an sich in den richtigen historischen Kontext zu stellen. Dies geschieht natürlich mit allen optischen Spielereien, die in Deutschland spätestens seit dem legendären Beat-Club aus Bremen bekannt sind und wird von einer Sprecherin im schönsten 'London-English' begleitet.
Derart eingestimmt, folgt dann das Konzert. Ich muss schon sagen, faszinierende Bilder von einem völlig überfüllten 'Hyde-Park' an einem offensichtlich sehr warmen Juni-Tag. Der Happening-Charakter kommt wirklich gut rüber, viele Einstellungen ins Publikum, auf die Themse und aus der Vogelperspektive heraus auf das gesamte imposante Veranstaltungsgelände gestatten einem auch 37 Jahre später einen wunderbaren Blick auf die damaligen Ereignisse. Dabei stört es mich persönlich nur am Rande, dass auch bei diesem Film zeitgeistgerecht die Woodstockästhetik verwendet wurde. Auch fällt auf, dass sich viele Sequenzen wiederholen, einfach mehrfach mit unterschiedlichen visuellen Stilmitteln eingesetzt wurden. Ansonsten hielten die Kameras, selbstredend nicht mit der Anzahl, wie das heutzutage üblich wäre, das Geschehen auf der geradezu lächerlich klein wirkenden 'Spielzeug-Bühne' fest. Dabei kann mich die Bildqualität absolut überzeugen, schließlich lag der Autor dieser Zeilen zum Zeitpunkt der Aufnahmen noch fröhlich schreiend im Kinderwagen, weil erste Gehversuche kläglich scheiterten.
Apropos erste Gehversuche, dass es für Blind Faith das erste Konzert vor Publikum war, ist ihrer Performance deutlich anzumerken. Gleichzeitig wird auch deutlich, dass die hippiesken Menschenmassen doch etwas irritiert auf die vornehmlich von Steve Winwood dominierten Klänge reagierten. In einigen Einstellungen meine ich eine gewisse Ratlosigkeit auszumachen. Jedenfalls ist von Begeisterung und Euphorie wenig zu sehen. Auf der Bühne wirkt insbesondere Eric Clapton so, als wäre er zu dem Zeitpunkt lieber woanders gewesen.
Gleichwohl weiß er mit einigen charakteristischen und geschmackvollen Licks zu gefallen, agiert aber vergleichsweise zurückhaltend, quasi mit der berühmten angezogenen Handbremse. Auch Ginger Baker musste sich offenbar erstmal an den musikalischen Kosmos des Steve Winwood herantasten. Wo ich bei Clapton so manches Soli vermisse, beispielsweise beim abschließenden "Had To Cry Today", für meine Begriffe dem Königsstück der ersten und einzigen Blind Faith- LP, die wenig später sowohl im UK, als auch in den USA die Pole-Position der Longplay-Charts erobern sollte, muss ich bei Bakers "Do What You Like" erstaunt feststellen, dass gar kein zehnminütiges ekstatisches Schlagzeugsolo Marke Ginger Baker erfolgt, ganz so, als wäre wie bei so manchem anderen Stück die Chose noch nicht ganz ausgereift.
Es lässt sich nicht leugnen, dieses Konzert kam eindeutig zu früh!
Zusätzlich erstaunt mich der teilweise sehr unsaubere Gesang von Steve Winwood, der vermutlich in dem Bemühen, auch für alle hörbar zu sein, überpacet hatte und häufig tonal einfach daneben liegt.
Ansonsten bleibt festzuhalten, dass Blind Faith damals ihr gesamtes Album präsentierten, ergänzt durch die Bluesnummer "Sleeping In The Ground" (Sam Myers), Traffics "Means To An End" ("Traffic", 1968) und "Under My Thumb" von den Stones ("Aftermath", 1966).
Nach gut 45 Minuten ist der Spuk bereits beendet, Sets von 90 Minuten und deutlich mehr waren im Gegensatz zu heute allerdings auch nicht üblich gewesen.
London Hyde Park 1969Um dieser DVD noch etwas Opulenz zu verschaffen, sind bei den Extras drei Promo-Videos zu finden, die nochmals einen schönen Einblick in die Ästhetik der 'Swinging Sixties' geben und das damalige 'Wunderkind' Steve Winwood bei der Spencer Davis Group ("I'm A Man", 1967 - letzte Single der Spencer Davis Group mit den Winwood-Brüdern Muff und Steve) und bei Traffic ("Hole In My Shoe", 1967 - zweite Traffic-Single) zeigen, sowie Eric Clapton und Ginger Baker bei Creams Abschiedskonzert in der 'Royal Albert Hall' vom 26.11.1968 ("I'm So Glad") ins rechte Licht rücken.
Abgerundet wird das Ganze durch eine Fotogalerie, begleitet durch die Klänge von "Well All Right", und einer Discographie mit allen vier Bandmitgliedern und ihrem Schaffen in der Prä - Blind Faith - Ära.
Somit möchte ich das Fazit ziehen, dass diese DVD zumindest allen rockmusikalisch historisch interessierten Menschen sehr zu empfehlen ist, den Bewunderern der einzelnen Protagonisten sowieso.
Neben der sehr akzeptablen Bildqualität ist auch eine überraschend gute Tonqualität zu konstatieren (Stereo). Hier dürften wir heute mit dieser DVD mehr geboten bekommen, als die Zeitzeugen im (verwehten?) 'Hyde-Park'. So lasse ich mir auch Missverständnisse gefallen!
Technik:
Dolby Digital 2.0
Bild:4:3, PAL, Colour And Black & White
Sprache:Englisch; Code Free


Spielzeit: 73:00, Medium: DVD, Sanctuary Visual Entertainment, 2006
1:Well All Right 2:Sea Of Joy 3:Sleeping In The Ground 4:Under My Thumb 5:Can't Find My Way Home 6: Do What You Like 7:Presence Of The Lord 8:Means To An End 9:Had To Cry Today
Extras:
10:Spencer Davis Group:I'm A Man (Promo Video) 11:Traffic:Hole In My Shoe (Promo Video) 12:Cream:I'm So Glad (Promo Video) 13:Photo Gallery - Set To The Sounds Of "Well All Right" 14:Discography Of Band Members
Olaf 'Olli' Oetken, 24.04.2006