Von einer schwierigen Zeit Chet Bakers zu sprechen, ist nicht einfach, ging es doch Zeit seines Lebens nie irgendwie richtig ruhig und geordnet zu. So waren die Tage, bevor es zur Europatournee des Trompeters im Jahre 1955 kam, ebenfalls von Unruhe und Unbeständigkeit geprägt. Am 6. September 1955 flog die Band in die Niederlande, um eine viermonatige Tournee anzutreten, die dann aber letztlich doch viel später, am 4. April 1956, endete.
Im Oktober 1955 fand man den drogenabhängigen Pianisten der Gruppe, Dick Twardzik, tot auf. Dann verließ der Schlagzeuger noch die Band und kehrte in die USA zurück, kurze darauf auch der Bassist. So wurden die Tourbands bunt durcheinander gewürfelt und Baker hatte dadurch die Möglichkeit, mit damaligen Topmusikern Europas in Kontakt zu kommen und Musik aufzunehmen. Die ausführliche Geschichte inklusive der einen oder anderen Anekdote kann man im Booklet gut nachzulesen.
Durch eine glückliche Fügung wurde schließlich das Konzert in Firenze (Florenz) am 24. Januar 1956 mitgeschnitten und liegt uns nun als zeithistorisches Dokument vor. Die Klangqualität mag nicht 'HiFi' sein, doch geht über üblich-schlechte Bootleg-Qualität hinaus. Jedes Instrument ist klar und deutlich zu orten und selbst der sonst leicht untergehende Kontrabass kommt einwandfrei zur Geltung.
Ganz hervorragend empfinde ich die lässige Spielfreude, diese Ungezwungenheit, die sich unter anderem in den fünf, teilweise weit über die Zehn-Minuten-Grenze reichenden Titeln äußert. Hier wird so herrlich gejammt, dass man schon fast von einer Sternstunde des Jazz sprechen kann.
Einst sollen diese Aufnahmen bereits auf dem Replica-Label erschienen sein - schön, dass sie hier nun wieder komplett vorliegen, nachdem Lonehill bereits 2005 eine Fassung herausbrachte. Gänsehaut pur bereits beim zweiten Titel, wenn Chet Baker das erste Mal mit seiner so typischen, schon fast weiblichen Stimme singt. Es entspringt so viel Gefühl aus dieser Kehle, dass man all seinen Kummer, seine Verzweiflung, aber auch seine Hoffnung zu vernehmen scheint.
An der Trompete selbst glänzt Baker durch Improvisationsfreude, und obwohl er wegen oft schnell eintretender Erschöpfungszustände eher Studioaufnahmen bevorzugte, ist davon auf diesem Konzert nichts zu bemerken. Vielmehr glänzt er mit seinem auch bei den schnellen Titeln oft melancholischem Ausdruck. Sicher sind keine Stars in der Band. Lediglich der Pianist sollte später als Mitbegründer der einzigartigen Kenny Clarke-Francy Boland Big Band in Erscheinung treten. Sie treiben sich gegenseitig an und bieten einwandfreie, voller Leidenschaft glühende Einsätze. Mich reißt dieser Swing jedenfalls vom Hocker! Und 'swingend' war der Jazz ohnehin noch stark zu jener Zeit, und ein leicht 'entschleunigter' Be Bop präsentiert sich mit einem Klassiker: "Ray's Idea" vom Bassisten Ray Brown. Das durch Dizzy Gillespie geschriebene und bekannt gewordene Stück "Night In Tunisia" eröffnet die zweite CD, die ab Titel drei dann noch einige Schmankerl zu bieten hat. Nicht nur, dass das komplette Konzert aus Italien diese Doppel-CD füllt - nein, es war sogar noch Platz für einige Überraschungen.
Technisch besser sind so die beiden Studioaufnahmen, die Chet im März/April 1956 in Baden-Baden mit dem Orchester von Kurt Edelhagen einspielte - fein swingende Big Band-Titel, ersterer davon eine Komposition des Orchesterleiters. Eine weitere Rarität stellen sicher die ebenfalls in Baden-Baden entstandenen Duo-Aufnahmen mit einer Dame, die dann später das Fach wechseln sollte. Chet traf sich am 26. März 1956 mit der Sängerin und Gitarristin Caterina Valente! Ist der erste Song mit leicht brasilianischem Flair versehen, so bieten die beiden uns mit "Everytime We Say Goodbye" eine wunderbare Ballade, bei der ich Baker auch gern hätte mitsingen hören.
Der Rest der zweiten Platte besteht aus Aufnahmen, die vor der Europatournee in den USA eingespielt wurden. Es handelt sich um die Titel sieben bis elf beim Newport Jazz Festival am 16. Juli 1955 und die beiden restlichen vom 12. Mai 1955 in der Carnegie Hall in New York. Alle Titel mit den amerikanischen Kollegen sind typische Beispiele für den Chet Baker jener Tage, mit einer gewissen Coolness behaftet und in die Entstehung des Cool Jazz zurückreichend mit dem Auftritt von Gerry Mulligan auf dessen "Five Brothers".
Alles in allem geht mein Dank an die Herausgeber dieser schönen Doppel-CD und den gebotenen Raritäten, die gerade die Frühzeit des sensiblen Musikers beeindruckend widerspiegeln.
Line-up:
Chet Baker (trumpet, vocal - CD 1, #2, 6, CD 2 #9, 13)
Jean-Louis Chautemps (tenor sax, CD 1 all tracks, CD 2 #1, 2)
Francy Boland (piano, CD 1 all tracks, CD 2 #1, 2)
Eddie de Haas (bass, CD 1 all tracks, CD 2, #1, 2)
Charles Saudrais (drums, CD 1 all tracks, CD 2 #1, 2)
Kurt Edelhagen Orchestra (CD 2 #3, 4)
Hans Wilfert (trumpet - CD 2 #3, 4)
Rolf Schneilbiegl (trumpet - CD 2 #3, 4)
Siegfried Achammer (trumpet - CD 2 #3, 4)
Klaus Mitschele (trumpet - CD 2 #3, 4)
Otto Bredl (trombone - CD 2 #3, 4)
Werner Betz (trombone - CD 2 #3, 4)
Heinz Hermannsdorfer (trombone - CD 2 #3, 4)
Helmuth Hancke (trombone - CD 2 #3, 4)
Franz von Klenck (alto sax - CD 2 #3, 4)
Helmuth Reinhardt (alto sax - CD 2 #3, 4)
Paul Martin (tenor sax - CD 2 #3, 4)
Bubi Adeholt (tenor sax - CD 2 #3, 4)
Johnny Geigi (baritone sax - CD , #3, 4)
Werner Drexler (piano - CD 2 #3, 4)
Werner Schulze (bass - CD 2 #3,4)
Silo Deutch (drums - CD 2 #3, 4)
Caterina Valente (vocals, guitar - CD 2 #5, 6)
Bob Brookmeyer (valve-trombone - CD 2 #11)
Al Cohn (tenor sax - CD 2 #11)
Gerry Mulligan (baritone sax - CD 2 #10)
Russ Freeman (piano - CD 2 #8-13)
Bob Carter (bass - CD 2 #8-11)
Peter Littman (drums - CD 2 #8-11)
Carson Smith (bass - CD 2 #12, 13)
Bob Neel (drums - CD 2 # 12, 13)
Bill Loughborough (percussion - CD 2 #12, 13)
Tracklist |
CD 1:
01:Chekeetah [Urso] (17:52)
02:You Don't Know What Love Is [Raye-De Paul] (5:42)
03:Stella By Starlight [Young-Washington] (12:52)
04:Exitus [Urso] (10:29)
05:Ray's Idea [Brown] (17:34)
06:This Is Always [Warren-Gordon] (6:21)
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CD 2:
01:Night In Tunisia [Gillespie-Paparelli] (13:19)
02:Cool Blues [Parker] (9:01)
03:Baker 56 [Edelhagen] (2:12)
04:Bockhanal [Montrose] (2:59)
05:I'll Remember April [Raye - De Paul] (2:49)
06:Every Time We Say Goodbye [Porter](3:11)
07:Newport Jazz Festival Intro (0:57)
08:Walkin' [Carpenter] (7:11)
09:You Don't Know What Love Is (Newport Version) [Raye-De Paul] (5:22)
10:Five Brothers [Mulligan] (7:15)
11:Tiny's Blues [Kahn] (6:32)
12:Night In Tunisia [Gillespie-Paparelli] (3:27)
13:You Don't Know What Love Is (Carnegie Hall Version) [Raye-De Paul] (2:56)
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Externe Links:
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