Wenn meiner Einer eine Reise tut, dann muss da schon etwas Großes dahinter stecken. In den meisten Fällen verzichte ich auf Konzerte aufgrund der großen Distanz und den damit verbundenen, recht ansehnlichen Kosten, die mir RockTimes ja leider nicht erstatten kann ( das ändert sich spätestens dann, wenn wir die Millionenspenden von Herrn Hartz absahnen werden, versprochen - die Redaktion).
Aber seit Jahren habe ich darauf gewartet, den wahren 'King Of Rock'n'Roll' live zu erleben und Anfang 2007 hatte das Warten endlich ein Ende: Chuck Berry, live In Hamburg! Für mich vielleicht das erste, aber hoffentlich nicht das letzte Mal ihn zu hören!? Immerhin, diese Legende ist genauso wie B.B. King, den ich 2006 sah, schon über 80 Jahre alt. Zum Glück sterben Legenden nie!
Und Chuck Berry unternimmt anlässlich seines 80. Geburtstages eine Welttournee!
Anfangs, als nicht einmal die Termine für diese Tour fix waren, war ' Chuck Berry und Special Guest' angekündigt. Nachdem ich Erkundigungen im Internet eingeholt hatte, habe ich die Info bekommen, dass der Special Guest Alvin Lee (Ex- Ten Years After) sein wird. So stand es jedenfalls auf den allerersten Konzerttickets (die ich wirklich gesehen habe). Tage später stellte sich aber heraus, dass Alvin Lee doch nicht dabei sein wird. Ich persönlich hätte ihn wirklich gerne im Vorprogramm gesehen. Nun gut, so lange Chuck Berry nicht absagt - soll in der Vergangenheit ja öfters als einmal vorgekommen sein - ist es mir 'irgendwie' egal. Der Veranstalter musste sich aber etwas anderes einfallen lassen und griff auf deutsche Klassiker als Support zurück.
Chuck Berry - 'The Master Of Rock'n'Roll' & Friends: Tony Sheridan And Band, The Lords, The Firebirds, The Beat Club Band feat. King Size Taylor; Moderation: Uschi Nerke
Uschi Nerke, einigen sicherlich aus dem 'Beat-Club' bekannt, startete pünktlich um 20 Uhr die Rock'n'Roll-Gala. Zu meiner Freude eröffnete Tony Sheridan, Beatle der ersten Stunde, mit seiner Band das Event, und das gleich mit "Skinny Minny". Dieser Song war eine zeitlang mein Lieblingslied; das ist aber schon über 15 Jahre her. Damals war ich noch in der Grundschule, aber auch da schon immer fleißig auf Konzerten und Festivals unterwegs. Lange Geschichte, kurzer Sinn: Ich habe mich gefreut, nach so langer Zeit Tony Sheridan mal wieder live zu sehen und 'meinen Song' zu hören. Die Performance war gut, auch wenn das Publikum noch nicht ganz wach war. Was sich aber vielleicht durch die lange Anreise zur Color-Line-Arena in Hamburg erklären lässt. Ich habe noch nie eine Halle gesehen, die soweit abseits liegt. Von der U-Bahn Station 'Arenen' ist man mit dem Arena-Shuttle-Bus noch über 10 Minuten zur Halle unterwegs.
Dann machten Firebird mit ihrem Show-Programm weiter. Diese vergleichsweise junge, klassische Rock'n'Roll-Band bot dem Publikum Unterhaltung pur. Humoristische Einlagen gehören zu ihrem Programm so selbstverständlich wie A Capella-Stücke, immer mit etwas Eigenironie und kombiniert mit einfacher, aber guter Musik. Sehr amüsant! Die Band begleitete Chuck Berry tags darauf nach Leipzig - also in ihre Heimatstadt, wo sie bereits Kultstatus haben.
Es folgte King Size Taylor, der bereits 1964 im Vorprogramm von Chuck Berrys erster Europa-Tournee auf der Bühne stand. Damals jedoch mit seiner Band The Dominoes. An diesem Abend war es aber die Beat Club Band. Auch diese Combo konnte das Publikum, welches übrigens aus allen Alterschichten bestand, begeistern.
Mit The Lords, der dienstältesten deutschen Beat-Band, kam die letzte von vier Supportern auf die Bühne. Da ich kein großer Fan von Ihnen bin (ich habe sie als Kind wohl einfach zu oft sehen und hören müssen), nutze ich die Chance um eben noch mal Getränkenachschub zu holen und mit einer netten Frau an der Bar erfolgreich ein Tauschgeschäft zu machen: »Mein Bier gegen dein 'Star Club"-T-Shirt!«
Und dann endlich: Chuck Berry betrat die Bühne.
Zum Glück stand ich gerade zufällig vor der ersten Sitzreihe, als das Licht ausging und Chuck Berrys Band auf die Bühne kam. Entgegen allen meinen Erwartungen strömten auf einmal die sitzenden Leute nach vorne zur Bühne. Es gab in der Halle kein Personal, die dies verhinderten und da ich schon vorne war, blieb ich auch gleich dort und konnte mir sogar, ganz ohne Gewalt, einen sehr guten Platz in der ersten Reihe, direkt vor Chuck Berry sichern.
Als Opener spielte Chuck Berry "Roll Over Beethoven" und das Publikum rastete vollkommen aus. Und auch ich war hin und weg - purer Rock'n'Roll wie ich ihn nie gehört hatte. Auf den alten Berry-Platten kommen die Songs nur halb so kraftvoll wie eben live daher. Es gab zwar noch ein paar Tonabmischungsprobleme bei den ersten beiden Nummern, gerade der Gesang war leise, aber das bekam man schnell in den Griff.
Es ist unbeschreiblich, wie viel Kraft Chuck Berry beim Performen seiner Klassiker noch auf die Bühne bringt und das mit einer unglaublichen Leidenschaft und Ausstrahlung, die ihresgleichen sucht. "Memphis Tennessee", "Sweet Little Sixteen", "Carol", "Johnny B. Goode", "Maybellene" und weitere Highlights, ja auch in Form von Blues, die über den original Sixties Röhren-Amps ihren Charme versprühten. Als ihm in mitten eines Songs eine Saite seiner Gitarre reißt, tauscht er kurzerhand sein Arbeitswerkzeug gegen einen Bass aus und beigeistert damit sein Publikum.
Auf seiner Tournee und damit auch auf der Bühne begleiteten ihn übrigens seine beiden Kinder: An der zweiten Gitarre sein Sohn Charles Berry und an der Mundharmonika seine Tochter Ingrid Berry. Das Charles Berry seinem Vater gitarrentechnisch in Nichts nachsteht, außer ein paar Jahre Erfahrung, ist ja selbstredend. Er hatte wohl einen sehr guten Lehrer und den richtigen Musikeinfluss gehabt. Verblüffend aber auch, wie sauber und emotional seine Tochter Ingrid Berry die Mundharmonika beherrscht. Im Vorfeld hatte ich gar nicht damit gerechnet oder mitbekommen, dass in Berrys Band auch eine Mundharmonika zum Einsatz kommen wird. Aber es hat sich gelohnt. Es war grandios!
Schon fast traditionell holt Chuck Berry beim letzten Song Frauen auf die Bühne. Erstens, weil er sich gerne mit jungen, hübschen Frauen umgibt und zweitens, um damit abzulenken, dass er heimlich still und leise von der Bühne verschwindet. Nachdem die tanzende, junge Dame im roten Kleid kurz meine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, ich mich dann aber wieder auf Berry fokussieren wollte, war er schon verschwunden…
Chuck Berry spielte etwa eine Stunde, aber die hatte es in sich. Mit Sicherheit mein Konzerthighlight 2007 - auch wenn der legendäre 'Duckwalk' nur kurz zu sehen war. Es war einfach unglaublich und unvergesslich und jede Strapaze wert. Die 800 km Reise und die damit verbundenen, nicht unerheblichen Kosten…. und ein bisschen Verständnis dafür, dass ein 80-Jähriger 'nur' eine Stunde rocken kann, haben wahrscheinlich alle.
Während des Konzertes habe ich ein paar Fotos mit meinem Handy geschossen. Aufgrund der schlechten Lichtverhältnisse ist die Qualität natürlich etwas bescheiden, aber im Internet wird man garantiert fündig.
Nach dem Konzert ging es zurück ins Hotel - normalerweise wäre ich, wenn ich schon mal in Hamburg bin, noch irgendwo feiern gegangen, aber ich hatte erfahren, dass die Band am nächsten morgen den frühen ICE nach Leipzig nehmen wollte. Um 8 Uhr stand ich also am Bahnsteig, bewaffnet mit Stift und der Autobiografie von Chuck Berry in der Hoffnung, ein Autogramm von ihm zu erhaschen. Auch wenn ich mir hunderte Male anhören musste, dass Chuck Berry keine Autogramme gibt, versuchen wollte ich es dennoch. Chuck Berry war in der 1. Klasse-Lounge der Deutschen Bahn untergebracht. Also keine Chance dorthin zu kommen. Seine Band, und damit auch Charles und Ingrid Berry, standen jedoch schon - mit 14 Koffern beladen - am Bahnsteig und warteten auf den ICE. So ergab sich ein wenig Smalltalk und etwas Verwunderung machte sich bei mir breit: Die Band fährt immer mit dem Zug. Die Band trägt immer ihre Koffer selber und hat immer einen langen, anstrengenden Tag.
Der Zug war derweil schon eingetroffen, das Gepäck also bereits verstaut und bis auf den Hauptakteur auch alle schon im gemieteten 1. Klasse-Wagen.
»Einsteigen, Türen schließen!«. Das muss das Stichwort für Chuck Berry gewesen sein. Mit seiner Kapitänsmütze, die er immer trägt, kam er die Treppe herunter gespurtet und sprang in den Zug, der direkt darauf losfuhr. Keinerlei Chance für mich. Schade. Sehr Schade! Aber na ja, da kann man nichts machen - er gibt halt keine Autogramme. Etwas verständlich - er hätte ja auch sonst seinen Zug verpasst.
Ein weinendes und ein lachendes Auge bleibt mir somit, denn ich sah ihn vor Jahren mal zufällig am Flughafen, in der Lounge der Business-Klasse (damals flog ich beruflich noch viel), und seitdem weiß ich, dass er nie Autogramme gibt … aber man sagt ja niemals 'nie' ;-)
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