Jackson Browne / Standing In The Breach
Standing In The Breach Spielzeit: 56:34
Medium: CD
Label: Inside Recordings, 2014
Stil: Westcoast Rock, Americana

Review vom 30.10.2014


Steve Braun
»Aufregend wie zehn nackte Diakonissen« - niemals werde ich diesen Kommentar eines (leider nicht ganz so flüchtigen) Bekannten zu Jackson Brownes seinerzeit (2002) neuer Platte "The Naked Ride Home" vergessen. Gut, retrospektiv nicht gerade ein Ausreißer nach oben in der Diskographie des einfühlsamen Westcoast-Barden, aber das nur am Rande... So sprach also einer dieser Musikfreaks, der die Weisheiten der Musikhistorie mit Schöpfkellen zu sich genommen hat, um sie dann ungefragt an alle 'Unwissenden' zu verteilen. Ich hatte mich seinerzeit tierisch darüber aufgeregt, wohl wissend, dass hier ohnehin Perlen an die berüchtigten Säue verfüttert wurden.
Immer wieder lese ich zu neuen Alben Jackson Brownes ähnliche, wenn auch milder gestimmte Kommentare. Abgesehen davon, dass es niemals ratsam oder gar klug ist, einen Künstler vor die Folie der eigenen musikalischen Entwicklung zu projizieren, sind an vielen Musikfreunden offenbar die zahlreichen 'Häutungen' des sensiblen Menschen und Musikers J. B. gänzlich vorüber gezogen. Ich will dies hier jetzt gar nicht vertiefen, sondern vielmehr unkommentiert als Denkanstoß im virtuellen Raum stehenlassen...
Die wichtigste Veränderung Jackson Brownes in den vergangenen Jahren hat sich wohl in dem Schritt manifestiert, mit Inside Recordings ein eigenes, völlig unabhängiges Label zu gründen. Damit kann er sich konsequent von allen Erwartungshaltungen abkoppeln und muss sich nicht mehr - wie früher - an Hitsingles und Nummer-Eins-Alben taxieren lassen.
Das spürte man bereits beim letzten Output, "Time The Conqueror" von 2008, und nahtlos setzt hier nun "Standing In The Breach" an. Das wird natürlich die Leute, die auf Alben wie "The Pretender" und "Hold Out" oder Hitsingles wie "For America" und "World In Motion" warten, enttäuschen, aber dieses Kapitel ist ganz offensichtlich für Jackson Browne geschlossen und abgehakt. Er muss niemandem mehr etwas beweisen, macht deshalb ganz konsequent das, was ihn in der jeweiligen Phase des Songschreibens gerade bewegt.
Wer Nummer-Eins-Songs erwartet, wird sich möglicherweise abwenden - alle anderen dürfen Jackson Browne mit "Standing In The Breach" während des 'Häutens' in die Seele schauen...
Da macht es auch gar nichts aus, wenn sich der Meister aus L.A. mehr als einmal musikalisch selbst zitiert - besonders frappierend in "Standing In The Breach", dem Titelsong, sowie "The Long Way Around" und "Walls And Doors". Ob man hier gelangweilt gähnt oder sich an der wohlbekannten Intensität erfreut, wird sicherlich im Auge des Betrachters - genauer: im Ohr des Behörers - gut aufgehoben sein. Selbst "The Birds Of St. Marks" ist kein gänzlich Unbekannter, hier aber erstmals in einer (sehr ansprechenden!) 'elektrischen' Studioversion aufgelegt.
Auch die anderen Stücke des vierzehnten Studioalbums Jackson Brownes sind wohlvertraut - wie ein sehr guter Freund, der zur Tür hereinschneit und sich sofort wie zuhause fühlen darf. Oder eben zu hören bekommt »Ach, der schon wieder....«, solche Kommentare müssen ebenfalls befürchtet werden, sind sogar sehr wahrscheinlich...
Wie dem auch sei - ich habe mich eindeutig positioniert, nachdem mir "Standing In The Breach" ganz tief und nachhaltig unter die Haut geschlüpft ist. Okay, "Yeah Yeah" ist mein 'Streichresultat', aber alles andere verfügt über Substanz und ansteckende Nachdenklichkeit. Die Songs haben teils Überlänge, was den Musikern die Möglichkeiten einräumt, die Stimmungen schön ausschwingen zu lassen.
Jackson Browne setzt seine ihm eigene, sehr lässige Interpretation des Westcoast Rock in Kombination mit Singer/Songwriter-Elementen konsequent fort. Besonders intensiv wird es auf musikalischer Ebene, wenn er - wie in "Leaving Winslow" oder "You Know The Night" - Versatzstücke aus Western Swing und Americana verwebt. Mein absoluter Favorit ist allerdings das inbrünstig vorgetragene, nachdrücklich rockende "Which Side?", auch weil hier Brownes Live-Sängerinnen - Chavonne Stewart (vormals Morris) und Alethena Mills - für gospelartige Stimmung sorgen.
Ansonsten ist auffällig, dass sich Brownes kongeniale Partner der vergangenen Jahre - Mark Goldenberg und Kevin McCormick - auffallend zurückhalten. An ihre Stelle sind der versierte Saitenhexer Val McCullum und der geniale Lap Steel-Virtuose Greg Leisz getreten, die allen, wirklich ALLEN Songs, ihren persönlichen Stempel aufdrücken.
Zudem wurde "Standing In The Breach" nicht - wie "Time The Conquerer" - von einer festen Band eingespielt, sondern J. B. suchte sich zu jedem Stück die passenden Gastmusiker. Da sind dann auch schon mal uralte Weggefährten wie Bob Glaub, Doug Haywood oder Jim Keltner vertreten... und - selbst wenn ich es mehr als einmal vermutet habe - Valerie Carter ist (leider) nicht darunter.
Tja, den eingangs erwähnten Bekannten habe ich mittlerweile wie ein Taschentuch verloren - Jackson Browne sitzt dagegen immer noch neben mir in meinem Wohnzimmer. Wir ärgern uns gemeinsam über den Raubtier-Kapitalismus und die Ausbeutung der Dritten Welt, über neue Kalte Krieger und den Militärisch-Industriellen Komplex, über Umweltverbrechen und warum man Angie eigentlich eine 'Klimakanzlerin' nennt... und schütteln beide wohlwissend, aber keinesfalls resigniert den Kopf.
Line-up:
Jackson Browne (lead vocals, acoustic guitar, piano)
Val McCallum (guitars, harmony vocals)
Greg Leisz (lap und pedal steel, 12 string guitar, baritone guitar)
Mauricio Lewak, Don Heffington, Griffin Goldsmith, David Goodstein, Pete Thomas, Jim Keltner (drums)
Jay Bellerose, Luis Conte (percussion)
Jeff Young, Mike Thompson (Hammond organ)
Aldo Lopez-Gavillán (piano)
Carloas Varela (acoustic guitar, end vocals - #6)
Bob Glaub, Taylor Goldsmith, Alex Al, Tal Wilkenfeld, Julio Cesar Gonzalez (bass)
Kipp Lennon, Taylor and Griffin Goldsmith, Chavonne Stewart, Alethea Mills, Doug Haywood, Jonathan Wilson (harmony vocals)
Marc Goldenberg (guitar - #10)
Kevin McCormack (bass - #10)
Tracklist
01:The Birds Of St.Marks (4:23)
02:Yeah Yeah (6:14)
03:The Long Way Round (6:24)
04:Leaving Winslow (3:53)
05:If I Could Be Anywhere (7:08)
06:You Know The Night (5:31)
07:Walls And Doors (6:01)
08:Which Side? (6:37)
09:Standing In The Breach (5:37)
10:Here (4:26)
Externe Links: